Hallihallo hallöchen
Ardan
Keine Ahnung, wie viel Zeit verging, aber schließlich wischte der Junge seiner Schwester den letzten Schmutzfleck von der Wange. Sie war sauber und ihre kleinen Schnittwunden hatte er bestens versorgt. Für einen winzigen Moment musste ich an Leora denken und daran, wie sie mich nach jedem harten Kampf zusammengeflickt hatte. Sie war es gewesen, niemand anderes.
Die blonde Heilerin von vorhin kam auf mich zu und reichte mir zwei Schüsseln mit Suppe. Ich hatte danach verlangt, immerhin mussten die Kinder etwas essen. Ob sie wollten oder nicht. Dem Gesichtsausdruck des Jungen zu urteilen, würde er das Zeug lieber in die Büsche schmeißen, aber der knurrende Magen seiner Schwester ließ ihn schwach werden. Sein Magen gab Sekunden später auch ein Knurren von sich.
Ich schmunzelte.
>Isst du nicht?< fragte er mich und begann die Suppe hungrig zu löffeln.
>Ich habe keinen Hunger. Und mit vollem Magen lässt es sich schwerer kämpfen, dann wird der Körper müde.< Der Junge hörte auf zu essen, ich lächelte. >Mach dir keine Sorgen. Ich bin mehr als fähig das Lager vor weiteren Gefahren zu schützen. Dir und deiner Schwester wird nichts passieren.<
Er brummte, aß weiter. Ella musterte mich weiterhin neugierig. Sie wollte etwas sagen, traute sich allerdings nicht. Wahrscheinlich weil ihr Bruder verboten hatte, mit "Fremden" zu reden. Dabei tat er es selbst. Beinahe musste ich breiter lächeln.
>Möchtet ihr eine Geschichte hören?<
Ella nickte mit aufleuchtenden Augen, der Junge hingegen zuckte desinteressiert mit den Schultern. Das war besser als ein deutliches Nein. Er würde zuhören, da war ich mir sicher.
Es war einmal ein großer König, der einen Zauberer darum bat, ihm einen wirklich mutigen Menschen für eine gefährliche Mission zu finden. Nach langer Suche brachte der Zauberer vier Männer vor seinen Meister. Der König wollte den Mutigsten herausfinden und der Zauberer sollte einen Test dafür erschaffen. So gingen der König, der Zauberer und die vier Männer an den Rand eines weiten Feldes, an dessen anderem Ende eine Scheune stand. Der Zauberer klärte über das Vorgehen auf: „Jeder Mann kommt einmal dran. Er wird zur Scheune gehen und bringen, was dort drinnen ist.“
Der erste Mann ging über das Feld. Plötzlich brauste ein furchtbarer Sturm auf – Blitze zuckten, Donner rollte und der Boden bebte. Der Mann zögerte. Er fürchtete sich. Als der Sturm immer stärker wurde, fiel er ängstlich zu Boden.
Dann ging der zweite Mann über das Feld. Der Sturm wurde so stark, dass er zum Orkan wurde. Der zweite kam weiter als der erste, doch schließlich fiel auch er zu Boden. Der dritte rannte los und überholte die anderen zwei. Aber die Himmel öffneten sich, der Boden zerteilte sich und die Scheune wackelte und krachte bedenklich. Der dritte Mann fiel zu Boden.
Der vierte begann ganz langsam zu gehen. Er fühlte seine Füße auf dem Boden. Sein Gesicht war weiß vor Angst. Er fürchtete sich am meisten davor, als Feigling da zu stehen. Langsam ging er an dem ersten Mann vorbei und sagte zu sich selbst: „Soweit ist alles gut mit mir. Nichts ist mir passiert. Ich kann ein Stückchen weiter gehen.“
So ging er Schrittchen für Schrittchen, zentimeterweise zur Scheune. Er gelangte schließlich dorthin und kurz bevor er den Türgriff berührte, sagte er: „Soweit ist alles gut mit mir. Ich kann noch ein wenig weiter gehen.“ Dann legte er seine Hand auf die Klinke.
Sofort hörte der Sturm auf, der Boden war wieder ruhig und die Sonne schien. Der Mann war erstaunt. Vom Inneren der Scheune kam ein schmatzendes Geräusch. Einen Moment lang dachte er, dass das etwas Gefährliches sein könnte. Dann dachte er: „Mir geht’s immer noch gut,“ und öffnete das Tor. Innen fand er ein Pferd, das Hafer fraß. Daneben stand eine weiße Rüstung.
Der Mann legte sie an, sattelte das Pferd, ritt zum König und dem Zauberer und sagte; „Ich bin bereit, mein König.“
„Wie fühlst du dich?“, fragte der König.
„Soweit ist alles in Ordnung mit mir,“ sagte der Mann.
(Osho – Zitat-Auszug aus The Divine Melody #4)
Während der Erzählung hatte der Junge irgendwann zu essen aufgehört. Stattdessen starrte er in seine Schüssel, bewegte sich kein Stück. Zuerst bebten seine Schultern, dann seine Lippen und schließlich tropften die ersten Tränen in seine Schüssel. Ella verstand nicht, warum ihr Bruder plötzlich weinte. Trotzdem wurden auch ihre Augen feucht und sie weinte mit.
Es pochte schmerzhaft in meiner Brust. Kinder... Wenn sie litten, quälte das meine Seele. Mit einem warmen, leichten Lächeln auf den Lippen beugte ich mich zu ihnen vor und legte jeweils eine Hand auf ihren Oberarm. >Ihr wart lange genug tapfer. Jetzt seid ihr in Sicherheit und soweit ist alles in Ordnung mit euch.< sprach ich sanft und ruhig.
Ella war die Erste, die Zuflucht in meinen Armen suchte, ihr Bruder brauchte einen Augenblick länger, ehe er sich seiner Schwäche hingab und sich weinend an meine Brust flüchtete. Mit einem leise gemurmelten Zauberspruch legte sich mein Umhang um die beiden, während ich sie weiterhin im Schneidersitz sitzend umarmte und ihnen Wärme spendete. Ihre Tränen nässten meinen Brustkorb. Jede einzelne brannte sich tief unter die Haut.
Alle Dämonen, insbesondere der Dunkle Lord, würden für jedes leidende Kind bitter büßen. Ich würde dafür sorgen, dass das Grauen sein Ende fand.
Jenaya
Da der Kampf mich viel Energie gekostet hatte, war mein Kopf nicht mehr in der Lage, wirre Bilder zu produzieren. Ich träumte nicht, sondern schlief tief und fest, eingeschlossen in einem Kokon aus Schwärze. Guter Schwärze. Die Art von Dunkelheit, die einen umgab, wenn man nach einem langen Tag die Augen schließen und bis zum nächsten Morgen durchschlafen wollte. Ich brauchte das. Ich brauchte die Ruhe, um unbewusst den Schrecken zu verarbeiten, der sich keine Stunde zuvor ereignet hatte.
Dabei fühlte ich mich unglaublich sicher, weil ich wusste, wer an meiner Seite war, um mich im Notfall zu beschützen. In Kenais Armen zu schlafen, fühlte sich unglaublich gut an. Er hielt mich fest, gab mir Wärme. Warum hatte ich das nicht schon früher ausprobiert?