Nic
Und da sind die Worte, die ich so sehr hören wollte. Vor denen ich aber auch so eine abartige Angst hatte. Es ist wie ein Schlag in den Magen und mir bleibt für ein paar Augenblicke die Luft weg, während ich sie anstarre und versuche zu verarbeiten was das bedeutet. Ich habe eine Tochter.. Ich bin ein Vater... Claire ist mein Kind und ich bin ihr Vater....
Ich weiß nicht wie lange ich brauche, bis endlich wieder Leben in mich kommt, aber als das passiert, gehe ich schnelle zwei Schritte auf Hannah zu, ziehe sie in meine Arme und wirble sie herum mit einem Lachen auf den Lippen.

Nic
Meine kurze Welle des absoluten Glücks hält nicht sehr lange an. Ich lasse sie los, sehe sie verwirrt an und noch ehe ich etwas anderes tun oder sagen kann, knallt sie mir das vor die Stirn und verschwindet durch die Haustüre. Dem totalen Glück folgt, Verwirrung und ihr folgt ein dumpfer Schmerz. Claire ist meine Tochter... Aber da ist immer noch das Problem, dass ich Hannah damals verlassen habe, dass ich ihr das Herz gebrochen habe... Und die Tatsache, dass ich die ersten Jahre meiner eigenen Tochter verpasst habe.... Diese Erkenntnis trifft mich so hart wie nichts bisher. Ich stehe einfach nur da, starre Hannah nach und mein Lächeln verschwindet langsam aber sicher aus meinem Gesicht. "Nic..." die Stimme meiner Schwester ist vorsichtig, ich drehe mich langsam zu ihr um. Egal was damals war, egal wie sehr ich sie verletzt habe, sie ist meine Schwester und sie scheint zu sehen, zu ahnen was in mir vorgeht. Sie legt mir mitfühlend eine Hand auf den Arm. "Komm, lass uns ein wenig spazieren gehen." Kyle sieht mich noch immer finster an, auch wenn darin eine Spur Mitleid liegt. Ich schlucke und nicke dann langsam. Becca führt mich aus der Haustüre, die hinter uns ins Schloss fällt und wir gehen ein paar Minuten schweigend einfach nebeneinander her, während in meinem Kopf noch immer das absolute Chaos herrscht.

Nic
Ich habe keine Ahnung wie ich mit dieser Neuigkeit fertig werden soll und noch weniger wie ich damit umgehen soll, dass Hannah so klipp und klar die Türe für eine gemeinsame Zukunft zugeschlagen hat. Becca schweigt eine ganze Weile, wirft mir im Gehen immer nur wieder besorgte Blicke von der Seite zu, ehe ich nachdem wir unsere kleine Stadt in Richtung See schon längst hinter uns gelassen haben, das Schweigen breche. "Wie konntest du mir das verschweigen Becks?" murmle ich und sehe zu ihr rüber. "Ich... ich habe eine Tochter. Ich bin ein Vater. Und ich hätte für sie da sein sollen... nein, ich hätte für sie da sein MÜSSEN! Für alle Beide! Hätte ich das nur gewusst...." ich raufe mir die Haare vor lauter Verzweiflung und trete nach einem Stein, der auf dem Weg liegt. Er segelt durch die Luft, ehe er mit einem dumpfen Knalle irgendwo im Gestrüpp landet. "Verdammte Scheiße!"

Nic
Ich sehe zu meiner Schwester und schlucke. Ich weiß, dass ich sie nicht beschuldigen kann. Ich kann ihr keine Vorwürfe machen, genauso wenig wie ich es Hannah machen kann. Immerhin bin ich damals abgehauen, quasi über Nacht. Habe mich nicht mal verabschiedet und sie Beide einfach im Stich gelassen.
Ich versuche mich ein wenig zu beruhigen, weil ich fast sowas wie Angst in Beccs Augen sehen kann und schüttle den Kopf. "Nein, es ist meine Schuld. Ich...Ich wünschte nur ich hätte es gewusst..."
Ich starre in die Ferne, in Gedanken versunken. Darüber nachgrübelnd was ich alles verpasst habe, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich nur ein paar Tage gewartet hätte, solange bis Hannah mir gesagt hätte, dass sie schwanger war...
"Was soll ich jetzt machen, Beccs?" flüstere ich und merke mal wieder wie so oft in den letzten Tagen Tränen in meinen Augen brennen. Ungeduldig blinzle ich sie weg.

Nic
Diese Worte aus ihrem Mund zu hören sind Fluch und Segen zugleich. Sie bestätigen mir, was ich eh schon wusste. Ich musste damals gehen. Ich hätte es keine einzige Sekunde länger in diesem Haus ausgehalten. Aber sie führen mir auch vor Augen, dass es niemals eine wirkliche Chance für mich gab. Für uns... Für Hannah und mich. Nicht so, wie die Lage damals war. Nicht hier in dieser Stadt.
Ich schlinge meine Arme um meine kleine, starke Schwester die so erwachsen geworden ist, dass es mir für einen Moment die Kehle zuschnürt. Sie hätte mich auch gebraucht. Sehr sogar. "Ich liebe dich Becks. Und es tut mir so unendlich leid, dass ich nicht für dich da war." ich würde ihr gerne noch mehr sagen, habe das Gefühl diese Worte reichen nicht aus um meinen Schmerz über die versäumte Zeit, in der ich nicht meiner Aufgabe als großer Bruder nachkommen konnte, auszudrücken. Ich würde ihr gerne noch sagen wie stolz ich auf sie bin, was für eine starke junge Frau sie auch ohne mich geworden ist, aber ich sage nichts davon, drücke sie einfach an mich und streiche ihr über den Rücken, so wie ich es früher immer getan habe, leicht unbeholfen.

Nic
"Ja." spucke ich die Antwort auf ihre Frage aus als wäre sie Säure in meinem Mund. Und Gott es stimmt. Ich bin so wütend, dass es wehtut. Aber bin ich wirklich wütend auf Hannah? "Nein..." meine Stimme wird sanfter, ruhiger und ich schüttle den Kopf. "Ich weißt nicht. Ich bin wütend. Ich habe eine Tochter und ich habe die ersten Jahre ihres Lebens verpasst... Während sie hier war, war ich dort drüber und hab sinnlos menschenleben ausgelöscht... Nur um irgendwie mit dieser Wut klarzukommen." ich halte inne und starre in die Ferne einen Moment abgelenkt von dem was ich erlebt habe. Dann schüttle ich erneut den Kopf wie um die Gedanken zu vertreiben und sehe meine Schwester an. "Ich bin wütend auf mich und auf Hannah und darauf, dass ich es nicht wusste. Ich wäre... ich hätte... wenn ich es gewusst hätte..." ich zucke mit den Schultern. Was genau hätte ich getan wenn ich es gewusst hätte?
Becks hat Recht. Ich musste hier weg. Diese Stadt und Dad haben mich Stück für Stück zerstört. Wäre ich geblieben, wäre jetzt nichts mehr von mir übrig.
"Ich.. ich liebe sie immer noch..." murmle ich und hasse mich im gleichen Moment für diese Worte, auch wenn ich weiß, dass sie stimmen. Ich wusste es seit ich sie vor einer Woche das erste mal wieder gesehen habe.

Nic
Ihre Worte tun weh. Mehr als mir lieb ist. Und auch wenn ich das Gesagt schon geahnt, ja eigentlich gewusst habe, tut es weh es aus ihrem Munde bestätigt zu bekommen. Ich habe sie damals verlassen und sie ist daran zerbrochen. Wir waren jung und dumm und Teenager und doch war die Liebe echt. Wir wussten es beide. Wir haben gestritten, hatten Krisen, aber wir wussten, dass das zwischen uns ein Leben lang sein könnte. Und ich hab diese Realität zerrissen und mit mir genommen als ich gegangen bin.
"Ich weiß." murmle ich und balle die Hände zu Fäusten. "Ich... ich wusste was ich tat und ich hab es trotzdem gemacht."
Mein Blick schweift abermals in die Ferne, als könnte ich der Wahrheit damit irgendwie entfliehen.
"Ich hab sie damit für immer verloren, oder Becks?"

