Eine Woche später...
Ardan
>Du übernimmst, Larevia, richtig?< Thales funkelnd rote Augen wanderten zu mir, nachdem er einen prüfenden Blick auf die riesige Karte geworfen hatte, die vor uns auf dem großen Tisch im Konferenzsaal lag. Dort waren fast all unsere strategischen Züge eingetragen. Verschiedene Farben markierten die Truppen unserer Reiche, die in unterschiedlichen Regionen eingesetzt werden würden. Dank unserer mehr als sicheren Quellen kannten wir einige Pläne der Dämonen und waren auf unseren ersten ausholenden Schlag bestens vorbereitet. Das erste Ziel war die Hafenstadt Larevia. Dort würde ich einen großen Auftritt hinlegen. Eine Warnung an die Elite der Dämonen und an den Dunklen Lord selbst. Wenn er glaubte, sich des gesamten Landes bemächtigen zu können, ohne auf die Trimagische Allianz Acht zu geben, beging er einen gewaltigen Fehler. Mit all den Schauergeschichten über unsere Reiche hatten wir nur dafür gesorgt, dass die Dunkelheit uns nicht als schwachen Feind betrachtete. Wir waren eine Gefahr. Eine ernstzunehmende Bedrohung.
Ich würde dafür sorgen, dass die Trimagische Allianz Geschichte schrieb. Zwar dachte ich ungern an die Worte meines Vaters zurück, die er mir bei jeder großen Entscheidung in den Kopf gehämmert hatte, aber bis heute trugen sie eine unabwendbare Wahrheit in sich.
Alles, was du von klein auf gelernt hast, jedes Blutvergießen, jeder Rückschlag, jede tiefe Wunde, dein Fluch und die Fähigkeiten, die in dir schlummern, werden dich in jemanden verwandeln, der es wert ist, den höchsten Platz in der Welt anzunehmen. Nicht einmal der Dunkle Lord wird dir im Wege stehen. Du bist zu etwas noch Höherem bestimmt, mein Sohn!
>Wir haben die Nachricht erhalten, dass die dämonischen Truppen bereits ausgerückt sind und die Hafenstadt in Brand gesetzt haben. Verstärkung der guten Seite ist bereits eingetroffen, jedoch werden sie nicht mit dem Monster rechnen, das dem Meer entsteigen wird.< erwiderte ich ernst. Dieses Monster hatte Azuria vor nicht allzu langer Zeit in den Tiefen der See wahrgenommen. Eine gewaltige, negative Energie hatte sich in der Nähe der Küste entladen und etwas sehr Dunkles erschaffen. Ein Biest aus reinem Psion. Das Werk eines mächtigen Dämons, sicherlich einer der Elite. Auf diese Dämonen war ich ganz besonders gespannt. Das Feuer in mir brannte danach entfesselt zu werden. Es hatte viel zu lange in mir geschlummert.
Die Wartezeit fand nun ein Ende.
>In der Zwischenzeit bleibe ich wie abgesprochen hier und rücke mit meinen Leuten etwas später aus. Albad wird voraussichtlich erst in zwei Tagen angegriffen.< warf Thales mit vor der Brust verschränkten Armen ein. In seiner jugendlichen Gestalt strahlte er genauso viel Autorität aus wie in seiner erwachsenen. Kampfeswille glühte in den roten Augen. Das erinnerte mich an Zen. Zen, der hierbleiben würde. Ich konnte ihn nicht mitnehmen. Der Krieg war ein schrecklicher Platz für ein Kind wie ihn. Es würde ihn nur aus der Bahn werfen, ihn an die Schatten erinnern, die er jeden Tag zu bekämpfen hatte.
