Chastity Ruth

Als Dorian zurückkehrte, fuhr er sich seufzend über den Nacken. Ich sah zu ihm und er setzte sich auf den Stuhl. Obwohl das Wohnzimmer klein war, hatten die beiden viele Möbel herein gestellt. "So leicht kommen wir wohl nicht zum Schloss... Ein guter Freund von mir ist auf meine Bitte dahin gegangen. Das Ergebnis ist schlecht: Überall Wachen und ein paar Presseleute. Wir können nicht ohne Weiteres unentdeckt in den Wald. Vielleicht haben Sie dein Handy auch gefunden - wobei es dann entweder in den Nachrichten wäre oder wir nichts davon wüssten, weil Mrs. Corraface uns das nicht sagen würde. Und in den Nachrichten war es nicht, also kann zweites zu treffen: Mrs. Corraface Leute haben dein Handy gefunden und sie hat es nun, was sie wahrscheinlich dann zerstört hat oder versteckt." Ich nickte, es war also nichts Unerwartetes. "Ruhe dich aus und wir reden morgen darüber weiter, okay?", fügte er hinzu und stand wieder auf. "Du kannst in meinem Schlafzimmer schlafen. Ich gehe in das von Hayden. Das Bett ist frisch bezogen. Gute Nacht, Ruth." "Danke, Dorian", sagte ich und er nickte nur schmunzelnd. "Dafür nicht, Ruth." Er lief aus dem Wohnzimmer und langsam stand ich auf, um schlafen zu gehen.

Gute Nacht.

Chastity Ruth

In der Nacht schlief ich schlecht, da ich ständig Albträume hatte und nur schwer einschlief. Immer wieder träumte ich von dem Kampf mit Mrs. Corraface, von ihren grausamen Worten; von meiner besorgten Familie und traurigen Freunden; und von Christopher. Er stand mit dem Rücken zu mir in einem Raum und als ich diesen betrat, drehte er sich nicht um. Ich lief zu ihm und berührte sanft und beunruhigt seine Schulter. Als er sich umdrehte, sah ich seinen verletzten Blick und er sah unglücklich aus. "Du hast mich alleine gelassen", sagte er und wich von mir zurück. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, doch er lief an mir vorbei. Ich wollte ihm folgen, doch Mrs. Corraface stellte sich mir in den Weg und zückte ihren Dolch. "Dummes Mädchen", lachte sie und es wurde alles schwarz.

Chastity Ruth

Am nächsten Morgen wachte ich unausgeschlafen auf und stand langsam auf. Mein Fuß tat nicht mehr so weh wie gestern. Schnell zog ich mich um und lief in das Wohnzimmer, wo ich Dorian vorfand. "Lasse uns heute zu dem Schloss gehen", sagte ich bestimmt und er runzelte die Stirn. "Geht es dir gut? War der Aufprall gestern vielleicht zu stark?", erwiderte er verwirrt und ich schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht warten, Dorian. Mit jeder Sekunde, die vergeht, wird es wahrscheinlicher, dass das Handy gefunden wird. Sie suchen das ganze Gelände ab, da bin ich mir sicher." "Ich kann dich verstehen, Ruth. Aber wir können nicht einfach zum Schloss gehen. Wir müssen erst schauen, wie die Situation ist. Was, wenn sie dich festnehmen und wir den Beweis nicht finden? Wie sollen wir dann beweisen, dass das alles ein Schauspiel von Mrs. Corrface ist?" Seufzend strich ich eine Strähne hinter mein Ohr und sah aus dem Fenster. "Also gut... Aber wir sollten uns beeilen, Dorian." "Du willst Christopher suchen, nicht wahr?", fragte er mich plötzlich und ich nickte. "Gut, ich werde telefonieren und schauen, was wir machen können." "Danke", erwiderte und er nickte freundlich.

