Hanabi
Wie durch einen Schleier sah ich einen weiteren dunklen Schemen. Noch ein Wolf? Würden mich beide nun töten? Zittrig atmete ich ein, ganz flach, weil der Schmerz in meinem Körper unerträglich war. Ich war ein einziges Bündel aus Schmerz und gleichzeitig spürte ich die Wunde an meiner Wade nicht. Nicht einmal ein Pochen. Tränen schossen in meine Augen, als ich daraufhin Blut roch. Es war ein ekelhaft stechender Geruch und brannte mir in der Nase. Wie lange ließen sich diese Wölfe denn noch Zeit? War das Absicht? Warteten sie darauf, dass ich vor Angst starb? Dass ich meinen Wunden erlag, weil es ihnen mehr Genugtuung schenkte?
Ein Schluchzen bahnte sich meine Kehle hinauf und dann war da plötzlich eine Stimme. Eine laute Stimme. Vertraut. Panisch. Ich blinzelte mehrmals, trieb die Tränen fort und legte all meine Energie in meinen Sehsinn. Ich wollte sehen, ich wollte wissen, wer hier war, wer sich mir näherte. Hatte ich zuvor die Wunde an meinem Bein nicht gespürt, setzte wenige Sekunden später ein Brennen ein, das mich krampfhaft zusammenzucken ließ. Es fühlte sich an, als hätte man Brennnesselsaft in mein Blut gemischt. Überall brannte es, ich keuchte auf und kämpfte gegen den Drang an mich zu übergeben. Ich hätte sowieso keine Kraft dazu. Aber eine Sache wurde mir überdeutlich bewusst.
Fenrir war hier. Er war bei mir und versuchte mir zu helfen. Nun konnte ich die Tränen doch nicht zurückhalten. Tränen der Erleichterung, der Dankbarkeit, weil er mich vor meinem sicheren Tod bewahrt hatte. Schluchzend bewegte ich meine Hand durch das Gras, bis sie sein Knie traf. >Bitte... halt mich.< krächzte ich schwach, während ich das Brennen zuließ, weil es mich daran erinnerte, dass ich noch am Leben war, dass mein Körper nicht den Geist aufgegeben hatte. Ich schaute schräg hoch zu meinem Retter und klammerte mich an das warme Gefühl fest, dass ich nicht mehr alleine war. Ich würde nicht sterben. Vor allem nicht allein.
Malevor
Während ich mir absolut sicher war, dass Fenrir der Spur von Hanabi folgte, raste ich zwischen den Bäumen auf direktem Wege zu Taiga. Ich wünschte, ich steckte nicht in diesem jungen Körper fest, weil ich mich dann hätte verwandeln und diese ganze Sache binnen Sekunden beenden können. Mitzuerleben, wie jemand verletzt wurde, den du liebgewonnen hattest, das war... das war unendlich grausam. Unerträglich. Umso schlimmer war es, wenn die Vorstellung zur Realität wurde. Dass das kostbare Blut den Boden tränkte und bitter roch, weil ich nicht hatte früher eintreffen können. Dass ihr Fell nicht lebendig glänzte, sondern an Magie verlor, weil dieser verdammte Wolf seinen Platz nicht kannte. Es kostete mich nur wenige Augenblicke, als ich mein Ziel endlich erreichte, die Hand tief zwischen die Rippen des Feindes bohrte und den Weg zum Zentrum seines Daseins fand. Fleischig und schleimig, genauso fühlte sich sein Leben an. Stille befiel ihn, die Stille brachte ihn dazu, seine widerlichen Pfoten von ihr runterzunehmen und das Gebiss zu lockern, sodass er sie nicht mehr tödlich würgte. Am liebsten hätte ich ihn hier und jetzt stundenlang gefoltert, aber mir drängte sich nur eine einzige Frage auf.
Mit finster funkelnden Augen stürmte ich in seinen Geist hinein und suchte nach demjenigen, der ihn hierher geschickt hatte. Der gewusst hatte, dass die Mädchen hier waren, ohne uns in ihrer Nähe. Als ich die Antwort fand, riss ich ihm das Herz aus der Brust und warf es achtlos zu Boden, wo ich es mit einem einzigen Tritt zerquetschte. Sein Körper fiel dumpf in sich zusammen, ein leerer Ausdruck in den dunklen Augen. Wie in Trance kniete ich mich dann vor Taiga hin und starrte ihre Wunden hilflos an. Ich konnte sie nicht heilen. Nicht mit meinem Blut. Es würde sie innerlich zerfressen und ihr einen qualvollen Tod bescheren. >Es tut mir leid.< flüsterte ich mit belegter Stimme. Mir taten zu viele Dinge im Leben leid, das hier ganz besonders.
Mit bebender Hand streichelte ich sie am Kopf und tat das Einzige, wozu ich in der Lage war. Die Stille einsetzen, um ihr den Schmerz zu nehmen, damit sie nichts hiervon fühlen musste. >Du wirst nicht sterben, Taiga. Es ist noch viel zu früh für dich.< fügte ich mit mehr Kraft in der Stimme hinzu. Wenn ich daran glaubte, dann musste sie auch daran glauben. Im nächsten Moment nahm ich ihr den Schmerz und zwang ihren Körper dazu, langsamer zu bluten. Da ihr momentaner Wille aufs Überleben geschaltet war, gehorchte sie mir und ich atmete erleichtert auf, als daraufhin diese Flusskatze erschien. Sie drückte ihren Kopf gegen den Bauch von Taiga und wie durch ein Wunder floss Wasser über den gesamten Körper, bedeckte die Wunden und heilte sie mit einem bläulichen Schimmer. Es war wunderschön. Ich wünschte, ich hätte solche Kräfte bekommen... die der Heilung und nicht derZerstörung.