Ardan
In Angelegenheiten wie diesen kam ich immer gleich zur Sache. Ich hatte keine Zeit für langsames Herantasten. Für sinnlos in den Raum geworfene Worte. Hier ging es um Verrat. Hochverrat. Beweise brauchte ich keine mehr. Zhao war ein Verräter. Das sah ich in seinen Augen, als ich ihn mit Magie an die Wand hinter ihm heftete. Alle anderen im Raum regten sich keinen Millimeter. Spannung lag in der Luft.
Bevor Zhao auch nur blinzeln konnte, stand ich dicht vor ihm und starrte ihn nieder. Was auch immer er in meinen Augen sah, es war genug, um seine inneren Mauern größtenteils niederzureißen. Hätte er sich das nicht von Anfang an denken können? Dass sein Verrat früher oder später herauskommen und ich keine Gnade walten lassen würde? Hielt er mich etwa für eine Lachfigur?
Knurrend griff ich ihm an die Kehle und drückte zu. >Wenn du dir einen etwas weniger grauenvollen Tod wünscht, solltest du meine Fragen ehrlich beantworten.< zischte ich zornig. >Merke ich, dass du mir etwas vorenthältst oder die Unwahrheit sprichst, werde ich noch viel Schlimmeres tun als mir gerade vorschwebt. Verstanden?<
Zhao hatte keine Chance. Meine Magie pinnte ihn wie ein lästiges Insekt an die Wand und es gab keinen Gegenzauber, den er jetzt anwenden könnte. Er war mir ausgeliefert. Ich spürte, wie er hart schluckte und um mehr Sauerstoff rang. Mir war das egal. Er atmete noch. Das reichte, um zu sprechen. Wieder schluckte er. Es folgte ein herausgepresstes Ja.
>Wie lange spionierst du uns schon aus?<
>Zweieinhalb Jahre.<
Mein Griff wurde fester. Seine Worte schürte die glühende Hitze in mir. >Warum hat Zaneri ausgerechnet dich engagiert? Was hat sie dir dafür gegeben?<
Dort, wo ich ihn berührte, verfärbte sich die Haut rot. Nicht nur wegen des Drucks, auch wegen der Hitze, die meine Hand ausstrahlte. Sie verbrannte ihn ganz, ganz langsam. Er sog zittrig Luft ein, seine Augen blieben jedoch an meinen haften. Tapferer Mann. Kein Wunder, dass ich ihn zum General ernannt hatte. >Durch mich kam sie... an wichtige... Informationen. Sie wollte... den Plan kennen. Sie hat, sie... Sie hat meine Familie bedroht.<
Familie. Ich erinnerte mich, dass er eine Frau und zwei Kinder hatte. Beides Jugendliche. Junge und Mädchen. Ich kannte die Umstände meiner Elitekämpfer. Ich kannte ihre Stärken und Schwächen. Ob ihn einzig und allein seine Sorge um seine Familie zu diesem Verrat gebracht hatte, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Mein Vertrauen in ihn war vollständig zerbrochen. Womöglich hoffte er mich mit seiner Familie zu erweichen, doch da irrte er sich gewaltig. Es gab viele Wege, wie man jemandem das Leben nahm.
Mehr Hitze floss in meine Hand, diesmal roch ich den Hauch von leicht verbrannter Haut. Er hielt ein Wimmern zurück. Das sah ich ihm an. >Du hättest dir früher Gedanken um deine Familie machen sollen. In Ignulae wird dein Hochverrat mit dem Tode bestraft. Du hättest dich an jemanden von uns wenden sollen, Zaneri entlarven sollen. Du bist nicht dumm. Du hättest es getan, wenn du es auch wirklich gewollt hättest. Nicht zuletzt bist du ein fähiger General. Und doch sieh dich an... Benutzt deine Familie als Schutzschild.<
Wut färbte meine Stimme, als ich fortfuhr: >Was wird deine Familie wohl sagen, wenn sie von deinem Verrat erfährt? Wie werden deine Kinder darauf reagieren? Auf ihren Vater, der anstatt das Volk zu beschützen, es hinterlistig betrogen hat? Du hast keine Ahnung, wie groß das Verlangen ist, dich hier und jetzt am lebendigen Leibe zu verbrennen, dass man noch Monate später deine Asche aus der Wand kratzen muss.<
Endlich sah ich so etwas wie Angst in seinen Augen aufflackern. Dabei war ich noch nicht fertig mit ihm. >Jetzt wirst du mir Namen nennen. Wir wissen, dass es weitere Verräter in Ignulae gibt. Verrate mir die Namen und ich werde das bei deiner Bestrafung berücksichtigen.< Die sehr schmerzhaft ausfallen würde. Ich wollte seinen Tod, ich wollte seinen Kopf rollen sehen. Vor einiger Zeit hätte ich das einfach hier und jetzt getan, aber in den letzten Wochen hatte sich einiges geändert. Ich sah die Dinge aus einer anderen Perspektive. Ich wusste, wo es am meisten schmerzte und wie man an diese Orte gelangte. >Sprich!< fauchte ich.
Jenaya
Das Essen schmeckte wirklich gut, ich war mehr als positiv überrascht. Genussvoll biss ich in eine rotgoldene Frucht, deren Saft sehr süß war. Sie erinnerte mich an eine Mischung aus Erdbeeren und Zuckerwasser. Mit einer leichten Kirschnote. Als Jadis sich an mich wandte, schluckte ich und leckte mir über die Lippen. >Klar, ich kann auf sie aufpassen. Sie scheint pflegeleicht zu sein.< willigte ich lächelnd ein. >Dabei können Kenai und ich einen Plan schmieden, wie wir an seinen Bruder herankommen.< Das würde der schwerste Part sein. Momentan hatte ich absolut keine Idee, aber vielleicht fiel uns beiden etwas Gutes ein. Ein Hinweis, der uns weiterbringen könnte. Ich wollte Kenai helfen. Ich wollte ihm dabei helfen, ein Stück seiner Vergangenheit wiederzufinden und hoffte sehr, dass Akela ihn nicht gleich von sich stieß. Damals hatte er das getan, um seine Familie zu beschützen, aber heute... Heute verursachte er ein Übel nach dem anderen. Auf Kosten Unschuldiger noch dazu. Steckte in ihm noch ein guter Kern? Konnte man ihm seine Taten letztendlich verzeihen? In dieser Hinsicht war ich ein wenig zwiegespalten, doch das würde ich Kenai bestimmt nicht sagen.