Chastity Ruth

Er telefonierte eine halbe Stunde, bis er zu dem Wohnzimmer zurückkehrte und sich auf das Sofa setzte. "Wir können möglicherweise heute Abend dahin. Aber ich muss noch auf die Nachricht eines guten Freundes warten. Er hat ein paar Kontakte und hat herausgefunden, dass heute Abend weniger Wachen dort sein werden." Ich nickte und fragte dann: "Geht es dir gut?" Seufzend rieb er sich die Augen und ließ die Schultern hängen. "Ich frage mich, wo Hayden ist", sagte er und klang sehr besorgt um seinen besten Freund. "Wenn du möchtest, kannst du in der Wohnung bleiben, falls Hayden zurückkommt und keinen Schlüssel dabei hat", schlug ich freundlich vor und er sah hoch. "Danke, Ruth. Aber ich werde mitkommen. Es ist das Mindeste, was ich tun kann, wie gesagt", erwiderte er bestimmt und stand wieder auf. "Doch bevor wir aufbrechen, werde ich noch mit ein paar Leuten telefonieren. Vielleicht hat irgendjemand etwas gehört oder gesehen, vielleicht weiß jemand, wie ich ihn erreichen kann." Ich nickte verständnisvoll und er lief wieder aus dem Raum. Leise seufzend lief ich in die Küche, um etwas zu trinken.

Chastity Ruth

Dorian lief in die Küche und rieb sich den Nacken, während er zu dem Kühlschrank ging. "Konnte die irgendjemand etwas über seinen Aufenthalt sagen?", fragte ich möglichst taktvoll und er schüttelte seufzend den Kopf. "Nichts, er ist einfach verschwunden. Am liebsten würde ich zu Mrs. Corraface gehen und Sie fragen, was passiert ist! Aber Sie würde es mir nicht verraten. Ich habe auch gefragt, ob jemand Christopher gesehen hat oder etwas von ihm gehört hat. Es tut mir leid, Ruth... Auch bei ihm konnte mir keiner etwas sagen." Ich nickte nur und sah die Fliesen vor mir an. "Danke, Dorian." Er drückte kurz meine Schulter, ehe er ein Glas aus dem Schrank holte, um etwas zu trinken. "Wie es scheint, können wir heute Abend zu dem Schloss. Wir sollten vorher planen, wie wir vorgehen. Das ganze Gelände abzusuchen könnte lange dauern. Erinnerst du dich denn ungefähr, wo das war?" "Ja, in der Nähe einer Lichtung und eines großen Brunnens." Nachdenklich stützte er sein Kinn und sah dann auf. "Okay, ich weiß, welchen Ort du meinst. Das hilft uns natürlich ungemein, wenn wir nicht jeden Fleck des Geländes absuchen müssen. Es ist besser, wir bleiben immer in der Nähe des anderen. Und noch etwas: Es wird heute einen Sturm geben, deshalb haben wir nicht viel Zeit." Ich nickte und wir sprachen weiter darüber, wie wir vorgehen sollten.

Gehe off, gute Nacht.

Dorian

Nach einer Weile merkte ich, dass Ruth wieder in Gedanken versank. Ich wusste, an wen sie dachte und konnte verstehen, dass sie sich nicht gut fühlte. Sie hatte sicher Schuldgefühle und Gewissensbisse, Christopher alleine gelassen zu haben. Ich war mir sicher, dass sie sich fragte, wo er nun war.
Ich sagte ihr Bescheid, dass ich uns etwas zu essen holen würde, bevor wir aufbrechen würden. Obwohl sie meinte, für sie wäre es nicht nötig, ließ ich mich nicht um überreden. Wenn man genauer hinsah, erkannte man die Blässe in ihrem Gesicht und die Augenringe. In ihren blauen Augen lag ein trauriger, besorgter Ausdruck.
Ich lief zu der Pizzeria und holte zwei Pizzen, mit denen ich zu der Wohnung zurückkehrte. Heute Abend mussten wir sehr vorsichtig sein.

Dorian

Während ich durch die Straßen lief, fragte ich mich, wie ich Ruth klar machen konnte, dass sie im Augenblick nichts tun konnte, um Christopher zu finden. Sie musste zuerst ihre Unschuld beweisen, denn sonst lief sie Gefahr, von Mrs. Corraface Leuten oder der Polizei gefasst zu werden. Doch ihre Gedanken schienen nur um ihn zu kreisen. Ich konnte sie verstehen, wusste, dass es schwer war, wenn man sich um eine Person sorgte, die man liebte. Als ich an Helga denken musste, verdrängte ich die Gedanken schnell.
Etwas stimmte nicht. Ich betrat die Wohnung und sagte: "Ich bin zurück. Ich habe zwei Pizzen geholt. Ruth...? Ruth!" Sie war nicht mehr in der Wohnung. Doch wohin könnte sie gegangen sein? Es waren keine Spuren von einem Kampf zu sehen oder war sie überrascht worden? Was war passiert? Ich sah in jedem Raum nach, doch ich fand nichts. Sie hatte auch nicht viel bei sich gehabt. Scheiße, was war passiert?

