Ardan
Als Silia mir zu verstehen gab, dass ich wieder verschwinden sollte, widersprach ich nicht. Sie hatte ihre Gründe. Akela war ebenfalls hier, was sicherlich an Kenai lag. Er hatte wahrscheinlich mitbekommen, dass etwas mit seinem Bruder nicht stimmte. Auch wenn ich dem Kerl nach wie vor nicht über den Weg traute, glaubte ich, dass er sich tatsächlich um seinen Bruder sorgte. Auf seine Weise. Thales hatte mir zudem immer wieder beteuert, dass er sich auf dem Kampffeld bewies und wir ihm vertrauen konnten. Sein Urteil nahm ich nicht auf die leichte Schulter. Wenn Thales jemandem vertraute, dann weil es richtig war. Trotzdem… es fiel mir schwer ihn nicht als den finsteren Piraten zu sehen, der er war.
Als Kenai, wohl eher die Dunkelheit in ihm, zu Wort kam, runzelte ich die Stirn und umklammerte die Sense fester. Duellieren? Wir beide? Nur um uns den Titel zu verdienen gegen den wahren Feind zu kämpfen? Als ich schnaubend verneinen wollte, sprach er allerdings etwas an, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wovon redete er? Meine Familie hatte nicht… Unruhe wallte in mir auf. Hatte Vater etwa den Befehl erteilt… nein… oder? Das, das stimmte nicht. Daran würde ich mich erinnern. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich den Überblick über unsere damaligen Taten verloren. Ich kannte die Zahlen meiner Opfer. Kannte ihre Gesichter. Jedes einzelne davon. Aber keines ließ sich Kenais Familie zuordnen. Entweder war das ein Missverständnis oder Vater hatte wieder mal Dinge hinter meinem Rücken getan, für die ich nun verantwortlich gemacht wurde. Verdammter Mistkerl! Selbst nach seinem Tod verfolgte er mich mit seinen grausamsten Taten.
Akelas Präsenz veränderte sich drastisch. Seine düstere Aura schwappte zu mir hinüber und steckte meine dämonische Seite an. Hätte der falsche Kenai den Mund gehalten, wäre all das hier nicht eskaliert. Er sprach nämlich weiter und die nächste Enthüllung traf mich direkt in die Magengrube. Fest. Tief. Ein unerwarteter Schlag. Akela und Silia… sie… sie schliefen miteinander? Völlig schockiert schaute ich zu meiner Tochter, die schuldbewusst die Ohren senkte und langsam den Kopf schüttelte. Dabei erschien ein weiteres Monster. Eines, das nur aus Psion bestand. Kein Dämon, sondern ein aus der Dunkelheit geborenes Biest. >Sag mir, dass das nicht wahr ist. Sag mir, dass du nicht mit ihm schläfst und es die ganze Zeit über für dich behalten hast.< rief ich ihr enttäuscht und wütend zugleich zu. Ich schaffte etwas Abstand zu Akela, denn mir entging nicht, dass er jetzt sehr wohl in Kampflaune war.
>Es tut mir leid.< rief sie zurück und hob abwehrend ihr Schwert. >Es ist… es ist einfach passiert und… bitte, Papa. Bitte kämpft nicht.<
In meinem Inneren tobte das reinste Chaos. Das Gefühl von Verrat brannte am stärksten. Meine eigene Tochter schlief mit einem Mann wie ihm. Wer weiß wie lange schon… >Ach, und wer sagt, dass er sich dir nicht genähert hat, um sich früher oder später an mir zu rächen? Entweder indem er dir das Herz bricht oder um erst mein Vertrauen zu gewinnen und mich dann zu töten? Schon mal daran gedacht?< knurrte ich dunkel. Die Wut in mir wuchs wie ein Waldbrand, der sich nicht mehr aufhalten ließ. Akela zeigte deutlich, was sein wahres Ziel war. Er wollte seine Familie mit meinem Tod rächen. Und dafür war er so weit gegangen, dass er sogar Silia beschmutzt hatte. Hätte er das nicht getan, wäre ich vielleicht mit Gnade in den Kampf gezogen, aber jetzt wollte ich ihn einfach nur brennen sehen.
Silia
Nein, nein… das durfte nicht passieren. Ich hätte mir denken können, dass ausgerechnet der Gott des Chaos dazu in der Lage war selbst mit wenigen Worten genau das zu erreichen, was er wollte. Chaos. Er brachte Dinge zum Vorschein, die nicht einmal mir bewusst gewesen waren. Akela hatte mir nie erzählt, dass er Vater für den Tod seiner Familie verantwortlich machte. Diesen Teil seiner Vergangenheit hatte er für sich behalten. So wie viele andere. Um ehrlich zu sein, sprach er nach wie vor nicht viel über sich selbst. Und nun wurde uns das zum Verhängnis. Nicht zuletzt weil Papa nun von unserer Beziehung wusste. Wie erwartet, reagierte er nicht sehr erfreut darüber und ich hatte nicht einmal die Chance alles zu erklären. Nox stand mir demonstrativ im Weg. Dieses Monster würde sich nicht leicht besiegen lassen und während ich damit beschäftigt war es zu bekämpfen, würden sich die beiden Männer die Köpfe einschlagen. Das durfte ich nicht zulassen. Die beiden waren mir wichtig. Es gab im Moment nichts Schlimmeres für mich, als sie beide gegeneinander antreten zu sehen und nicht in der Lage zu sein es friedlich zu lösen. Dafür bekam Chaos einen sehr wütenden Blick von mir. Er würde hierfür schwer büßen.
>Akela, bitte…< rief ich in seine Richtung, als ich den wild peitschenden Schwänzen auswich. >Bitte kämpfe nicht. Deinen Bruder zu retten, ist viel wichtiger. Tu meinem Vater nicht weh!< Ich wusste sonst nicht, ob ich ihm das verzeihen könnte. Dasselbe galt für Papa. Ich würde es beiden nicht verzeihen, wenn sie sich ernsthaft verletzten. >Mach nicht all das Gute zunichte, das in dir steckt. Diese Rachegelüste-< Weiter kam ich nicht, denn Nox schien es gewaltig zu stören, dass ich nicht abgelenkt genug war. Mit einem wütenden Fauchen stürzte sich das Biest auf mich. Seine Vorderpfoten krachten in den Boden, erschütterten ihn. Da Nox riesig war, konnte ich ganz leicht zwischen seine Beine schlüpfen, aber die ihn umgebende Energie verlangsamte meine Bewegungen. Seine Energie legte sich wie zentnerschwere Felsen auf mich. Er veränderte die Gravitation um sich herum. Seine dunkle Magie. Die violetten Linien pulsierten wie Adern und plötzlich verlor ich den Kontakt zum Boden, schwebte in die Höhe und war auf den folgenden harten Aufprall nicht vorbereitet. Im einen Moment leicht wie eine Feder, im nächsten schwer wie ein Berg. Das war also eine seiner Fähigkeiten. Mit steinerner Miene richtete ich mich langsam auf und pumpte reine Lichtenergie in meine Beine, um mich gegen die bleierne Schwere zu wehren. Nox hatte sich den falschen Feind ausgesucht. Dieser Kampf würde nicht lange dauern. Ich musste beide Männer vor ihrem eigenen Untergang bewahren.
Jenaya
Immer mehr Feinde tauchten aus den Rissen auf und dieser Umstand machte mich sehr unruhig. Auch wenn ich drauf und dran war jeden Verletzten in meinen Schutz zu ziehen, mussten wir dieses Problem als Erstes aus dem Weg schaffen. Mein drittes Auge flackerte bereits von all den dunklen Auren, die diese Welt beschmutzten. Mehr und mehr Dunkelheit drang in diese Welt hinein und brachte alles aus dem Gleichgewicht.
Gleichgewicht... Das Gleichgewicht war in Gefahr. War es nicht meine Aufgabe genau das zu verhindern? Darum trug ich das dritte Auge oder nicht? Kenai und ich.. wir beide trugen die Verantwortung für das Gleichgewicht zwischen den Welten. So wie es einst unsere Vorfahren getan hatten. Dann, dann musste ich doch einen Weg kennen, wie ich diese Risse schließen konnte oder wie ich-
Mein Nacken begann komisch zu prickeln. Wieder vernahm ich das starke Pulsieren in meinem Bauch und wie eine große Menge Energie mich durchflutete. Es fühlte sich wie damals kurz vor meinem Anfällen an, wo Kenai zu mir kam, um mir mit einem Kuss das Gewicht der Magie abzunehmen. Diesmal gab es aber kein Ventil. Diesmal würde ich alles selbst tragen müssen. Ich und das Baby. Zwar war mein erster Instinkt den Stein zu benutzen und in Sicherheit zu gelangen, aber eine innere Stimme riet mir, den Fehler zu berichtigen. Den Fehler, den dieser dunkle Gott begangen hatte. Seine Monster waren hier nicht erwünscht. Ihre Existenz war fehlerhaft. Sie gehörten nicht hierher. Darum mussten sie verschwinden. Kaum dachte ich diesen Gedanken zu Ende, brach die überschüssige Energie aus mir heraus und tauchte mich in ein hellblaues Licht. Das Haar um meinen Kopf schwebend und die Füße inmitten eines großen magischen Zirkels stand ich da und breitete die Arme aus. Worte, die ich kannte und wiederum nicht, rollten mir wie ein ruhiger Fluss über die Zunge. Dabei rauschte mehr und mehr Energie durch mich hindurch. Teile des Schildes lösten sich auf und schwebten zu den Rissen. Wie das Netz einer Spinne legten sie sich auf die Öffnungen, auf jede einzelne und verweigerten damit den Zutritt weiterer Kreaturen. Die restliche reine Energie floss wie Strömungen zu den unerwünschten Eindringlingen und packte sie an ihren Beinen. Die Stimmen in meinem Kopf wurden lauter. Stimmen, die nach ihnen riefen und sich ihrer annehmen wollten. Verräter. Diebe. Mörder. Sie lechzten nach diesen Biestern und zerrten sie mit Gewalt zurück in ihre Welt. Ihr Brüllen, ihr Wehren, all das half ihnen nicht weiter. Ihre Existenz war fehlerhaft. Sie gehörten nicht hierher. Sie mussten zurück. Das Gleichgewicht musste wiederhergestellt werden.