Cael
Hoffentlich hatte ich Ilea mit all den Informationen nicht erschlagen. Wenn es um die Geisterwelt ging, konnte ich stundenlang darüber reden, da es einen großen Teil meines Lebens ausmachte. Ilea wirkte jedoch nicht überfordert, sondern gestand mir die nächste Sache aus ihrer Vergangenheit. Ich sog jedes einzelne Wort in mich auf, stellte sie mir als kleines Mädchen vor, das unwissentlich einem Geist dabei geholfen hatte seinen Weg zu finden. So war es mir damals auch ergangen und ich fand es schön diese Erfahrung mit jemandem teilen zu können.
>Manche Schicksale treffen einen sehr hart, vor allem wenn es um Kinder geht.< Ich senkte den Blick auf unsere Hände und widerstand dem Drang unsere Finger miteinander zu verschränken. >Manchmal passiert es, dass Geister nicht auf die andere Seite übertreten können, weil ihre Liebsten es nicht zulassen. Der Schmerz des Verlustes und der Wunsch an ihnen festzuhalten, egal wie, bindet die Seele an unsere Realität. Anketten trifft es eigentlich sogar besser.< Ernst sah ich Ilea an. >Gerade eine Mutter, die ihr Kind verliert, würde alles tun, um es zurückzuholen. Dadurch bindet sie den Geist ihres Kindes an ihren Schmerz, ihren Kummer und später vielleicht ihre Wut auf die Ordnung der Dinge. Anfangs tut der Geist alles, um den Kummer mit seiner Präsenz zu mildern, aber sie wissen nicht, dass sie damit permanent die negative Energie der Trauernden in sich aufnehmen. Folglich werden sie relativ schnell zu verbitterten Seelen und das wiederum macht sie zu Schatten. Es ist zwar verständlich, dass man seine Liebsten nicht gehen lassen möchte, aber noch schlimmer ist es, wenn man wüsste, welchen Schaden man anrichtet, wenn man denjenigen nicht gehen lässt. Oftmals sind es genau diese Fälle, die ich in meiner Heimat löste und es erforderte sehr viel Feingefühl dem trauernden Menschen genau das zu erklären. Viele wollten das gar nicht hören. Ich wurde teils aus den Häusern rausgeschmissen und durfte zusehen, wie die Geister litten und schließlich zu Schatten wurden.< Ein bitterer Zug legte sich um meinen Mund. >Eines musst du dir merken, Ilea. In der Welt der Geister darfst du nichts erzwingen. Du darfst nie gegen die Regeln spielen, sonst baust du einen Widerstand auf, der dich heftig treffen kann. Meine Mutter, sie...< Ich seufzte schwer und fuhr mir mit der anderen Hand durchs Haar. Auch wenn ich es selbst nicht erlebt hatte, fühlte ich mich bei dem bloßen Gedanken daran schrecklich. >Sie rettete das Leben eines Mannes, der eigentlich hätte sterben sollen. Damit brach sie das größte Tabu. Und sie bezahlte den Preis mit ihren Erinnerungen. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr erinnert sie sich an nichts mehr und es kann sein, dass ihr einige noch gestohlen werden. Die Rechnung ist nicht beglichen, egal wie intensiv ich an einer Lösung gearbeitet habe, sie vergisst das ein oder andere, was mir jedes Mal aufs Neue das Herz bricht. Sie ist die herzlichste Person, die ich kenne, aber das spielt in der Zwischenwelt keine Rolle. Die Amnitoren finden einen immer wieder.< Unbewusst hielt ich Ileas Hand fester und atmete schwer aus. Ich hatte lange Zeit dieses Thema verdrängt und mit niemandem mehr darüber geredet. Es wunderte mich selbst, dass ich ausgerechnet jetzt davon erzählte.
Imesha
Im Nebenraum herrschte angespannte Stimmung, da das Eintreffen des Kaisers nicht unbemerkt blieb. Er trug diese drückende Aura mit sich, dass jeder um ihn herum den Schwanz einzog und Platz machte. Dann ertönte die Stimme des Leiters, der uns durch den festlichen Abend führen würde und ein kleiner Applaus folgte. Nun war es Zeit für Hinakos ersten Gesangsauftritt, der von einer koto begleitet wurde - eine mit 13 Saiten bespannte Wölbbrettzither, die wunderbare Klänge von sich gab. Vorausgesetzt man besaß Talent dafür, was bei diesen Leuten hier der Fall war. Einige von ihnen übten mehrere Stunden am Tag, so wie ich manchmal draußen am See.
Diesmal lag zwar kein Eis unter meinen Füßen, aber um zu tanzen, benötigte ich bloß Musik. Nichts weiter. Während andere sich mit ihrer Stimme oder irgendwelchen Instrumenten ausdrückten, tat ich es mit meinem ganzen Körper. Deshalb war ich auch nicht aufgeregt. Ich machte das nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal. Wäre jemand im Publikum, dem ich diesen Tanz widmen wollte, wäre ich eventuell nervös. Ich vermutete dasselbe bei Hinako, deren Gesang jede Ecke des Saals erreichte und einem unter die Haut ging. Sie war zu recht die beste Sängerin in diesem Land, deshalb wunderte es keinen, dass ausgerechnet der Kaiser sie wie seine kostbare Nachtigall behandelte. Ihr lagen die Leute zu Füßen, niemand redete schlecht über sie. Nicht wie es bei mir der Fall war. Nur wenn ich tanzte, sah man mich mit anderen Augen, doch trafen sie im Flur auf mich, wandten sie den Blick ab oder nannten mich wie Zhaou seltsam.
Als der nächste Programmpunkt verkündet wurde, ging ein Ruck durch meinen Körper und ich ließ alle sinnlosen Gedanken hinter mir. Ließ sie zurück im Nebenraum, um in eine neue Rolle zu schlüpfen. Die der leidenschaftlichen Tänzerin. Kurz schaute ich zu Hinako, die nun am Rande der Bühne stand und mir mit einem freundlichen Lächeln zunickte, welches ich höflich erwiderte. Dann bezog ich Stellung, wartete auf ihren Einsatz und ließ meinen Körper sprechen.
Der Tanz