Dorian

Wo könnte sie nur sein? Beunruhigt lief ich in der Wohnung auf und ab- Plötzlich klingelte es an der Tür. Schnell lief ich zu dieser und erstarrte, als ich schaute, wer es war, bevor ich die Tür aufriss. "Mann, wo warst du? Du hast mir einen Schrecken eingejagt!" Hayden lief kommentarlos in die Wohnung und klopfte sich den Schlamm von seiner Jacke. "Frage nicht. Zuerst musste ich aus einer blöden Höhle herausfinden, in die mich diese Kröte hat bringen lassen. Dann musste ich an den ganzen Wächtern vorbei... Bis ich hierhin gekommen bin und das zu Fuß hat es lange gedauert!" Ich begriff. "Hast du die Nachrichten nicht geschaut?", fragte ich ihn gedehnt. "Welche Nachrichten?" Sichtlich verwirrt runzelte er die Stirn. "Das Schloss ist nicht mehr da - und Mrs. Corraface ist angeblich gestorben. Ruth soll sie ermordet haben." "WAS?" Seine Augen weiteten sich. "Hast du nicht das zerstörte Schloss gesehen?" Er schüttelte den Kopf. "Ich war im Wald und bin in Richtung Eingang gelaufen, statt zu dem Schloss. Wo ist Ruth?" Ich zuckte mit den Schultern. "Vor zwanzig Minuten war sie noch hier! Und dann ist sie verschwunden." "Sie war hier?" "Ja", sagte ich und nickte. "Sie war es nicht. Sie hat Aufnahmen auf ihrem Handy, die ihre Unschuld beweisen. Aber das Handy hat sie auf dem Gelände fallen gelassen." "Hat sie dir irgendetwas gesagt, wohin sie geht?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein!" "Wenn du sagtest vor zwanzig Minuten wäre sie noch hier gewesen, dann kann sie gar nicht so weit weg sein! Los, lasse uns uns sofort auf die Suche machen!"

Dorian

Unsere Suche dauerte Stunden, doch wir fanden sie nirgendwo. Sie schien verschwunden zu sein und unsere Sorge wuchs. Was, wenn sie tatsächlich von den Mrs. Corraface Leuten gefasst worden war? Wie sollten wir sie finden? Und wo? Hayden schlug irgendwann vor, dass wir zu dem Schloss gingen, um ihre Familie zu informieren. "Es wird Christopher nicht gefallen, dass zu hören... Er ist sicher schon angeschlagen, weil Ruth einfach fortgegangen ist...", murmelte Hayden und mir fiel ein, dass er es noch nicht wusste. "Christopher ist auch verschwunden", sagte ich und Hayden sah mich aus großen Augen an. "Christopher auch? Sind die beiden also zusammen...?" "Nein", ich schüttelte den Kopf, "Sie wollte ihn suchen, aber dafür musste sie zuerst ihre Unschuld beweisen." "Also ist die Situation heikel...", seufzte Christopher und ich nickte. "Aber so was von."

Dorian

Wir erreichten das Schloss wenig später und liefen sofort in das Wohnzimmer. Dort waren die meisten Familienmitglieder und es herrschte eine angespannte, traurige Stimmung in dem Raum. Annette hatte gerötete Augen und auch Elvea schien kaum geschlafen zu haben. Trevor, der immer witzig gewesen zu sein schien, schaute ernst aus dem Fenster. Mrs. Prentiss war blass und schien voller Sorge zu sein. "Hallo, Mrs. Prentiss", sagte Hayden und nickte ernst. Alle in dem Raum wandten sich zu uns und Flora schaute Hayden säuerlich an. "Was tust du hier?", fragte sie ihn und das lenkte die Aufmerksamkeit kurz auf sie. Sie räusperte sich und sah ihn dann abwartend und missbilligend an. "Wir wollten fragen, ob ihr etwas von Christopher oder Ruth gehört habt." Annettes Augen füllten sich und Elvea nahm sie in den Arm. Sie sah uns bittend an. Ich verstand und nickte leicht. Also waren beide immer noch verschwunden...
Plötzlich betrat Mr. Prentiss den Raum, dicht gefolgt von Erik.