Das wird eine laaaaange Fahrt XD
Jenaya
Ich sah auf seine Hand hinab und unterdrückte den mir fast angeborenen Drang nachzugeben. Wenn es um Kenai ging, gab ich immer nach. Heute nicht. Nicht mehr.
>Ich hatte genügend Zeit zum Nachdenken und ich bin zu einem Entschluss gekommen, an dem ich festhalten werde, ob es dir passt oder nicht.< sagte ich mit einer Ernsthaftigkeit in meiner Stimme, die nichts anderes vermuten ließ. Ich sah Kenai fest in die Augen und fuhr fort: >Dass du mich angelogen hast, um die Feier schön ausklingen zu lassen, kann ich verstehen. Trotzdem ist Lügen falsch, wie du richtig erkannt hast. Lieber möchte ich die schmerzhafte Wahrheit hören als eine süße Lüge.< Ich nahm einen tiefen Atemzug, bereitete die nächsten Worte vor. >Du hast damit gezeigt, wie verdammt wichtig es dir ist, deinen Bruder aus welchem dunklen Abgrund auch immer zu retten. Egal, was ich oder jemand anderes zu dir sagt, willst du trotzdem an ihm festhalten, darum mache ich mir erst nicht die Mühe darauf einzugehen. Du hast deinen Standpunkt mehr als klargemacht. Aus diesem Grund möchte ich, dass du gehst. Ich will, dass du mit ihm gehst und die Sache klärst. Bleib fort, solange es eben nötig ist, bis ihr beide einen Nenner gefunden habt. Schlagt euch die Köpfe zusammen, befreit die Monster in euch, reißt euch beide ins Verderben... Ich will nicht dabei zusehen. Ich will nicht davon betroffen sein. Ich habe keine Kraft mehr dafür. Ich muss meine Kraft für die Leute aufbringen, die Schlimmeres durchleben als Beziehungsschwierigkeiten und genau deswegen ist es meiner Meinung nach besser, wenn wir fortan getrennte Wege gehen.<
Dies sollte ein Moment sein, wo ich in Tränen ausbrach oder zu zittern anfing, weil mein Herz wie ein Wasserfall blutete, doch nichts dergleichen geschah. Ich blieb standhaft, ich wich seinem Blick nicht aus. Meine Entscheidung stand fest. >Du wirst gehen und du wirst deine Erfahrungen machen. Ohne mich. Ich werde solange mit meinen Brüdern und Freunden in den Kampf ziehen. Kläre das, was geklärt werden muss. Finde deinen Frieden mit deinem Bruder, rette ihn, falls er gerettet werden kann und will, ich wünsche es mir für dich. Und wenn das getan ist, kannst du jederzeit zu mir zurückkehren. Ich tue das nicht, weil ich dich bestrafen will. Ich tue es, weil es längst fällig war. Geh und werde ein Mensch, Kenai. Ich zweifle nicht daran, dass du an der räumlichen Trennung wachsen wirst. Auch ich werde daran wachsen, ich werde neue Stärke finden. Und wenn wir uns wiedersehen, dann...< Ich schluckte, spürte den dicken Kloß im Hals. >...dann reden wir weiter.<
Als ich meine Hand aus seiner löste, spürte ich die Sonne in meinem Rücken, als würde sie mich in meinem Vorhaben, in meiner Entscheidung bestärken wollen. Ich brauchte diese Stärke und ich würde sie mir zunutze machen. >Versprich mir einfach nur, dass du heil zu mir zurückkommst. Das ist mein einziger Wunsch. Bitte.<
Silia
Ich bewegte mich keinen Millimeter, als er auf mich zutrat und so dicht bei mir stand, dass sein Geruch der einzige war, der sich einen Weg in meine sensible Nase bahnte. Dunkelheit. Oh, die verlockende Dunkelheit. Es war, als könnte ich seine schlechten Absichten schmecken. Ich wusste, dass ihn der Drang erfüllte, meinem Licht zu schaden. Er wollte es ersticken, so wie ich die Schwärze aus ihm vertreiben wollte. Die Natur hatte eben ihre Gesetze.
Als er mir all die Dinge aufzählte, die er von mir einfordern könnte, zog ich eine Braue in die Höhe und unterdrückte ein Lächeln. Wieso überraschte mich all das nicht? Vor allem die Nummer mit den Schuldgefühlen. Ich neigte den Kopf zur Seite. Musterte sein Gesicht, den kalten Blick und das diabolische Lächeln. Was genau bewahrte das kleine Licht in ihm auf? Was war noch übrig von der einst blühenden Menschlichkeit? >Nimmst du immer an, dass dein Gegenüber schwächer ist als du, indem du versuchst seine sensibelsten Punkte anzusprechen? Familie, