Cael
Es fiel mir eindeutig schwer ihr ausschließlich ins Gesicht zu sehen, wenn sie nur mit einer Schicht Kleidung vor mir auf dem Boden hockte. Natürlich beruhigte es mich, dass ihr nichts widerfahren war, aber meine Gedanken drifteten kurz in eine andere Richtung, als sie mich erneut mit einer spontanen Umarmung überraschte. So als suche sie Zuflucht bei mir. Wärme explodierte in meiner Brust.
Dann erklärte sie uns, was genau sie aufgebracht hatte und meine Augen weiteten sich. Dabei sah ich zum Geist, der plötzlich erschienen war und von einer Erinnerung sprach, die Ilea wohl gesehen hatte. Sie hatte offenbar ihre Miko-Gabe genutzt. >Das ist... schwer in Worte zu fassen. Also... Erst einmal bin ich sehr beeindruckt, dass deine Fähigkeit bei einem Geist so gut geklappt hat, andererseits kann ich deine Verwirrung gut nachvollziehen.< Ich erwiderte sanft die Umarmung und streichelte ihr behutsam den Rücken. >Wenn ich eines von meinen Eltern gelernt habe, dann, dass es keine Zufälle gibt. Wir sind wie Flüsse, die zu einem bestimmten Ziel fließen.< Die Worte meiner Mutter. Sie verglich das Leben gerne mit dem Element Wasser, da sie eine enge Beziehung dazu pflegte. In meinem Fall war es völlig anders, aber wo sie recht hat, hat sie recht. >Was, wenn dieser Geist noch da ist, um eine Botschaft von deiner Mutter zu vermitteln? Das könnte ein guter Grund sein, warum sie noch unter uns Lebenden weilt.< Wieder sah ich hoch zum Geist. >Vielleicht ist das deine Aufgabe, bevor du Frieden finden kannst.<
Imesha
Ich verstaute den Korb mit Überresten im üblichen Versteck unter zwei Holzdielen und bedeckte die lockeren Bretter mit dem schlichten Teppich, auf dem schöne Sakura-Blüten abgebildet waren. Diesen Teppich hatte ich vor einigen Jahren auf dem Markt erstanden. Motaro hatte mich begleitet und ihn mir regelrecht aufgezwungen, weil mein Zimmer sonst zu trostlos wirkte. Ich erinnerte mich noch gut an sein lachendes Gesicht, an das breite Grinsen und dem lebendigen Glanz in seinen goldbraunen Augen. Ich vermisste ihn. Ihn und Sumire. Jeden Tag hoffte ich, dass es besser wurde, aber ich kam nie wirklich über sie hinweg. In meinen Gedanken waren sie wie Geister, die besonders nachts zum Vorschein kamen. Tagsüber war es besser, denn da konnte ich mich mit anderen Dingen ablenken und da ich heute ausnahmsweise nicht arbeitete, beschloss ich in die Stadt zu gehen. Ich wusste nicht mehr, wann ich einfach so, ohne Hintergedanken, mich dort umgesehen hatte. Zwar herrschte nicht die beste Jahreszeit, um die schönen Seiten der Stadt auf sich wirken zu lassen, aber den ein oder anderen Platz wollte ich gerne erkunden. Vielleicht würde ich sogar etwas Schönes zum Kaufen finden, beispielsweise neue Kleidung.
Zufrieden mit meiner Idee zog ich mir schnell einen gemütlichen, warmen Umhang über, der in schlichten Farben gehalten war und schlüpfte in knöchelhohe Schuhe, damit kein Schnee eindrang. Den Beutel mit Gold trug ich ebenso bei mir, wo ihn keiner unter der Schicht Kleidung vermutete. Anschließend brach ich auf und begab mich zum Kansun-Viertel. Dort verkehrten die Reichen und Schönen.