Henry
Als endlich ein Teller mit dem besten vegetarischen Burger der Stadt vor mir steht, werde ich kurzzeitig von meinen Gedanken abgelenkt, die sich allesamt um den Prozess gegen meinen Vater drehen. Ich schließe genüsslich die Augen, während sich Käse, Kidneybohnen-Paddy, Avocadocreme und Burgersoße zu einem einzigen himmlischen Crescendo in meinem Mund vermischen. Gott, das habe ich vermisst!
"Also ist es wahr was alle sagen!" eine vage bekannte Stimme direkt vor mir reißt mich aus meinem Genuss heraus und ich öffne die Augen. Eine blonde Schönheit steht vor mir und nach kurzem Brainstorming fällt mir auch ein, wer sie ist. Donna Beckham. Sie war damals das It-Girl der Schule. Sie war allerdings von Anfang an nur an einem interessiert. An mir. Besser gesagt daran, sich in eine einflussreiche und vermögende Familie einzuheiraten.
Sie sieht fast unverändert aus. Allerdings frage ich mich was in ihrem Leben schief gelaufen sein muss, dass sie noch in diesem Loch hier feststeckt. Mein Blick huscht an ihre Hand, wo ich einen Verlobungsring erkenne. Aha... Wer auch immer der 'glückliche' ist, ich bin mir sicher er wird ordentlich Geld auf dem Konto haben - und ab jetzt nicht mehr viel Spaß in seinem Leben.
"Was ist wahr?" lege ich meinen Burger zurück auf den Teller, nehme einen Schluck Bier und mustere Donna mit einem kühlen Blick. "Sie haben deinen Vater wegen irgendwas dran gekriegt." Sie versucht eine kühle Miene aufzusetzen, aber man sieht ihr deutlich an, dass sie unglaublich Schadenfroh ist. Ich frage mich ob meine wiederholte Abweisung alleine für so viel Hass gegen meine Familie sorgen könnte. "Was willst du Donna?" frage ich, weil ich keine Lust auf fake Smalltalk habe. "Warum muss ich irgendwas wollen, Henry? Ich hab dich von draußen hier sitzen sehen und dachte, ich sag mal Hallo. Immerhin haben wir uns schon sooo lange nicht mehr gesehen. Du warst damals so schnell weg, hast dich von niemandem wirklich verabschiedet... Nicht mal von deinen Freunden." sie setzt ein gespielt schmollendes Gesicht auf. "Du warst nie meine Freundin, Donna. Was willst du?" meine Stimme kühlt noch um einige Grade ab. Das hier habe ich sicherlich nicht vermisst. Diese Falschheit. Die ganze Stadt spielt dieses Spiel - zumindest in den gehobeneren Kreisen in denen meine Familie sich bewegt. Sie mustert mich einen Moment leicht gekränkt, dann lässt sie ihre freundliche Fassade fallen. "Eurer Familie musste doch klar sein, dass ihr nicht ewig mit Betrug und Lügen davonkommen würdet oder?" Sie verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich wütend. "Ihr habt schon immer auf kosten dieser Stadt gelebt, habt die Bürger belogen und betrogen und seid illegal zu Reichtum gekommen. Jeder hat es immer gewusst. Und jetzt werdet ihr endlich dafür bestraft. Du magst vielleicht so tun als wärst du keiner von ihnen, malst dir vielleicht aus, du bist anders als sie, besser. Aber du bist genauso verdorben und falsch wie der Rest deiner erbärmlichen Familie, Henry. Und ich freu mich schon darauf euch alle hinter Gitter zu sehen." damit dreht sie sich um und rauscht aus dem Restaurant ab.
Josie
Mein Chef mustert mich einen Moment lang, ehe sein Gesicht sich zu einem hämischen Grinsen verzieht. "Eigentlich könnten sie irgendein Gesetzbuch aufschlagen und Tramonti hätte bestimmt die Hälfte der Gesetze darin schon gebrochen. Es war immer schon bekannt, dass er in illegale Geschäfte verwickelt ist. Aber jetzt kriegen wir ihn endlich dran! Wegen Korruption und Beauftragung mehrerer Morde." Die Neuigkeit schlägt ein wie eine Bombe und es ist offensichtlich, dass Mr. Orson - mein Chef - mit Absicht bis zum Schluss gewartet hat um diese reißen Neuigkeit mitzuteilen. Die Rechtsanwaltsgehilfen und Assistentsanwälte fangen sofort an wild miteinander zu diskutieren, während ich wie versteinert auf meinem Platz sitze und mich frage, ob das wirklich der Wahrheit entsprechen kann. Beauftragung mehrerer Morde? Das klingt wie aus einem schlechten Maffia Streifen oder so. Tramonti ist zwielichtig und gefährlich, das war mir klar. Man muss sich den Kerl nur mal genauer ansehen. Aber Mord? Hier in dieser Stadt? Mr. Orson hebt seine Hände und sofort verstummt der Raum und alle Blicke richten sich wieder auf ihn. "Wie ihr alle wisst betreibt Tramonti viele Geschäfte außerhalb dieses Landes. Er investiert in alles aus dem man Profit schlagen kann. Und bei einem dieser Geschäfte gab es innerhalb des Landes starke Oppositionsbewegungen. Also hat Tramonti Killer beauftragt die Anführer der Opposition zu erledigen, damit dem Bau seines Projektes nichts mehr im Weg stehen konnte." Ich komme mir wirklich langsam vor wie in einem schlechten Film. Das klingt alles unglaublich surreal...
Eine halbe Stunde später sitze ich mit einem jungen Assistentsanwalt vor einem Berg von Papierkram, den wir bis heute Abend fertig bearbeitet haben sollen, während Mr. Orson und ein paar glückliche auserwählte an einer Strategie für den kommenden Prozess arbeiten. Ich wusste es. Egal was für ein Fall. Egal wie groß oder klein. Für mich bedeutet das immer nur eins. Papierkram und Überstunden.
Wieso genau hab ich mir eigentlich nochmal diesen bescheuerten Job ausgesucht?
Offene Arme der gewaltigste Protest den wir haben, will sagen: Bevor noch jemand hinfällt, passt bitte aufeinander auf in dieser scheiß Welt!