Zen
Ich sah von Willow zu der kleinen Gestalt in meinen Händen, die sich entspannt zusammenrollte und die Äuglein schloss. Mein Herz weitete sich. So viel Niedlichkeit auf einmal war zu viel des Guten und doch hatte ich nicht vor sie abzugeben oder allein hier im Garten zurückzulassen. >Da ich keine Ahnung von diesen Dingen habe, überlasse ich dir gerne die Entscheidung, wo sie schlafen soll.< sagte ich an Willow gerichtet. Vielleicht musste sie in der Nähe von Pflanzen bleiben. Oder Wasser. Oder an einem feuchtwarmen Platz. Sogar Hoku beschloss ins Haus zu kommen, was untypisch für ihn war, aber ich freute mich, dass er sich ebenso für das kleine Wesen verantwortlich fühlte wie wir.
>Sind alle Baumgeister so süß?< flüsterte ich hingerissen.
Kersia
Auf dem Weg in mein Zimmer machte ich einen kurzen Abstecher in das Schlafgemach meiner Mutter, denn laut den Wächtern hatte sie sich früher zurückgezogen. Sie hatte sehr viel zu tun in letzter Zeit und obwohl ich ihr mehr half als sonst, hatte ich das Gefühl, dass meine Bemühungen nicht reichten. Königin von Atlantia zu sein konnte einem verdammt viel abverlangen. Wie sollte man da noch Zeit für etwas anderes außer zum Regieren finden? Der Gedanke rief ein beklemmendes Gefühl in mir hervor. Aus einem unerklärlichen Grund dachte ich wieder an den kurzen Abschiedskuss und schüttelte resigniert den Kopf.
Ich atmete tief durch, kündigte mich mit einem Klopfen an und schwamm in den majestätisch geschmückten Raum. Mutter saß auf ihrem großen, gemütlichen Bett. Ohne Krone. Ohne aufwendige Frisur oder viel Schmuck. Nur eine einfache Sirene, die aufsah und ihre Tochter mit einem müden Lächeln begrüßte. Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so lange vergnügt hatte, während sie hart arbeitete. Keine Ahnung, seit wann mich das störte. Sonst hatte es mich auch nicht viel gekümmert, wenn ich viel feiern war und meinen Spaß in anderen Gewässern suchte. Erst in letzter Zeit...
>Wie war der Spieleabend? Hat es dir gefallen?< erkundigte sich meine Mutter, während ich mich neben sie niederließ. Ich zuckte gleichgültig mit der Schulter, als wäre der Abend keine große Sache gewesen, aber das kleine Lächeln verriet mich. Dann spürte ich erneut das Echo eines sanften Kusses auf meinen Lippen und mein Inneres füllte sich mit kleinen Blubberbläschen. >Ich habe den dreien Geschenke aus dem Veria-Riff mitgebracht. Sie haben sich sehr darüber gefreut.<
>Soso, du hast wertvolle Schätze gestohlen und verschenkt.< bekam ich die mahnende Antwort, nur kannte ich das Funkeln in den ozeanblauen Augen zu gut, um mich schuldig zu fühlen. Ich lächelte schief und bemerkte kaum, wie meine Finger nach einer ihrer langen, dunklen Strähnen griffen. Aus einer Gewohnheit heraus begann ich daraus einen kleinen Zopf zu flechten und sie tat dasselbe bei mir. Der wilde Strudel aus Emotionen legte sich ein wenig.
>Ich soll dir außerdem von Jahwe ausrichten, wie dankbar er für deine Unterstützung ist.< fiel mir einen Augenblick später ein. Mutter summte leise, als sie die nächste Strähne wählte. >Auch wenn sich ein Teil von mir dagegen sträubt die Heißen Quellen abzugeben, ist es das, was Thales gewollt hätte. Einen rechtmäßigen Erben.<
>Mmh, nach allem, was ich über ihn erfahren habe, hätte er sicher dich gewählt.< Kaum waren die Worte draußen, wünschte ich, ich könnte sie zurück in meinen Mund stopfen. Thales blieb ein sensibles Thema, auch wenn sie seinen Namen zuerst erwähnt hatte. Sie hielt in der Bewegung inne, den Blick auf ihre Finger gesenkt, dann lächelte sie dieses traurige Lächeln, das mir jedes Mal das Herz brach. >Er hätte mir niemals noch mehr Verantwortung aufgebürdet. Ich war es, die damals beschlossen hat sein Reich zu führen. Denn wäre es nach ihm gegangen, hätte Ardan die Heißen Quellen übernommen.<
Überrascht sah ich auf. Das hörte ich zum ersten Mal. >Warum?<
Sie konzentrierte sich weiter aufs Flechten und neben der Traurigkeit schlich sich ein Hauch von Liebe in ihre Stimme. >Das war wohl seine Art mir zu sagen, dass ich zu viel arbeite und das Leben mehr genießen soll.<