Cael
>Ein ungebetener Gast.< Unbeeindruckt griff er nach seiner Peitsche und löste sie vom Gürtel. >Ziemlich mutig von dir allein herzukommen. Mutig oder… äußerst dumm.< Er ließ die Peitsche warnend in der Luft knallen. Wollte er mir damit Angst machen? Mich irgendwie verunsichern? Lächerlich. Genauso lächerlich wie der riesenhafte Yokai, der tief grollend neben uns erschien und ihm offenbar gehorchte.
>Er stört.< sagte ich mit eisiger Stimme und schoss einen gewaltigen, roten Schattenblitz auf das Monster ab. Es folgten eine ohrenbetäubende Explosion und zersprengte Mauerbrocken, die quer durch die Luft flogen. Dabei starrte ich dem Hauptwachmann direkt in die dunklen Augen. Er blieb stehen und schien darüber nachzudenken, ob ich nicht doch eher mutig statt dumm war. So oder so sah es schlecht für ihn aus. In dem Moment, als er mich angriff, unterschrieb er sein Todesurteil. Da konnte mir selbst seine verfluchte Peitsche nichts anhaben. Meine Schatten schützten mich vor seiner schmerzhaften Wirkung und ich wich seinen Schlägen geschickt aus. Mein Körper bewegte sich anders als zuvor. Fließender, schneller, stärker. Er landete keinen einzigen Treffer. Ich hingegen schon. Ein Fausthieb in den Magen, der nächste ins Gesicht und zusätzlich ein fester Tritt gegen die Rippen. Er flog mehrere Meter durch die Luft, ich setzte nach, wurde aber von weiteren schlangenartigen Yokai aufgehalten. Um sie kümmerten sich sogleich zwei Anukaki. Ich wollte nur diesen Mann bluten sehen. Mit der nächsten geballten Hand ausholend, verfehlte ich knapp sein Gesicht, als er sich rechtzeitig zur Seite rollte und ich einen tiefen Krater in den Boden schlug. Das Blatt hatte sich gewendet. Er war der Gejagte, nicht ich. Vielleicht spürte er meine Mordlust, das dringende Bedürfnis ihn für seine Taten zu bestrafen.
Er versuchte mit einem weiten Sprung Distanz zwischen uns zu schaffen, doch ich kam ihm zuvor und ließ ihn gegen eine Barriere in der Luft prallen. Zeit zum Reagieren ließ ich ihm keine. Ich packte ihn von vorne am Kragen und schleuderte ihn mit aller Gewalt zu Boden. Wäre er ein einfacher Mensch, hätte ihn das platt gemacht, doch sein massiger Körper sowie sein Können retteten ihm das Leben.
Bestrafe ihn.
Meine Fäuste waren schneller als meine Gedanken. Ich schlug auf ihn ein, als wäre er nichts weiter als ein Sack voll Reis. Er steckte jeden Hieb ein. Ihm blieb auch nichts anderes übrig, weil er gegen mich nicht ankam. Jeder Faustschlag steigerte sich in Stärke und Schnelligkeit. Knochen brachen. Blut spritzte zu Boden, auf seine Kleidung, auf meine.
Töte ihn.
Der nächste Hieb riss seinen Kopf dermaßen gewaltsam zur Seite, dass ich glaubte, ich hätte ihn mit bloßen Händen geköpft. Nichts dergleichen passierte. Stattdessen fiel er wie ein entwurzelter Baum um und blieb reglos liegen. Tot. Ich hatte ihn getötet und fühlte absolut nichts dabei. Unter anderen Umständen würde mich das alarmieren, aber der Rausch vom Kampf war zu wild, um an Reue oder Konsequenzen zu denken. Skira gab einen zufriedenen Laut von sich. Würde sie direkt vor mir stehen, hätte sie sicherlich stolz in die Hände geklatscht.
