Devante
Der letzte Brief war der schönste. Der schönste in seinen Worten. Ich musste unwillkürlich lächeln, weil Yelva selbst solch schöne Dinge gesagt haben könnte. Sie und Elaine ähnelten sich in der Tat. Zeile für Zeile näherte ich mich dem Ende des Briefs, als meine Sicht zu verschwimmen begann. Mit einem Auge war ich geradezu blind, aber ich wusste, woher dieser Nebel kam. Ich driftete in vergangene Erinnerungen ab. In eine Zeit, in der ich einst als anderer Mann gelebt hatte.
In diesem Landabschnitt ist es besser, wenn man am Boden bleibt und nicht mit einem Pferd über die Kronen der Bäume hinwegfliegt. Hier lauern mehr Gefahren, wilde Tiere und Einheimische, die Fremde nicht dulden. Das perfekte Versteck. Vorerst. Ich habe bereist einen groben Plan, wohin ich Elaine bringen kann, ehe sich unsere Wege für immer trennen. Gestern habe ich nämlich geträumt. Etwas, was mir nicht oft passiert, denn es gibt nichts, wovon ich träumen möchte. Aber dieser Traum war anders. Es war eine Warnung. Eine Warnung an mich, den Verräter. Sie sind mir dicht auf den Fersen. Sie haben eine Spur und sie werden nicht lange brauchen, um zu mir zu finden. Und wenn sie sehen, dass die Prinzessin bei mir ist, werden sie sie zurück nach Liones bringen und ihren Plan fortsetzen. Sie zu ihrer Marionette machen.
Grimmig starre ich den blonden Schopf vor mir an, während wir gemächlich durch den Wald reiten. Wir sind seit zwölf Tagen unterwegs. Ich habe es tatsächlich zwölf Tage mit einer Frau ausgehalten und gebe ungern zu, dass Elaine eine sehr angenehme Gesellschaft ist. Sie redet nicht viel, auch wenn sehr viel Unausgesprochenes in ihren hellen Augen liegt. Sie gehorcht, wenn ich ihr etwas sage und sie flüchtet nicht, obwohl sie es hätte tun können. Ich hätte sie nicht aufgehalten. Warum auch? Sie ist ihr eigener Boss.
Als wir einen Höhleneingang erreichen, lasse ich mein Pferd anhalten und steige ab. Wortlos nehme ich unser Proviant in die Hand und begebe mich in die Höhle. Der Mond schickt derweil silberne Strahlen durch die Baumkronen und erhellt den Weg, sodass mir die Orientierung leicht fällt. Außerdem höre ich das vertraute Rauschen eines wilden Flusses ganz in der Nähe. Nachher werde ich unsere Wasserbeutel auffüllen, denn sie sind fast leer. Wasser ist nämlich überlebenswichtig. Ein Mensch schafft es nur drei Tage ohne Wasser, dann stirbt er.
Mit einem gelangweilten Seufzer verfrachte ich Decken und Beutel in eine Ecke, beginne das Lager aufzubauen und stelle erst verspätet fest, dass Elaine noch immer nicht in der Höhle ist. Normalerweise folgt sie mir auf Schritt und Tritt, als wäre sie mein Hund, aber heute nicht. Komisch.
> Elaine?< rufe ich nach ihr, während ich nach draußen gehe und mein Pferd alleine stehen sehe. Es tänzelt unruhig auf der Stelle und schnaubt in eine bestimmte Richtung. Kein gutes Zeichen.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, setze ich mich sofort in Bewegung, passiere dicht aneinanderstehende Bäume und komme dem Rauschen des Flusses immer näher. Wohin ist dieses Weib verschwunden? Hat sie etwa zwölf Tage mit ihrer Flucht gewartet? Warum? Was hat sie dazu bewogen, nun doch das Weite zu suchen? Wieso will ich nicht, dass sie geht? Ehe ich mir weitere sinnlose Fragen stellen kann, lande ich auf einer kleinen Anhöhe, direkt über einem blausilbern schimmernden Fluss und entdecke eine mir vertraute Gestalt. Nur scheint etwas nicht mit ihr zu stimmen.
