Ardan
Während Jadis sich zu den Leuten gesellte, die sich um die Toten kümmerte, traf ich mich mit den Generälen, die allesamt den Kampf überlebt hatten. Darüber war ich sehr froh. Soldaten brauchten ihre Führer. Sie brauchten Leute, an die sie fest glauben konnten, denn sollten wir untergehen, würden sie ihre Hoffnung verlieren und das könnte für alle tödlich enden.
Wir besprachen kurz den weiteren Vorgang, genauer gesagt, das nächste Ziel und beschlossen schon bald Rast zu machen. Alle waren nach diesem schweren Kampf sehr ausgelaugt. Neue Kräfte mussten her. Das war verständlich. Auch wenn ich mich stark genug fühlte, mich mit einem weiteren Dämon anzulegen, musste ich auf die Bedürfnisse meiner Leute hören, um keinen Unmut loszutreten. In Zeiten des Krieges waren alle genug angespannt. Jedes Wort könnte den nächsten Streit auslösen. Das wollte ich verhindern.
Jenaya
Ich streifte durch das verwüstete Gebiet und suchte nach irgendwelchen Überlebenden, die vielleicht unter den ganzen Spinnen begraben lagen. Bislang hatte ich niemanden gefunden, auch wenn ich mir Wunder stark herbeiwünschte. Dieser Kampf war äußerst kräftezehrend gewesen, dabei hatte ich mich nicht einmal mit einer echten Hohedämonin angelegt. Nur Jadis und Ardan war es zu verdanken, dass wir nun in Sicherheit waren.
Als ich über den nächsten Haufen übelriechender Spinnenreste stieg, rümpfte ich die Nase. In mir kam das Gefühl auf, mich hier und jetzt zu übergeben, doch ich hielt es zurück. Es war auszuhalten. Auf die Säure in meinem Hals konnte ich getrost verzichten. Da lauschte ich lieber den schmatzenden Geräuschen meiner Schritte. Oder den Stimmen, die sich erhoben. Stimmen der Verlorenen. Seelen, die versuchten zu begreifen, was hier geschehen war. Es bedrückte mich von ihnen Abschied zu nehmen. Nach allem, was wir durchgemacht hatten...
Schwer seufzend ging ich weiter und blieb dann abrupt stehen, denn neben den Stimmen hörte ich etwas anderes. Ein sanftes Summen. Oder ein Flüstern im Wind? Ich blieb stehen, lauschte. Das Geräusch wurde lauter, so als befände es sich in unmittelbarer Nähe zu mir. Gefahr? Wurden wir etwa wieder angegriffen? Mein Herz begann erneut schneller zu schlagen und ich war dabei nach Jadis und Ardan zu rufen, als mich ein Licht in Form eines Risses blendete und ein junger Mann hindurchtrat. Schwarzes, kurzes Haar, türkisfarbene Augen, seltsame Kleidung und... Katzenohren?
>Wie ich sehe, habe ich den richtigen Weg gewählt.< Obwohl der Klang seiner Stimme tief und rau war, lag eine sanfte Wärme in ihr, dass ich mit Gewissheit behaupten konnte, er gehöre zu den Guten. >Ist Sury-, o ich meine... Silia hier? Ich bin ihr Bruder. Envar.<
Envar
Silia
Ich materialisierte mich direkt neben Thales, der zusammenzuckte, als ich so plötzlich auftauchte. Er schüttelte den Kopf. >Daran muss ich mich noch gewöhnen.< murmelte er und zog daraufhin die Brauen zusammen, als er meinen Gesichtsausdruck sah. >Was ist los, Sonnenschein? Ist es wegen der Toten?<
Ich ließ mich neben ihm nieder und bettete meinen Kopf auf seinem Schoß. Ein schwerer Seufzer auf meinen Lippen. Das Brennen meiner Augen hatte nachgelassen, trotzdem blieb das schmerzhafte Pochen in der Brust. Ja, ich litt noch wegen der Toten, aber… >Er frustriert mich.< brummte ich.
Thales blieb kurz still, dann lachte er leise. >Irgendwie habe ich geahnt, dass es darauf hinausläuft. Ich bin nicht dumm, ich sehe, dass du eine Schwäche für ihn entwickelt hast.<
Innerlich verkrampfte ich mich. Es war eine Sache, sich diese Tatsache auszureden und eine andere, wenn jemand anderes sie laut aussprach. Dann wurde sie realer. Man konnte sie nicht rückgängig machen. Ich ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen fest aufeinander. Das alles war einfach nicht fair. Es war nicht fair, dass ich so empfand, obwohl ich es besser wissen musste.
Mein Freund strich mir kurz durchs Haar, während wir beide ins flackernde Feuer starrten, neben das er ein Lager aufgeschlagen hatte. >Weißt du… ich verstehe, dass du dich dazu verpflichtet fühlst, alle Herzenslichter zu beschützen, aber… du musst niemandem etwas beweisen. Du musst niemanden auf den rechten Weg zwingen. Denn im Endeffekt kannst du es nicht.<
Das waren nicht die Worte, die ich hören wollte, aber ich sagte nichts dazu. Ich ließ ihn reden. Thales hatte bislang bewiesen, dass eine alte Seele in ihm steckte, darum hörte ich ihm aufmerksam zu. >Menschen wie er können sich nur selbst aus dem Abgrund ziehen. Man kann ihnen einen helfende Hand reichen, aber wenn sie sie nicht annehmen, müssen sie eben den beschwerlichen Weg gehen. Den riskanten. Es ist nicht deine Pflicht, sie zu retten. Sie müssen sich selbst retten. Selbst einsehen, was ihnen entgangen ist und wo der Fehler wirklich liegt. Du kannst nicht mit jemandem glücklich sein, der mit sich selbst unglücklich ist. Und wie gesagt… es liegt nicht an dir dies zu ändern.<
Als er begann mir hinter einem Ohr zu kraulen, begann ich wohlig mit dem Schwanz zu wedeln. >Du bist weit und breit das einzig wahre Sonnenlicht, das wir haben. Im Krieg zeigen wir unsere hässlichsten Seiten, verborgene Gefühle kochen hoch… lass dich darum von niemandem in einen Abgrund ziehen, in den du nicht gehörst. Du gehörst da oben hin.< Er zeigte mit der freien Hand in den klaren Nachthimmel. >Frei, unbeschwert, ein Licht der Hoffnung. Auch wenn sich dein Herz nach dieser einen Sache sehnt, gibt es genügend Menschen, die dich auf andere Weise lieben.< Er lächelte auf mich herab und damit kehrte das Brennen in meine Augen zurück. >Warum liebst du bloß eine andere?< flüsterte ich unter Tränen.
Er zuckte mit den Schultern, grinste dabei schief. >Ich weiß, dass ich unwiderstehlich bin. Und ich weiß, dass es zwischen uns sowieso nicht funktionieren würde. Ich mag den Gedanken nicht, dass du mich irgendwann von der Spitze der Schwertkämpfer stoßen könntest. Da steht mein Stolz im Weg.<
Mir entwich ein belustigtes Schnauben. Dieser Kerl hatte wohl für alles eine Antwort. Doch genau das bewunderte ich an ihm. Dass er trotz allem diese Leichtigkeit trug, die mich jetzt deutlich besser fühlen ließ. Ich dankte ihm mit einem offenen Lächeln und schloss dann die Augen. Hier bei ihm fühlte ich mich sicher genug, in einen tieferen Schlaf zu fallen.