Ardan
Es war ein langer Marsch. Das Gebiet erstreckte sich über mehrere Felder, auf denen man Dutzende Reiche hätte errichten können. All das Land hier... verdorben. Was für eine Verschwendung. Ich nahm mir fest vor, dass wenn der Krieg erst einmal vorbei und gewonnen war, wir uns dieses Land zunutze machten. Es gab genügend Magie, um der Erde neues Leben zu schenken. Dann würde sich niemand mehr fürchten hierher zu kommen. Ein neuer friedlicher Lebensort.
>Ich spüre sie.< sagte Silia plötzlich. Ihre Augen waren auf den Horizont fixiert. Dort, wo die Gebirgskette den halben Himmel einnahm. Ich fragte mich, ob dahinter noch mehr unbewohnte und tote Gebiete lagen. Niemand wusste das. Es stand auf keiner Karte geschrieben. >Die Hohedämonen. Sie erwarten uns. Sie sind anders als die anderen. Viel stärker. Sie stehen mit ihren Truppen bereit. Ich kann nicht genau sagen, wie viele es sind, aber zahlenmäßig sind sie uns deutlich überlegen.< Wieder machte sie eine Pause, in der sie konzentriert die Stirn runzelte. Ihre Augen leuchteten leicht auf, die Ohren zuckten. >Dunkle Krieger, Bestien, Schwarzmagier... alle sind vertreten. Ich kann sie hören. Sie summen. Sie stampfen. Sie sind bereit.<
Jenaya
Ich hatte nicht einmal Zeit tief Luft zu holen, da riss mich Kenai an sich und brachte uns fort vom Lager. Neben dem Schwindel, der kurz einsetzte, nahm ich das vertraute Rauschen von Wasserfällen wahr. Zuhause. Mein erster Gedanke. Kenai setzte mich im Gras ab, das unglaublich vermisst hatte. Hinzu kamen die Gerüche, das Zwitschen von Vögeln, das Plätschern im Wasser, der frische Wind, der die Blätter in den Baumkronen zum Rascheln brachte... Hier existierte Leben, wahre, reine Magie. Ein starker Kontrast zum Toten Land der Dämonen. Mir kamen fast die Tränen, weil ich meine Heimat so lange nicht mehr gesehen, gerochen und geschmeckt hatte. Selbst die Luft schmeckte nach Freiheit. Trotzdem frustrierte es mich, nicht mehr in der Lage zu sein meine Freunde im Kampf zu unterstützen. Ich wollte ihnen helfen, ihnen beistehen und meine Fähigkeiten für das Gute einsetzen. Aber ich war schon lange nicht mehr nur für mein eigenes Leben verantwortlich. Da gab es unseren Sohn, den wir unter allen Umständen beschützen mussten. Und wenn Envar meinte, dass ich im Krieg nichts zu suchen hatte, dann nahm ich ihn beim Wort.
>Kenai, komm zurück.< rief ich nach meinem Liebsten. Mir war klar, dass er gerade völlig durch den Wind war. Das wäre ich an seiner Stelle auch. Immerhin hatte ich eine Zeit lang einen Fluch in mir getragen, den ich selbst nicht bemerkt hatte, bis er seine Wirkung entfaltete. Das würde ich noch verarbeiten müssen, aber im Moment wollte ich bloß in Kenais Armen liegen und zur Ruhe kommen. Meine Gedanken sortieren und überlegen, ob ich vielleicht von hier aus Gutes tun konnte. Ich gab ungern auf.
Alita
Ich zuckte zusammen, als er sich zu mir vorbeugte und ihm der Zorn aus jeder Pore hinausströmte. Auch wenn das hier nicht sein eigener Körper war, sah ich in den wölfischen Zügen den Fen, den wir alle damals kennengelernt hatten. Ja, ich hatte Angst vor ihm gehabt. Immer. Selbst jetzt. Es war ein Instinkt. Der Wolf und der Hase. Von Natur aus würde man meinen, dass ich das perfekte Mahl für ihn war. Seine leichte Beute. Ja, es war nicht einfach gewesen Mal und Fen in unsere Familie zu integrieren, aber ihre Mühe hatte sich gelohnt. Wir waren wirklich gut miteinander ausgekommen. Zwei von uns sogar ziemlich gut. Malevor und Sury. Nie im Leben hätte ich mit ihrem tragischen Ende gerechnet. Nur Envar allein hatte es kommen sehen.