> Elaine!?< rufe ich ein weiteres Mal, doch sie dreht sich nicht zu mir um. Nein, sie geht weiter auf den Fluss zu, Schritt für Schritt, während ihre Haut seltsam zu schimmern beginnt. Ein Ruck geht durch meinen Körper. Ich springe von der Anhöhe und eile auf sie zu. Ist sie bescheuert? Versucht sie sich gerade das Leben zu nehmen? > Elaine!< brülle ich. Wieder ohne eine Reaktion ihrerseits.
Wenige Meter trennen mich von ihr, ich lege einen Zahn zu und schnappe rechtzeitig nach ihrem Arm, bevor sie sich in der Wildheit des Wassers verlieren kann. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass mir ihre gläsern schimmernde Haut schaden würde. Eine Sekunde. Mehr ist nicht nötig, um meine Hand in Glas zu verwandeln. Ich zucke zusammen, lasse jedoch nicht los. Nicht, solange Elaine in dieser Trance gefangen ist.
Ich drehe sie wütend zu mir herum, ignoriere den Nebel in ihren Augen und schüttele sie durch. Immer und immer wieder sage ich ihren Namen, bis sich der Nebel lichtet und sie mich wiedererkennt. Ihre Augen werden groß, der Mund steht ihr offen. > Vi-Vindar?<
> Ja, das ist mein Name, Prinzesschen.<
Als sie merkt, dass ich sie nach wie vor festhalte, schiebt sie mich abrupt von sich weg. > Du darfst mich nicht berühren! Halt Abstand zu mir, sonst... oh nein.< Sorge und Enttäuschung zeichnen sich auf ihrem Gesicht ab. Ihr Blick ruht auf meiner gläsernen Hand, das Blau zieht sich sogar bis zu meinem Ellbogen, aber das braucht sie im Moment nicht zu wissen. Sie sieht dermaßen verloren aus, dass ich keine Worte finde.
> Was ist passiert? Was war mit dir los?< will ich wissen. > Wolltest du abhauen?<
Etwas flackert in ihren Augen und weil ich diese Emotion zu gut kenne, weiß ich, dass es sich dabei um Wut handelt. Das erste Mal zeigt sie solch eine Reaktion. Ich war noch nie faszinierter von einer Person und verdrehe nicht wie sonst die Augen, als sie mir ihren Zeigefinger in die Brust bohrt. Ein seltsamer Schlag, ein Poltern regt sich darin.
> Ich habe allen Grund dazu, von hier zu verschwinden und meinen eigenen Weg zu gehen. Immerhin bist du und die dunklen Krieger daran schuld, dass ich keine Familie, keine Heimat und keine... Zukunft mehr habe. Ihr habt mir alles genommen.< Ihre Stimme zittert. > Alles.< Nun beginnt auch ihr Körper zu zittern. > Ich habe niemanden mehr.<
Idoya
Gemeinsam mit den Flüssen bahnte ich mir einen Weg zum funkelnden See, an dem der Wasserstamm lebte. Es war, als könnte ich alles wie durch einen Spiegel sehen. Die Bewohner gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach und ich entdeckte Aria unter ihnen. Sie unterhielt sich gerade mit zwei jungen Männern, ehe ihr Blick zum See wanderte. So als hätte sie meine Anwesenheit gespürt.
Ich rief nach ihr, keine Ahnung, wie genau das funktionieren sollte, aber sie schien mich zu hören. Ihre Augen weiteten sich kurz überrascht, dann eilte sie zum Ufer, kniete sich hin und tauchte die Hände ins Wasser. Mein Geist schwebte zu ihr. Ich umfasste ihre weichen Hände und spürte im nächsten Moment die starke Verbindung.
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »talia« (01.12.2017, 14:03)