Ardan
Ja, es fiel mir unglaublich schwer, die Hände bei mir zu behalten. Erst recht, als Jadis sich neben mich stellte und ihren duftenden Kopf an meine Schulter lehnte. Wärme durchflutete mich. Ich wollte sie in die Arme ziehen, sie um den Verstand küssen und ihr auf intime Weise zeigen, wie sehr ich sie gerade begehrte und wie sehr ich sie liebte. Aber wir waren nicht allein. Wir erreichten zudem unseren Zielort und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich in Geduld zu üben. Falls das überhaupt möglich war bei diesen schlanken, langen Beinen, die mir den Verstand raubten.
Ich landete das Schiff dort, wo man uns mit Feuerfackeln erwartete. An diesem Platz standen bereits andere Flugschiffe oder Kutschen zusammen. Silia ordnete ich an, die schweren Seile über Bord zu werfen, damit das Personal sich um das Anbinden kümmern konnte. Sie gehorchte aufs Wort. Zen lief derweil zur Reling und starrte mit großen Augen zum Schloss, das hell erleuchtet auf einem niedrigen Hügel, hoch erhoben über den Rest der Stadt, lag. Musik drang bis zu uns nach draußen vor.
Mit einem charmanten Lächeln bot ich Jadis meinen Arm an, ehe wir gemächlichen Schrittes von Bord stiegen. Die Kinder uns dicht voraus. Wächter entlang des Pfades wiesen uns den von magischen Fackeln erleuchteten Weg, bis wir einen prächtigen Torbogen erreichten, durch den wir in den Innenhof gelangten. Wir trafen auf noch mehr verkleidete Gäste. Sie alle betraten nach und nach das Schlossinnere, wo die klassische Musik stetig lauter wurde. >Ich bin ehrlich beeindruckt. Ich habe mir das Reich und das Schloss nicht so... so märchenhaft vorgestellt. Dann wundert mich Jenayas Sanftmütigkeit nicht mehr.< gestand ich.
Am Eingang mussten wir schließlich unsere Einladung vorzeigen und dann konnten wir endlich ins warme Innere schlüpfen.
Silia
Dafür, dass ich erst vor kurzem geschlüpft war, hätte ich nicht damit gerechnet so schnell auf einer Verlobungsfeier Gast zu sein. Außerhalb der sicheren Grenzen tobte ein wilder, blutrünstiger Krieg und hier feierte man die Liebe eines einzelnen Paares. Ich war mir sicher, dass gerade in diesem Moment ein anderes normales Liebespaar dem Tod ins Auge blickte. Die Gefahr lauerte überall, aber hier suchte jeder nach einer Zuflucht. Nach Normalität. Nach Schönheit in einer Welt am Rande des Untergangs. Ich verurteilte all diese Leute nicht. Ganz im Gegenteil. Sie alle wussten um den Zustand ihrer Welt Bescheid und dennoch waren sie bereit einen Tag auf den Kampf zu verzichten. Sie hofften. Sie litten unter diesen Masken, aber sie klammerten sich an das Schöne, das trotzdem noch stattfand. Das war in Ordnung. Das war menschlich. In meinem Fall... eher nicht. Seit meiner Geburt wurde das Summen in meinem Blut stärker und stärker. Das Licht wollte hinaus. Es wollte die Dunkelheit vertreiben. Es wollte die Welten beschützen. Mein Zuhause, das Zuhause meiner neuen Familie. Hin und wieder musste ich natürlich an meine Animagi-Geschwister denken und darüber, wann sich unsere Wege kreuzen würden. Diese Woche? Nächste Woche? Es musste bald geschehen. Je früher, desto besser.
>Sieh dir den Saal an. Wie schön! So reich geschmückt.< staunte Zen mit großen Augen und riss mich damit aus meinen Gedanken. Lächelnd folgte ich seinem Blick. Er hatte recht. Man hatte sich große Mühe mit der Dekoration gegeben. Nicht zu prunkvoll, nicht zu schlicht. Die perfekte Mitte. Blau war die vorherrschende Farbe, in all ihren schönen Facetten. Ein klares Zeichen, dass das hier eine royale Hochzeit im Reich Ocamma war. Blumensträuße schmückten Wände und Decke, zusammengewürfelt mit magischen Lichtquellen. Irgendwie wirkte das alles sehr verträumt. Wie aus einem Märchen. Ich hatte Jenaya und Kenai zwar nur kurz kennengelernt, aber der Anblick erinnerte mich an die beiden. An die Liebe zwischen ihnen. Zart, hell, magisch und stark.