Ob du es glaubst oder nicht, ich habe dich nicht absichtlich verraten. Ich hatte Angst. Ich stand unter Schock. Was zwischen Sury und Mal vorgefallen ist, ist nicht gänzlich ihre Schuld, weißt du... Sie hat ihre Pflicht erfüllt, die er selbst unterstützt hat. Damit sage ich nicht, dass ich zu hundert Prozent dahinter stand. O nein... Aber dann hast du die Beherrschung verloren. Du hast versucht meine Schwester zu töten, die in ihrem Herzen bereits tot war. Ihr alle seid völlig verrückt geworden. Was hätte ich tun sollen? Mich einmischen? Ich hätte niemals eine Chance gehabt... Beschämt senkte ich den Blick. Es war kein Geheimnis, dass ich von uns allen die schwächste Animagi war. Schwach im Sinne von Kämpfen, aber auch in vielen anderen Angelegenheiten. Niemand, nicht einmal meine eigenen Geschwister wussten, wie ich damals wirklich empfunden hatte. Dass ich mir insgeheim wünschte, ich wäre ein wenig mehr wie meine Schwester. Stark, wunderschön, entschlossen und mutig. Es war keine Überraschung, dass beide Brüder Gefühle für sie entwickelt hatten und trotzdem hatte ich die leise Hoffnung gehegt, Fen würde mehr als nur eine kleine Schwester, die es zu beschützen galt, in mir sehen. Vor allem nachdem feststand, dass Sury Mal liebte und nicht ihn. Es hatte mich insgeheim sehr gefreut, mehr Zeit mit ihm zu verbringen, trotz meiner Schüchternheit und der wölfischen Gefahr, die stets von ihm ausging. Aber als dann alles in die Brüche ging, verlor ich meine Richtung. Ich war wütend, weil Sury Mal in die Verdammnis geschickt hatte. Ich war traurig, weil meine große Schwester plötzlich ganz schwach wurde. Ich war verängstigt, weil Fenrir sein wahres Wesen zeigte und ich nichts damit anzufangen wusste. Ich war nie wirklich stark gewesen und manchmal fragte ich mich, warum meine Mutter mich überhaupt erschaffen hatte. Der Raum brauchte mich genauso wenig wie ich ihn. Und doch existierte ich.
Als mein Blick erneut auf Akela fiel, spürte ich ein seltsames Ziehen in der Brust. Sury hatte es mir mal beschrieben. Sehnsucht. Tiefe Sehnsucht. Ich sah zurück zu Fenrir, in den dunklen Abgrund seiner Augen und ließ langsam die Arme sinken. Ja, Sury hat mich vorgeschickt, weil ich bekanntlich die einzige Person bin, die alles und jeden ausfindig machen kann. Sie hat mich darum gebeten, sie sofort zu rufen, sobald ich dich finde, aber ich werde es nicht tun. Ich werde stattdessen das tun, was ich für richtig halte. Obwohl mich der Fluchtinstinkt packte, blieb ich an Ort und Stelle stehen und gab mir einen Ruck. Ich hatte mir nach dem Drama damals geschworen, in Situationen wie diesen nicht mehr davonzurennen. Ich musste mich daran halten. Ich musste mir selbst etwas beweisen.
Nimm mich, nicht ihn. Ich weiß, du willst Akelas Seele für deinen Bruder opfern, aber meine Seele ist so viel wertvoller als seine. Ich habe meine Worte von vorhin ernst gemeint. Nicht nur du, auch dein Bruder, ihr beide habt genug gelitten. Nimm meine Kraft, rette ihn und tut, was ihr für richtig hält. Dafür möchte ich, dass du Akela von deinem Fluch befreist, damit er an Surys Seite zurückkehren kann. Ich würde es nicht ertragen, sollte meine Schwester wieder einmal ihr Herz verlieren. Ich möchte nur das Beste für euch alle und du hast es selbst gesagt... Wenn du die Wahl hättest, würdest du mich töten. Es gibt also keinen Grund für dich Nein zu sagen. Du bekommst deine Rache und eine Macht, die viel größer ist als seine. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, als ich diesen Entschluss fasste. Dieses Angebot mochte verrückt klingen, aber es fühlte sich dennoch richtig an. Meine Schwester würde ihren Liebsten zurückbekommen und gleichzeitig würde ich Fenrir helfen. Was mich betraf, würde man mich sowieso ersetzen. So funktionierte das bei uns Animagi. Nur hoffte ich, dass Mutter die nächste Animagi, die den Raum beherrschen würde, mit mehr Stärken segnete. Ihr sollte es besser ergehen als mir. Tu es, Fen. Es ist in Ordnung, bat ich ihn mit einem zaghaften Lächeln.