Ardan
Zittrig griff ich nach Jadis' zierlicher Hand und drückte sie mit all der Kraft, die noch in meinem Körper schlummerte. Obwohl meine Lungen sich mit mehr und mehr Blut füllten und mir das Atmen deutlich schwerer fiel, schaffte ich es, den Kampf mit dem Tod mit all meiner Würde fortzusetzen. Nur noch ein bisschen. Nur noch ein wenig länger durchhalten.
>Ja...dis, du bist... kein Monster. Mir... tut e-es leid, es ist... allein meine Schuld. Damals... m-musste ich dir d-das... Herz...brechen, um... dich zu... beschützen.< Ich hustete, schmeckte Blut. >Mein Fluch... meine... Unsterblich...keit, sie war... durch dich... in... Gefahr. Vater wollte d-dich...umbringen. Das...konnte...ich...n-nicht zulassen.< Wieder hustete ich und diesmal verschluckte ich mich an meinem eigenen Blut. Rasselnd holte ich den nächsten Atemzug. Ich musste mehr sagen, mehr erklären. Aber wie? Jegliche Kraft verließ mich, ich konnte Jadis' wunderschönes Gesicht kaum mehr richtig erkennen. Es verschwamm, so als hätte man einen Schleier aus Nebel zwischen uns gehängt. Oder waren das etwa Tränen? Warum brannten meine Augen so fürchterlich?
>Oh? Was sehe ich denn da? Schwäche? Der große Halbdämon schwächelt? Wie herrlich... Ich wünschte, dieser Moment würde eine Ewigkeit andauern, aber da ich mich demnächst mit dem Dunklen Lord treffe, muss ich mich leider beeilen.< Sie seufzte theatralisch und ihre nächsten Worte drangen gedämpft in mein Gehör. >Da ich die Dinge gerne ordentlich abschließe, erkläre ich kurz, was mein lieber Halbbruder sagen wollte. Sein Unsterblichkeitsfluch hat nämlich einen Haken, wie man wohl sieht; und zwar die Liebe. Ekelhaft, aber wahr. Die Person, an die er sich mit dem Herzen bindet, ist die einzige Person, die ihm wirklich schaden kann. Sie macht ihn zu einem normalen Sterblichen. Was Ihr wunderbar hingekriegt habt, Prinzessin.< Wieder vernahm ich ein Lachen. Ich hasste es so sehr. Warum musste ICH sterben und sie nicht?
>Unser Vater erkannte damals ziemlich schnell, dass Ardan sein Herz an Euch verloren hatte und damit wart Ihr eine Bedrohung für ihn und seine großen Pläne. Ihr wart ihm ein Dorn im Auge, eine Schwachstelle, die es zu eliminieren galt. Er hätte mich damit beauftragt, Euch das Leben zu nehmen, aber Leora, unsere Pazifistin, musste sich natürlich einmischen und ihm einen Deal vorschlagen. Mit Erfolg, leider. Somit blieb meinem erbärmlichen Halbbruder nichts anderes übrig, als Euch das Herz zu brechen, damit Ihr weiterleben konntet. Herzzerreißend, ich weiß.< Wieder seufzte sie, als würde ihr die Geschichte nahegehen. Was für eine biestige Schauspielerin sie doch war. Wenn ich sie nur töten könnte... Ich würde es auf der Stelle tun.
>Er kam nie über Euch hinweg. Ein Weichei wie aus dem Buche. Keine Frau war ihm ausreichend genug, um Euch zu ersetzen. Erbärmlich, wenn Ihr mich fragt. Umso mehr habe ich seinen Schmerz genossen, als er sah, dass Ihr General Gilbert gewählt habt. Armer, armer Ari. Unerwiderte Liebe hat dich ja ganz schön weit gebracht.< Ihr amüsiertes Lachen klang irgendwie fern. War sie dabei zu verschwinden oder war ich selbst derjenige, der sich entfernte?
Die Kälte des Schnees hatte mich mittlerweile völlig im Griff, ich spürte nichts mehr, ich sah nicht einmal die Dunkelheit kommen, die plötzlich am Rande meines Sichtfeldes erschien. Leise Panik ergriff mich. Ich wollte nicht gehen. Ich wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht jetzt. Nicht, wenn ich so viele Menschen zurückließ, die meine Stärke brauchten.
Etwas Warmes floss meine Wangen hinab. Ein Zittern durchlief meinen Körper. >E-es...tut...m-m-mir leid. B-bitte... küm-m-mere... Zen.< Ich schaffte es nicht meine Lider länger offenzuhalten. Ich schaffte es nicht auch nur einen einzigen Muskel zu rühren. Ich schaffte es nicht einmal richtig zu atmen. Doch das Schlimmste war, dass Jadis nie die Worte hören würde, die mir seit unserem Wiedersehen auf der Zunge lagen.
Te amyal.
(Ich liebe dich.)
Jenaya
Erschüttert von der Wendung, die die Situation genommen hatte, ließ ich mich auf die Knie sinken; direkt in den von Blut getränkten Schnee. Es interessierte mich nicht. Ich war zutiefst schockiert, dass dieser Mann im Sterben lag. Weil er liebte und weil diese Frau, die seine Halbschwester war, genau diese Schwachstelle ausgenutzt hatte, um ihn zu töten. In was für einer kranken Familie war er bloß aufgewachsen? Wieso tat sie ihm das an?
Tränen stiegen mir in die Augen, als ich seine abgehackten Worte hörte. Sie waren von Schmerz und Trauer getränkt. Selbst Wut schwang in seiner brüchigen Stimme mit. Ich hatte die ganze Zeit über richtig gelegen. Er liebte Jadis. Er liebte sie so sehr, dass er sich von ihr ferngehalten hatte, um sie nicht in Gefahr zu bringen und nun bezahlte er den Preis dafür. Das war nicht fair. Das war schrecklich. Er hatte solch ein unwürdiges Ende nicht verdient. Er hatte es nicht verdient der Frau, die er zutiefst liebte, in die Augen zu blicken und endgültig Abschied zu nehmen, ohne je erfahren zu haben, wie es war neben ihr aufzuwachen und mit ihr im Arm einzuschlafen. So wie Kenai und ich es seit kurzem taten.
Tränen liefen mir über die Wangen. Diese Situation erfüllte mich mit solch tiefer Trauer, dass mir ein Schluchzen entrang. Ardan neigte leicht den Kopf zu mir. Der feurige Glanz in seinen einzigartigen Augen ließ Sekunde um Sekunde nach. Das Leben wich aus ihm wie das Blut aus seiner Wunde. Zu wissen, dass meine Heilmagie nicht stark genug war, trieb mir noch mehr Tränen in die Augen. Ich schluchzte auf. Weinte mit Jadis, deren Herz bestimmt in tausend Teile zersprang.
>Schnee...häschen... weinen...n-nicht.< presste er hervor und hustete den nächsten Schwall Blut. Meine Gedanken rasten, suchten verzweifelt nach einer Lösung. Ich merkte nicht, wie sich mein drittes Auge öffnete und mein Geist einem fernen Rufen aus der Zwischenwelt antwortete.
Erst als ich eine milchig weiße Erscheinung aus dem Augenwinkel wahrnahm, drehte ich den Kopf in die Richtung. Die Gestalt formte sich zu einer recht jungen, äußerst hübschen Frau. Sie hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit Ardan. Im Gegensatz zu anderen Geistern, die ich aus der Zwischenwelt traf, besaß diese junge Frau eine ziemlich blasse Aura. Als wäre sie nicht vollkommen. Als würde etwas Essenzielles fehlen.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie hob die schlanke Hand und ergriff zuerst das Wort. >Es ist zu früh für meinen Bruder die Lebenden zu verlassen. Das hier hätte nicht geschehen dürfen. Sein Fluch ist gebrochen, aber ich kenne einen Weg, sein tragisches Ende zu umgehen.< Selbst ihre Stimme klang weit entfernt, fast schon zu leise, um richtig verstanden zu werden. >Du bist in der Lage, die Geschichte umzuschreiben, aber das wird dich etwas kosten. Obwohl du das Recht hast zu verneinen, bitte ich dich trotzdem sein Leben zu retten. Die Welt braucht ihn. Er muss am Leben bleiben. Bitte.<
Meine Hände begannen zu zittern. Während die anderen sicherlich nicht das sahen, was ich sah, wusste ich, welches Risiko ich dabei war einzugehen. Wenn ich eines über meine Fähigkeiten gelernt hatte, dann dass man nie mit den Gesetzen der Zwischenwelt spielen durfte. Und doch steckte ich in dieser tragischen Lage fest. Ich wollte helfen. Ich wollte die beiden Liebenden retten. Wollte ihnen die Chance ermöglichen neu anzufangen. Große Taten erforderten große Opfer, oder nicht? In fast jeder Geschichte, die ich gelesen hatte, mussten Helden sowie Heldinnen Stücke von sich aufgeben, um Gutes zu bewirken. Ich strebte nicht danach eine Heldin zu sein, aber mein Herz hatte sich längst entschieden.
Ich schaute die junge Frau fest entschlossen an, nickte. >Sag mir, was ich tun soll und ich tue es.<