Cael
Er bedachte Ilea mit einem wohlwollenden Blick, ehe ihm der Korb in meiner Hand auffiel. Ihm entwich ein leiser Seufzer. >Da habe ich wohl wieder meine Bestellung vergessen.<
>Das passiert im hohen Alter.< winkte ich schmunzelnd ab und stellte den Korb auf einem hohen Stapel Bücher neben der Theke ab. Hier wimmelte es nur von Geschichten aus allen Regionen des Landes. Auch Schriftrollen steckten in quadratischen Fächern entlang der Wände und luden zum Stöbern ein. Tabito kommentierte meine Aussage indes mit einem Schnauben. Er konnte einstecken wie ich, darin waren wir beide gut.
>Willkommen in meinem bescheidenen Buchladen, Ilea-san. Du darfst dich gerne umschauen und dir eine Lektüre aussuchen, wenn es in deinem Interesse ist.< sagte er in seinem freundlichsten Tonfall. Den hörte man selten, seit ich ihn kannte. >Darf ich mir auch etwas aussuchen?<
>Erst nach deiner nächsten Meditation. In der Zwischenzeit kannst du dich hiermit beschäftigen.< Papier raschelte, während er seine unordentlichen Stapel durchwühlte, bis er das richtige Dokument fand und es mir auffordernd hinhielt. >Vielleicht hilft es dir bei deinem Problem.< Mit Problem meinte er wohl meinen sich wiederholenden Traum, von dem ich bruchstückenhaft erzählt hatte, um nicht zu viel von meinem eigentlichen Problem zu verraten. Ich hatte gehofft, dass ein Meister wie er mir auf die ein oder andere Weise weiterhelfen könnte, aber bislang waren seine Ideen gescheitert. Als ich einen Blick auf das Stück Papier warf, entdeckte ich zunächst eine ziemlich bunte Zeichnung eines sehr fürchterlich aussehendes Yokais. Dargestellt mit dem Kopf eines Elefanten, einem eher stämmigem Rüssel, kleinen Ohren, vier Füßen mit je vier Klauen, einen gelockten Schwanz und dem Körper und der Mähne von einem Löwen erschien mir das kein netter Gefährte zu sein.
>Seine Abstammung ist zwar ungewiss, aber Baku ist ein wohltätiger Yokai. Er kann böse Träume verschlingen, wenn du ihn zu dir rufst. Einen Versuch wäre es wert. Er wurde schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesichtet.< klärte mich Tabito weiter auf, nachdem er meinen kritischen Ausdruck bemerkt hatte. Ich zog die Brauen zusammen und betrachtete weiter das Bild.
Imesha
Das zu hören, erschütterte mich zutiefst. Ich konnte beiden die Narben, den Schrecken dieser Nacht am Gesicht ablesen. Vor allem die vielen Verluste. Darunter meine eigenen. Inzwischen zitterte meine Hand, die in Ryus lag und seine Wärme stand im starken Kontrast zu der Kälte, die mich überfiel. Amara zerrupfte beinahe das Tuch zwischen ihren Fingern, als sie die weiteren Ereignisse beschrieb. Ihre Augen glänzten feucht. Sie hatte im Kampf ihren geliebten Mann verloren. Ihre große Schwester, zu der sie stets aufgeblickt hatte. Es waren zu viele Yokai gewesen, zu viel schwarze Magie, die alles und jeden verschlungen hatte. Schwarzer Nebel. Rauch, der in den Lungen brannte. Große Flächen getränkt in Blut und Asche. Der reinste Horror. Dass ich mich nicht daran erinnern konnte, war vielleicht doch ein Segen. Ich hätte nicht damit leben können.
>Wir dachten, das sei das Ende. Alles, was wir aufgebaut hatten, einfach… weg. Du hättest wie alle anderen Kinder und ihre Familien fortgebracht werden sollen, es war der Wunsch deiner Eltern, als sie dich Ysera übergaben. Sie wollten gemeinsam mit den anderen Gründungsmitgliedern und unseren besten Kämpfern das Übel lange genug aufhalten, um euch einen Vorsprung zu gewähren. Nur hat das nicht wie geplant funktioniert. Wie gesagt… ein Ereignis, das für immer im Gedächtnis bleibt.< Sie schloss die Augen, ein bitterer Zug um ihren Mund. >Wir fanden Zuflucht in den Bergen. Dort, wo ihr Drasil getroffen habt. Er gewährte uns Schutz in den Höhlen. Wir dachten, alle hätten es geschafft, aber bei all dem Chaos, den Unruhen und der überwältigenden Angst war es schwer den Überblick zu behalten.< Sie atmete schwer aus. Was folgte, schien ihr viel Kraft abzuverlangen. >Ysera hätte dich gemeinsam mit ein paar anderen Kindern in die Berge fliegen sollen. Aus eigener Erfahrung weißt du, dass das nie passiert ist. Niemand weiß genau, was sich zugetragen hat. Erst nachdem der Morgen anbrach, sind Rakurai und seine Truppe losgezogen, um nach weiteren Überlebenden zu suchen. Leider… leider erfolglos.<
>Noch heute habe ich diese düsteren Momente, wo ich mir meine Erinnerungen nehmen lassen möchte. Ihr wollt die Bilder nicht kennen, die ich an dem Morgen zu sehen bekam. Und ich will es auch nicht beschreiben. Egal, wie viel Zeit vergeht, diese Wunden heilen nie. Man lernt irgendwie damit zu leben und trotzdem…< Rakurai fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und wirkte plötzlich um einiges älter. >… Ich war derjenige, der deine Eltern fand. Und eine Weile später fanden wir Yseras Leiche. Zumindest das, was von ihr übriggeblieben war. Der Körper eines Drachen verliert nach dem Tod nicht an Wert. Das hat sich Kaiser Oda, oder was auch immer sie umgebracht hat, zunutze gemacht. Nur du… du und zwei weitere Kinder wurden vermisst. Alle anderen…< Kummervoll blickte er auf seine Hände hinab. >Es war der mit Abstand schlimmste Tag unseres Lebens.<