>Ja, mir gefällt es. Sie haben sehr viel Liebe ins Detail gesteckt.< stimmte ich meinem Bruder zu, während wir tiefer in der Menschenmenge abtauchten. Unsere Eltern waren in der Nähe. Wir hielten nach bekannten Gesichtern Ausschau, aber ich tat es vergebens, weil ich nach der kurzen Zeit wohl kaum viele Bekanntschaften gemacht hatte. Dennoch schaute ich mich interessiert um, blieb an der ein oder anderen faszinierenden Verkleidung hängen. Einige Leute hatten sich tatsächlich ins Zeug gelegt. Sie wollten garantiert Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass Prinzessin Jenaya die schönste Frau im Saal sein würde. Das hatte sie auch verdient, immerhin war sie diejenige, die verlobt war.
Ich spürte zudem die ein oder anderen interessierten Blicke an meiner Person. Nicht wegen meiner Aufmachung, das stand fest. Vielleicht wegen meiner ansehnlichen Oberweite, wenn ich den Blickwinkel der männlichen Gesellschaft richtig einschätzte. Aber im Grunde lag es daran, dass man Animagi nicht auf solchen Festen traf. Wir blieben lieber in der Natur, eng zusammenlebend mit der Tier- und Pflanzenwelt. Das wahre schlagende Herz dieser Welt. Dort lag die Magie. Das musste beschützt werden. Und hier war ich... eine Sonnenfüchsin, verkleidet wie ein Mensch auf einer Verlobungsfeier.
Seufzend schob ich mich weiter durch die Gäste auf der Suche nach einem netten Platz nahe des Buffets, denn der Duft des Essens war zu verlockend. Ich wollte jederzeit zugreifen können. Zen durchschaute mein Vorhaben und kicherte hinter vorgehaltener Hand. >Du bist aber auch immer hungrig, oder?<
>Essen macht zufrieden. Wer will das nicht sein?< zwinkerte ich ihm zu und blieb letztendlich zwischen zwei prächtigen Säulen stehen. So hatte ich sowohl das Buffet als auch die majestätischen Wendeltreppen im Blick. Bald würde das Verlobungspaar erscheinen, hörte ich einige der Wächter in den oberen Rängen murmeln. Meine Ohren zuckten. So viele Gespräche, Stimmen, Laute in diesem Saal. >Ich frage mich, wann unsere Eltern endlich heiraten werden.<
Zen runzelte die Stirn. >Hoffentlich bald.< Ich hörte einen besonderen Zwischenton heraus und wusste, was ihm dabei durch den Kopf ging. Er machte sich nach wie vor Sorgen um seinen Zustand. Genauso wie ich. Im Moment war alles in Ordnung, das spürte ich, aber manchmal wurde die Dunkelheit in ihm so stark, dass sie kurz vorm Ausbruch stand. Das Versprechen, das ich ihm einst gab, galt noch. Ich würde es nicht brechen. Konnte ich auch nicht. Ich war an Versprechen gebunden, wenn ich sie erst einmal aussprach. Das war ein Gesetz, an das ich mich halten musste. Und ich würde dafür sorgen, dass Zen ohne Reue diese Welt verließ, falls es hart auf hart kam.
Jenaya
Wäre heute der Tag unserer Hochzeit, hätte mich Kenai erst im Saal getroffen. Vor dem Altar. Aber heute fand nur der Maskenball statt, darum brauchte ich nicht vor Nervosität oder Aufregung zu explodieren. Ich wollte einfach nur seine Reaktion sehen und mit ihm tanzen. Vor all diesen Leuten. Mit wundervoller Musik. Ich hörte sie dumpf durch die Wände schallen. Gelächter, das Klirren von Gläsern. Sie warteten auf das Verlobungspaar. Auf Kenai und mich. Mit meinen besten Freundinnen an der Seite ging ich gemächlichen Schrittes um die Ecke und spürte pure Wärme in mir aufsteigen. Egal wie oft ich Kenai zu Gesicht bekam, es fühlte sich wie das erste Mal an, als ich realisierte, welche Gefühle er in mir weckte. Er zog mich an. Die Dunkelheit mochte dem Licht überallhin folgen, aber das Licht versteckte sich auch gern in den Schatten, um Ruhe zu finden. Frieden. Kenai war das für mich. Mein Rückzugsort. Mein eigenes Zuhause.