Nic
Ihre Worte besänftigen mich etwas, trösten mich und schenken mir ein wenig Hoffnung, dass doch noch nicht alles zu spät ist. Doch die Hoffnung hält nicht lange an und wird schließlich von der Realität der Situation komplett vertrieben. Fakt ist, dass ich noch nicht einmal weiß, ob ich noch der Alte bin. Ich weiß ja noch nicht einmal ob ich hier bleiben will. Ich liebe Hannah und ich will meine Tochter kennenlernen, will für sie da sein und die verlorene Zeit wieder gut machen. Aber ich will hier auch weg, und das so schnell wie möglich. Es tut weh hier zu sein.
Und ich merke, dass ich mich hier in jemanden verwandle, den ich selbst nicht wiedererkenne.
Dennoch nicke ich und stehe von der Bank auf. "Ich schätze du hast Recht." ich lächle meine kleine Schwester an, einen Moment wieder erschlagen von der Tatsache wie erwachsen sie geworden ist und ziehe sie noch einmal in eine enge Umarmung. "Danke. Ich werde mein Bestes geben um mir dein und Hannahs Vertrauen wieder zu gewinnen."
Eine halbe Stunde später sitze ich alleine mit Buddy in meinem Motelzimmer, mit meinem Handy in der Hand und Hannahs Nummer auf dem Display. Meine Daumen schwebt etwa einen halben Zentimeter über dem grünen Hörer. Ich habe Angst davor, dass sie nicht hingehen wird, oder dass sie mich zum Teufel schickt, wenn ich sie jetzt anrufe. Aber ich kann das alles auch nicht so stehen lassen wie es vorhin geendet hat. Und nach einem kurzen tiefen Duchatmer, sammle ich meinen Mut und wähle ihre Nummer.

Nic
Ich bin erleichtert, als ich das Klicken am anderen Ende der Leitung und dann ihre Stimme höre. Immerhin will sie noch mit mir reden. Und ich kann auch nichts dagegen tun, dass der Klang ihrer Stimme noch immer dieses Gefühl in mir auslöst. So als wären die letzten 3 Jahre gar nicht passiert.
"Hey..." erwidere ich und brauch einen Moment um meine Gedanken zu sortieren. Was genau will ich eigentlich? Was soll ich sagen? Was KANN ich sagen? Irgendetwas um diese Situation besser zu machen... Nur was? "Können... können wir uns sehen...? Und reden... Ich.. ich hab einige Fragen.. Und ich will das Alles nicht so stehen lassen.."

Nic
"Klar." stehe ich schon vom Bett auf und winke Buddy zu mir, der schläfrig seinen Kopf hebt um mich neugierig anzusehen. "Ich bin gleich da." damit lege ich auf und schnappe meine Jacke. "Komm Buddy." pfeife ich ihn zu mir und er erhebt sich langsam und trottet an meine Seite. "Sorry, ich weiß du bist müde, aber du kannst bei Hannah weiterschlafen." strubble ich ihm durchs Fell.
Fünf Minuten später stehe ich mit Buddy an der Seite vor Hannahs Haustüre und starre einen Moment einfach nur auf das Holz. Ich hab immernoch keine Ahnung was ich sagen soll um das Ganze besser zu machen. Ich bin komplett durcheinander und in mir toben die Gegensätzlichsten Gefühle. Freude, Hoffnung, Angst, Nervosität, Wut, Trauer, Liebe, Verzweiflung...
Ich hebe meine Hand und klopfe vorsichtig und leise an, um Claire nicht zu wecken.