Nein, er blieb hier. Ob es ihm passte oder nicht. Azuria würde ihn in ihre Obhut nehmen und auf ihn aufpassen, während Thales und ich den ersten Schritt unseres Planes umsetzten. Sie selbst würde viel später in den Krieg einsteigen. Als Königin der See hatte sie eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen und dafür brauchte sie Zeit. Zeit, die wir ihr verschaffen würden. Unsere jahrelange Planung sollte nicht umsonst gewesen sein. Natürlich hatten wir für den Fall der Fälle viele Ausweichpläne geschmiedet, weshalb wir unserer Sache erst recht sicher waren. Die Dämonen würden früh genug erfahren, dass ihr Vormarsch schon ein baldiges Ende finden würde.
>Nimmst du deine Sense mit?< wollte Raja wissen.
Ich nickte ernst. >Selbstverständlich nehme ich sie mit. Mit dieser Waffe ist dieses Monster im Nullkommanichts erledigt. Und der Dämon, der es erschaffen hat, mit dazu. Ich hoffe sehr, dass es einer der Elite ist. Damit können wir gleich ein erstes, wichtiges Zeichen setzen.<
>Was, wenn die andere Allianz dir wieder einen Platz in ihren Reihen anbietet? Willst du dich ihnen anschließen?<
Eine berechtigte Frage, über die ich viele Male nachgedacht hatte. Um ehrlich zu sein, wollte ich nicht offiziell mit der anderen Allianz ein Bündnis eingehen. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Das allein reichte. Wir würden so oder so zusammen kämpfen, da brauchte man keine weiteren Verhandlungen oder was auch immer führen. Wenn sich ihre Pläne mit meinen vereinbarten, würde ich ihnen zuhören. Der Rest ging nur mich und meinen Verbündeten etwas an.
>Ich werde euch wissen lassen, wie die Lage aussieht, wenn der Kampf in Larevia vorbei ist. Wie viel Zeit bleibt mir noch?<
Thales hob den Handspiegel in seiner Hand und drehte ihn zu mir. Im Spiegel war Azurias nachdenkliches Gesicht zu erkennen. Sie runzelte die Stirn. >Die See ist unruhig, die Schwingungen sehr stark. Ich schätze, dass in etwa zwei Stunden das Monster erscheinen wird. Das ist genügend Zeit für dich.<
Ich stützte mich mit den Händen auf dem Tisch ab und ließ den Blick über die Weltkarte schweifen. Fixierte meine Heimat, dann Larevia. >In Ordnung, ich mache mich gleich auf den Weg. Ich möchte nicht, dass noch mehr unschuldige Menschen ihr Leben verlieren. Je früher ich dort auftauche, desto besser.<
>Arrogant wie eh und je.< schmunzelte sie mit einem dennoch ernsten Glanz in den ozeanblauen Augen. >Pass auf dich auf.<
>Ich bin nicht derjenige, der aufpassen muss. Wer sich mir in den Weg stellt, sollte aufpassen.<
>Das ist die richtige Einstellung.< grinste Thales. >Auf in den Kampf, mein Freund.<
Jenaya
Mittlerweile klopfte mir das Herz bis zum Hals. Nicht vor Aufregung, sondern vor Adrenalin. Ich hörte Geschrei, Hilferufe, klagendes Weinen, dämonisches Gebrüll, es war überall. Zudem stieg mir ein Duft in die Nase, der laut Krieg schrie. Blutiger Krieg. Tod. Endlose Qualen. Alles in diesem Reich blutete und bettelte um Hilfe. Es war schrecklich. Ich hatte damit gerechnet, ja, aber man konnte nie genug vorbereitet auf einen grausamen Schauplatz wie diesem hier sein.
Schneeflocke wurde zunehmend unruhiger, denn wir ritten im Galopp durch das bewaldete Gebirge, hinter das uns das echte Grauen erwartete. Schwarzer Rauch hatte den späten Nachmittagshimmel in eine Decke aus Dunkelheit getaucht. Negative Energien pulsierten in der Luft.
