Hey du
Ich hab mein altes Handy geschrottet und jetzt übergangsweise mein ganz altes, da hab ich aber deine Nummer nicht drauf gespeichert, magst du mir die per PN schicken?
Nic
Ich bin komplett gefangen in meiner eigenen Verzweiflung, in den Schuldgefühlen und der Trauer, dass ich das was um mich herum geschieht gar nicht mehr wirklich mitbekomme. Als ich auf einem eine sehr vertraute Hand spüre, die nach der meinen greift, werde ich mit einem Ruck aus diesem Teufelskreis der Emotionen gezogen. Ich reiße meinen Blick von dem Sarg am Altar vorne los und drehe Hannah meinen Kopf zu. Meine erste Reaktion ist, ihr meine Hand zu entziehen, so zu tun als würde mich das alles nicht so sehr interessieren, so tun als wäre ich der gefühllose Soldat den mein Vater doch so gerne aus mir gemacht hätte.
Ihre Worte klingen wie durch Watte zu mir hindurch und für ein paar Momente schaffe ich es nicht mich von ihrem Gesicht loszureißen. Da ist nur sie und ihre Stimme und ihre Hand die meine hält und mir Kraft gibt. Ich spüre eine einzelne Träne meine Wange runter laufen und Hannah hebt ihre Hand um diese sanft wegzuwischen.
Egal was passiert ist, egal was zwischen uns war, Hannah allein versteht wie es mir in diesem Moment geht und anstatt es zu ignorieren, anstatt sich wegzudrehen oder nur zu schauen tut sie das einzige was mir in diesem Moment helfen würde, mir beistehen. Für mich da sein. Und das in einer Weise, in der nur sie jemals für mich da war.
In diesem Moment weiß ich, dass ich sie liebe. Es ist egal, dass das alles Jahre her ist. Es ist egal, was passiert ist und dass sie ein Kind von einem anderen Kerl hat. Es ist alles bedeutungslos, weil nur sie und ich zählen.
Die Stimme des Pastors reißt mich aus dem Augenblick heraus und ich wende meinen Blick von Hannah ab zurück nach vorne. "Keith Miller wollte die Grabrede halten. Keith, komm doch nach vorne." ich sehe wie mein Bruder aufsteht, nach vorne geht, sich hinter das Pult stellt und anfängt von unserer Kindheit zu erzählen. Wie unsere Mutter immer für uns da war und wie sie die weltbesten Brownies gebacken hat... Wie sie uns beim Bau des Baumhauses geholfen hat, das später zum Treffpunkt einer ganzen Generation werden sollte und wie sie dieses immer mit frischem Obst bestückte, um sicher zu gehen, dass alle Kinder genug Vitamine bekamen, auch wenn sie wusste, dass die meisten von den Ratten und Mäusen gegessen wurden, anstatt von den Kindern.
Ich merke wie sehr ich mich nach diesen unbeschwerten Zeiten sehne, wie sehr ich wollte, unsere Kindheit hätte nur aus Brownies und Baumhäusern bestanden...
Ich werfe einen kurzen Blick rüber zu meinem Vater, der keine Miene verzogen hat. Ich weiß, dass es ihn ebenfalls schwer getroffen hat. Dass er es nur nicht zeigen kann, weil sein Vater ein noch mieserer Drecksack war wie er selbst, dass er eigentlich nichts dafür kann... Das macht es kein Stück besser und ändert nichts daran, dass ich bei seinem Anblick nur Hass empfinde.
Die Grabrede endet und nachdem der Pastor noch ein paar Worte aus der Bibel zitiert hat, wird der Sarg von Männern der örtlichen Feuerwehr hochgehoben und den Gang entlang durch die Türen in Richtung Friedhof getragen. Mein Bruder, meine Schwester und mein Vater stehen auf um dem Sarg zu folgen.
Ich stehe ebenfalls auf und sehe zu Hannah. "Bitte. Bleib bei mir. Ich glaub nicht, dass ich das ohne dich schaffe." sage ich, so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie es gehört hat. Aber es ist die Wahrheit. Ohne sie wäre ich schon längst auf dem Weg in die nächste Bar um mich dumm und dämlich zu trinken.