Izumi
Der Shintõ-Schrein lag etwas abgelegen von unserem Dorf Hinohara und wir mussten den langen waldigen Abhang hinuntergehen, nachdem wir die Brücke überquert hatten. "Ich habe vorhin mit Natsuki telefoniert", erzählte Otõsan: "Es gibt noch einige freie Plätze an Universitäten. Du könntest dich noch anmelden, bevor die Anmeldefrist abgeschlossen ist." "Ich möchte eine Miko werden, Otõsan", ich musste an den Yõkai denken und mein Magen grummelte nervös. Er seufzte: "Izumi, das hat keine Zukunftsperspektiven. Heutzutage glauben kaum die Menschen an solche Dinge und die Mikos oder Priestern werden kaum für ihre...Arbeit belohnt. Sie sind abhängig von Spenden. Willst du etwa lebenslang nebenbei in einem Rãmen-ya arbeiten, um dein Leben unterhalten zu können? Du wirst kaum mit einem solchem Gehalt eine kleine Wohnung leisten können. Du hast doch nicht in den letzten Jahren viel gelernt und einen guten Abschluss gemacht, um in einem solchen Laden zu arbeiten. Du bist jetzt 20 Jahre alt und du muss langsam erwachsen werden. Um heute einen guten Mann zu bekommen, brauchst du gute Bildung." Ich rümpfte mit der Nase, eine Gewohnheit, wenn etwas mir nicht gefiel. "Du muss dir keine Sorgen um mich machen, ich schaffe es schon", versicherte ich ihm. Zweifelnd sah er mich an und schüttelte den Kopf: "Du kannst so stur sein, wie Haha oder Sobo Kaede!" Leicht lächelte ich und endlich erreichten wir unser Haus. Es befand sich fast in der Dorfmitte. Ich mochte unser Haus, es war in einem ländlichen Stil, ganz anders als die moderne Häuser in Tokio. Damals hatte ich in der Oberschule jeden Tag nach Tokio mit dem Bus fahren müssen, da hier nur die Grund- und Mittelschule gab. "Issho ni kon'nichiwa!", grüßte ich, als ich den Flur betrat und in meine Panda-Pantoffeln schlüpfte. Die Geta stellte ich in den Schuhregal ab und Haha kam sogleich aus der Küche: "Izumi, wo warst du? Wozu in aller Welt gibt es die Handys?" "Gomen'nasai, ich habe die Zeit vergessen", entschuldigte ich mich: "Wo ist Sobo Kaede?" "Sie ist im Garten und macht ihre Meditationen. Ich habe Sushi gemacht." Arigatõ [Danke]. Ich esse später was", sofort ging ich ins Wohnzimmer, um von dort aus nach draußen in den Garten zu gelangen. Ich hörte die Grillen in den Gräser zirpen und entdeckte Sobo Kaede mitten auf der Wiese. Vor ihr waren zwei Räucherstäbchen in der Erde und ich roch den zimtähnlichen Duft. "Sobo Kaede!", rief ich und lief auf sie zu. "Kind, sei still. Ich bin in Kontakt mit unsere Ahnen", mahnte sie mich mit geschlossene Augen. Sie verneige sich nach vorne und küsste den Boden, ehe sie in die Hände klatschte. Wie ich trug sie ihre traditionelle Kleidungen als Miko, wobei ich meine traditionelle Kleidungen eher nur für den Shintõ-Schrein trug. Ich kniete mich auf dem Boden hin und wartete ungeduldig. Immerhin lief ein freier Yõkai herum und ich brauche dringend ihren Rat. Endlich öffnete sie ihre dunkle Augen und sie strich eine graue Haarsträhne hinter ihrem Ohr. Als Sobo Kaede sich zu mir drehte, schienen ihre Pupillen sich zu weiten: "An dir haftet Spuren einer dämonische Aura." "W-was?", sofort klopfte ich mich ab und fühlte mich schmutzig. "Erzähl, mein Kind, was ist geschehen?", aus einem kleinen Beutel holte sie ein getrocknetes Blatt hervor, zündete diesen an und wedelte den Rauch in meine Richtung, während sie ein paar Worte murmelte. Es klang nach einem Reinigungsprozess und ich fühlte mich ein wenig wohler. Sofort erzählte ich ihr alles ohne Punkt und Komma. Atemlos fragte ich sie am Ende: "W-was sollen wir dagegen tun? Sollen wir Priester Watanabe alarmieren?" "Nein, dafür reicht die Zeit nicht und er besitzt nicht die besondere Gabe. Du muss den Yõkai einfangen!", meinte Sobo Kaede. "W-was?", meine Augen wurden groß: "Aber ich habe noch nie sowas gemacht! Kannst du nichts etwas dagegen tun?" "Meine Energien reichen nicht mehr aus, um den Yõkai zurück in seine Welt zu bannen oder ihn zu bekämpfen und du bist noch zu unerfahren, um ihn verbannen zu können. Bis du das einwandfrei gelernt hast, muss du ihn einfangen und ihn an dich binden. Hilf mir bitte beim Aufstehen. Wir müssen in meinem Zimmer gehen." Ich half ihr und reichte ihr den Gehstock. Wir gingen in ihr Zimmer und mit einem mulmigen Gefühl beobachtete ich Sobo Kaede wie sie in einer Schublade wühlte: "Ah, da ist es." Mit eine ernste Miene drehte sie sich zu mir um und hielt ein altaussehendes Schmuckkästchen in der Hand, den sie jetzt öffnete. Ein goldener Armreif mit einer Glocke war zu sehen. "Du muss ihm das hier anlegen und die folgende Worte sagen: Du bist Mein. Dann wird der Zauber erweckt und er wird dir Folge leisten müssen, wie ein Diener seinem Herrn. Er kann dich auch nicht mehr verletzen und darf dich nicht verletzen, es ist seine Pflicht seinem Meister zu beschützen. Hier, nimm das und benutzte deinen Schutzstein, um ihn bewältigen zu können. Du wirst es schaffen." Sie drückte mir den goldener Armband in meiner Hand. Benommen blinzelte ich. "Los, geh. Bevor er verschwindet und Unheil anrichtet!", forderte sie mich auf. "H-hai", nickte ich und barfuß verließ ich rennend das Haus. Ich drückte das machtvolle Armband an mich, während ich in der Dunkelheit auf den waldigen Berg zulief. Keuchend rannte ich den Abhang hinauf und spürte ziehende Schmerzen in meine Beine. Dann endlich erreichte ich den Shintõ-Schrein. Ich eilte zum Badehaus und stürmte in das Inneren.