Ryu
Langsam konnte ich keine Schriftrollen mehr sehen, auch wenn ich eigentlich gerne das Wissen mochte. Aber wenn man stundenlang am Ausräumen war bis die Hände davon sich auf unangenehme Art trocken anfühlten und die Nase von all dem Staub immer wieder juckte, dann hatte man irgendwann auch satt die Schriftrollen anzusehen. Ich wusste nicht was Gojo-sama damit bezwecken wollte. Ob er tyrannisch sein wollte oder wirklich das Archiv neu aufpolieren wollte ohne dabei selbst sich die Mühe machen zu müssen. Denn er war natürlich wieder in dem Nebenraum verschwunden. Die Wachen im Archiv waren heute nicht anwesend gewesen, anscheinend wurden sie abgezogen und woanders eingesetzt. Vielleicht hatte das Archiv keine besondere Priorität mehr oder man wollte uns nur in die Sicherheit wiegen. Aber bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl gehabt, dass man mich genauer unter die Lupe genommen hatte und da ich mich gegenüber Imesha neutral verhalten hatte wie bei allen Anderen, konnte ich auch keinen Verdacht geschöpft haben. Dennoch war ich aufmerksamer als sonst. Ich glaubte irgendwas braute sich zusammen.
Ilea
Aus der Küche wehte ein köstlichen Duft hervor, ein Duft der Zuhause. Schon in meine ganze Kindheit hatte Otōsan schon immer gekocht, auch damals im Dorf. Da war unser Gasthaus nur viel kleiner gewesen, da nicht viele Reisende sich dorthin geirrt hatten. Aber die Bewohner kamen regelmäßig und statt immer mit Münzen zu bezahlen, hatten sie mit ihren angebotene Waren getauscht. Zum Beispiel Eier, ein Huhn oder ein frisch gebackenes Brot. Auf diese Weise waren wir gut über die Runden gekommen, auch wenn wir wenig verdient hatten. Nur weil wir immer wieder ein paar Münzen zurückgelegt hatten, hatten wir uns damals das jetziges Gasthaus leisten können und durch Unterstützung von Sobo Makoto. Ich setzte mich an dem Tisch und versuchte die Falten auf meinem Kimono glatt zu streichen. Sobo Makoto kam zu mir und tätschelte meine Wange: "Du siehst heute viel gesünder aus, als in den letzten Tagen. Die rosige Wangen machen dich besonders hübsch." Ich wurde verlegen, denn ich kannte den Grund für meinen Zustand und ich ahnte sie wusste es auch. Jetzt kam auch Otōsan und setzte sich gegenüber mir hin. Stirnrunzelnd musterte er mich: "Du warst die letzte Nacht nicht im Wohnhaus gewesen und du scheinst auch bei deine neue Freundin nicht gewesen zu sein, ansonsten hättest du sie eben beim Essen Gesellschaft geleistet." Ich errötete mich und nervös verschränkte ich meine Finger ineinander: "Ich war bei Cael gewesen. Es ist nichts passiert!" Nun, damit bezog ich, dass wir nicht den Akt durchgeführt hatten. Aber ich würde ihm nicht erzählen können, dass wir uns geküsst und eng aneinander geschlafen hatten. Es gab Dinge, die konnte man einfach nicht seinem Vater erzählen. Bevor Otōsan erwidern konnte, platzte ich als Nächstes heraus: "Wir haben nämlich Gefühle füreinander entwickeln. Da mochten wir uns noch nicht trennen, weil wir uns endlich gefunden haben, nachdem wir eine Auseinandersetzung gehabt haben. Ich weiß, es war von mir unschicklich mit ihm alleine in einem Raum zu schlafen. Aber ich wollte sichergehen, dass alles kein Traum gewesen ist und ich auf ein neues Glück hoffen darf." "Hör zu, Ilea", seine Miene war ernst und ich wusste er hatte was Wichtiges zu sagen. Beklommen sah ich ihn an, er würde mir doch nicht die Beziehung zu Cael verbieten? "Als dein Vater möchte ich natürlich dein Bestes und dich am Liebsten vor der ganze Welt beschützen. Als dein Vater fällt es mir schwer dich loszulassen, besonders wenn ein anderer Mann einen besonderen Platz bei dir einnimmt, zuerst war es Mattwei gewesen und jetzt Cael. Aber ich weiß du muss deinen eigenen Weg gehen, dein Leben selbst gestalten und daher habe ich mich immer bemüht dir auch die Freiheit zu geben. Ich schätze Cael, er hat dir dein Lächeln nach all den Jahren zurückgeholt und er hat auf dich aufgepasst, als ich es nicht konnte. Er ist ein guter Kerl und genießt mein Vertrauen. Solange er dir nicht wehtut, habe ich keinen Grund ihn vor die Tür zu setzen." Er machte kurz eine Pause und griff sanft nach meiner Hand: "Aber vor allem vertraue ich dir, Ilea. Es ist wichtig auf seinem Herz zu hören, besonders wenn es sich richtig anfühlt. Besonders wenn es um die Liebe geht. Lass dich nicht von den unsinnigen Regeln bestimmen, was man vor allem als Frau vor der Ehe nicht tun darf. Jeder soll das Recht haben lieben zu dürfen ohne dafür verurteilt zu werden. Liebe ist eine Herzensangelegenheit und deswegen sollst du deinem Herz folgen, denn nur so kannst du auch dein Glück finden. Du allein bestimmst, was du möchtest oder was du nicht möchtest. Du allein weiß, was fürdich richtig ist. Deine Herzensangelegenheiten gehen den Anderen absolut nichts an." Er drückte meine Hand und schien tief einzuatmen: "Es gibt etwas, was du nicht über deine Mutter und mich weiß. Wir waren in Wirklichkeit niemals verheiratet gewesen. Ich wollte sie gerne heiraten, aber für sie bedeutete die Ehe, dass die Frauen unterworfen werden und sie war in der Meinung Liebe braucht keinen Vertrag. Ich habe ihren Wunsch respektiert. Wir ließen alle glauben wir seien verheiratet, denn da begann die Herrscherzeit von Kaiser Oda und alles was "anders" war, wurde verurteilt. Nach dem heutigen Gesetz würde man dich als ein uneheliches Kind bezeichnen und du würdest gesellschaftlich sehr niedrig stehen." Er schüttelte den Kopf: "Wieder etwas, was völliger Blödsinn ist. Was ich eigentlich sagen möchte, ich bin froh, dass du wieder Jemanden in deinem Leben gefunden hast, der dich zum Lächeln bringen kann."