Es war kaum zu glauben, wie viel sich in einer Woche ändern konnte. Höhen und Tiefen, Tag für Tag. Zum einen könnte ich über Kenais Fortschritt nicht glücklicher sein, zum anderen war ich sehr enttäuscht gewesen, als ich Prinzessin Jadis' Nachricht erhielt, in der stand, dass die Trimagische Allianz nicht teilnehmen würde. Was stimmte bloß mit diesen Leuten dort nicht? Glaubten sie ernsthaft, sie könnten sich verstecken und erwarten, dass ihnen nichts geschah? Wenn das nicht naiv war, dann wusste ich auch nicht, wie ich die Lage benennen sollte. Dennoch hatte sie genau das geschrieben, was ich im selben Moment dachte. Gemeinsam blieben wir stark. Wir waren eine Front, die sich den dunklen Mächten entgegenstellen konnte und würde. Viele unschuldige Leben verließen sich auf uns. Sie hofften auf unsere Stärke, bejubelten uns, wenn wir die dämonischen Streitkräfte in die Flucht schlugen.
Wie würde es heute ausgehen? Diesmal war der Ritt hierher von längerer Dauer gewesen, aber ich fühlte mich nicht müde. Dafür strömte zu viel Adrenalin in meinen Adern. Ich war bereit, mich in den Kampf zu stürzen. All die harte Arbeit an mir, all der Schweiß, die Wunden und Übungskämpfe mit Kenai mussten sich auszahlen. Meine Eltern hatten sich zunächst geweigert, mich nach Larevia zu schicken, aber als man ihnen mitteilte, dass es meinen Brüdern nicht gelingen würde, ihre Stellung zu verlassen, hatten sie keine andere Wahl gehabt. Sie mussten mich das machen lassen. Sie mussten endlich einsehen, dass ich ich bereit war für die höhere Sache zu sterben.
Nicht zuletzt hatte ich Kenai bei mir. Er war mein Beschützer und Partner. Ich würde mich nicht hinter ihm verstecken. Ich würde mit ihm kämpfen. Es war nicht einfach gewesen, ihm bewusst zu machen, dass der Feind Priorität besaß. Er sollte sich nicht ständig nach mir umsehen müssen. Er musste darauf vertrauen, dass ich mich verteidigen konnte und dass wenn die Lage brenzlig wurde, ich dennoch eine Lösung finden würde. Das hoffte ich zumindest. Man wusste nie, was einen in einem Schlachtfeld erwartete.
Außerdem fühlte ich mich mit dieser großen Aufgabe nicht allein. Prinzessin Jadis würde mit ihren Gefolgsleuten ebenfalls aufkreuzen. Wenn ich mich nicht irrte, waren sie längst hier. Ihre Flugtiere waren zugegebenermaßen schneller als unsere Pferde, daher vermutete ich, dass sie in der Hafenstand fleißig am "Aufräumen" waren. Ich hatte Wort erhalten, dass mehrere Tausend Goblins Larevia belagerten und alles abschlachteten, was ihnen im Weg war. Mit ihnen waren Crayale dabei. Auf zwei Beinen gehende Ziegenlöwenmischlinge mit Hirschgeweih und scharfen Zähnen. Monster schlechthin.
Das, was mir jedoch mehr Sorge bereitete, war allerdings der Dämon. Ein hoher Dämon, wenn meine Quelle Recht behielt. Ich war bislang keinem einzigen hohen Dämon begegnet, ich wusste allerdings, dass mit ihnen nicht zu spaßen war. Sie besaßen ein ausgezeichnetes Talent in dunkler Magie und das konnte uns zum Verhängnis werden. Wir mussten demnach auf der Hut sein.
Maris wurde plötzlich schneller und überholte mich, bis sie hinter einem gewaltigen Felsvorsprung verschwand. Ich spürte ihre vibrierende Energie, hörte ihre Gedanken. >Wir sind gleich da!< rief ich über die Schulter zu den Truppen, die mit mir in den Kampf zogen. Gleich würde ich von Angesicht zu Angesicht mit der Dunkelheit kämpfen.