Der Kampf
Ich atmete schwer aus und lockerte die blutigen Fäuste. Da ich keine weitere Sekunde hier verbleiben wollte, eilte ich zu Gawain zurück, der weiterhin bewusstlos blieb. Wieder überkam mich die sengende Wut und beinahe wünschte ich, ich könnte den Hauptwachmann zurück zum Leben erwecken, nur um ihn qualvoller zu töten. Er hätte es verdient. Wie so viele andere Leute hier, die täglich Übles vollbrachten. Die Anukaki und Schatten kümmerten sich um sie im Gefängnis, aber sie würden verschwinden, sobald ich fort war. Vorsichtig hob ich Ileas Vater auf meinen Rücken und erschuf einen Schattenspalt vor mir.
Am besten du kehrst an den Platz deines Verschwindens zurück. Die Barriere Mahomashus würde wegen deines unwillkommenen Eindringens in sich zusammenbrechen, warnte mich Skira vor.
Hier ist das nicht passiert, weil der Schutzschild aus dunkler Magie gespeist wird, die mit deiner Schattenmagie kompatibel ist. Das ergab Sinn. Ich dankte ihr für die Vorwarnung und trat durch den Spalt. Der Boden wechselte von grauem Stein zu verbrannter Erde. Über mir verdeckten graue Wolken den Himmel. Es regnete leicht. Ich stand inmitten eines Kraters. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor kurzem ein Dorf mit Menschen gewesen war. Oder ein blutiger, lebensgefährlicher Kampf. Es war niemand zu sehen. Auch kein Tier. Keine Fliege. Stille umfing mich. Dann entdeckte ich golden glühende Risse im Boden, die sich über das ganze Gebiet erstreckten. Irritiert zog ich die Brauen zusammen. Was war hier während meiner Abwesenheit passiert?
Gawain regte sich mit einem tiefen Schnaufen. Sein entkräfteter Körper zitterte leicht. Er brauchte unbedingt Hilfe. Einen Heiler. Mit bloßen Augen war die Insel nicht zu erkennen, aber sie musste irgendwo in der Nähe sein. Skira schlug vor Schatten auszusenden, um eine Botschaft zu vermitteln, doch das würde nur für Aufruhr sorgen. Schatten wurden sofort mit Gefahr gleichgesetzt und ich wollte keine weitere Panik ausbrechen lassen. Mir blieb nur eine einzige Möglichkeit, von der ich hoffte, dass sie funktionierte. Ryu hatte mir diesen Trick in unseren Jugendjahren beigebracht. Obwohl ich kein bisschen Luftmagie beherrschte, gab es einen magischen Spruch, der es ermöglichte Nachrichten über größere Distanzen zu entsenden. Wie ein flüsternder Windhauch. Auf diese Weise hatten wir manchmal kommuniziert. Ob der Zauber auch durch die Barriere der schwebenden Insel wirkte, würde sich zeigen. Zur Not würde ich auf die Schatten zurückgreifen.
Ich rief mir die Worte in Erinnerung, murmelte sie in der richtigen Reihenfolge und spürte daraufhin einen sanften Windhauch, der an meinem Gesicht vorbeihuschte und verschwand. Nachdem das erledigt war, legte ich Gawain auf dem ebenen Boden ab und versuchte beim Anblick seiner eingesunkenen Wangen und den tiefen, dunklen Augenringen ruhig zu bleiben. >Bald wird es dir besser gehen.< versicherte ich ihm leise.
Imesha
Roselyns Auftauchen hätte mich beinahe in Alarmbereitschaft versetzt. Oftmals überbrachte sie schlechte Neuigkeiten und bisher hatte der Tag viel Schlechtes in unsere Leben gebracht. Umso erleichterter war ich zu hören, dass Ilea Hinweise gefunden hatte, die Caels Überleben bestätigten. Das war ein großer Schritt nach vorne. Jetzt mussten wir nur noch darauf hoffen, dass er den Weg zurück zu uns fand. In der Zwischenzeit würden wir uns gut um Ileas Körper kümmern, solange sie auf seine Rückkehr wartete.