Devante
Ich lächelte unsere kleine Schwester an, als sie mir einen Wangenkuss gab und schaute dann zu Daragh. > Diesmal ist es ein Bogen mit drei Pfeilen.< klärte ihn auf, worauf Oonagh begeistert in die Hände klatschte. > Zeig mal her.<
Ich krempelte die Ärmel meines Leinenhemds hoch und entblößte somit auch meine anderen Tätowierungen. Darunter das frische Tattoo, das Lucian vorhin gestochen hatte. Ihre Augen leuchteten bei dem Anblick auf. > Ich will auch ein Tattoo haben.<
> Nein.< sagten Mutter und ich gleichzeitig. > Du bist noch viel zu jung dafür, außerdem ziemt sich das für eine Frau nicht. Wir sind schöner ohne Bemalungen am Körper.<
Da ich nichts hinzuzufügen hatte, blieb ich stumm und begann zu essen. Ich musste das Hungergefühl in meinem Bauch stillen, während sich ein vertrautes Kribbeln in meinen Waden bemerkbar machte. Castor und Pollux sehnten sich nach einem anständigen Lauf. Zwillingspferde, die je an einer meiner Waden ihre Ruhe fanden, wenn ich sie zu mir rief. Ich besaß sie dank einer Charta, die ich vor vielen Jahren in einem Wald fernab von Althea gefunden hatte. > Ich ziehe mich nachher schnell um, dann können wir was trinken gehen.< sagte ich zu Daragh.
Idoya
Um zur Bibliothek zu gelangen, musste ich erst einmal ins noblere Viertel. Es graute mir davor, diesen schrecklichen Ort aufzusuchen, auch wenn die Häuser mit ihren schicken Fassaden einen sehr einladenden Eindruck machten. Ich hielt mich bedeckt, so gut es eben ging und überlegte derweil, wie ich in die Bibliothek gelangen sollte. Zum ersten Mal spielte ich tatsächlich mit dem Gedanken, irgendwie dort einzubrechen. Man konnte mir doch nicht das Wissen verwehren. Wissen, das ich brauchte, um meinem Vater zu helfen.
Wenn ich nicht schon in den Schlossgarten gelangen konnte, um mich in den Kräutergärten auszutoben, musste ich wohl oder übel diesen Weg wählen.
Unglücklicherweise traf mich der ein oder andere unwillkommene Blick eines Bewohners dieses Viertels, doch ich ließ mich davon nicht verscheuchen. Ich bedeckte mein Haupt mit der Kapuze des Mantels trotz der hier vorherrschenden Hitze der Mittagssonne. Hinter mir wurden Stimmen lauter. Zunächst glaubte ich, das läge an mir, aber als ich über die Schulter sah, entdeckte ich einen Jungen, der um sein Leben rannte. Sein gehetzter Gesichtsausdruck erinnerte mich an so viele Kinder, die etwas verbrochen hatten, für das sie schwer bestraft werden konnten. Mein Herz zog sich zusammen.
Ich sah nach links und nach rechts, ehe ich in eine kleine, verwinkelte Gasse schlüpfte und rechtzeitig nach dem Arm des Jungen griff, der überrascht nach Luft schnappte. Er stolperte über seine Füße, doch ich fing ihn auf. > Kletter über den Zaun dort hinten, dahinter ist eine kleine Straße, die parallel zur Marktstraße verläuft. Tauch schnell unter die Menschen und verhalte dich ruhig, so als würdest du bloß einen Spaziergang machen. Hier...< Ich zog meinen Mantel aus und reichte ihn ihm. Zwar war dieser Mantel etwas zu lang für ihn, aber er passte bestens hinein.
Er sah mich verwirrt an, aber ich schob ihn bereits Richtung Zaun. > Los, lauf.< Ihm lag etwas auf der Zunge, doch sobald er die lauter werdenden Stimmen der Wachen vernahm, gab ihm das genug Anstoß, um die Flucht zu ergreifen.
Ich setzte mich mit dem Rücken an die Wand des Gebäudes und schlang die Arme um meine angewinkelten Beine, als auch schon drei Wachen auftauchten. Sie sahen mich mit scharfem Blick an. > Hast du einen Jungen gesehen? Diesen kleinen Dieb?<
Ahnungslos schüttelte ich den Kopf.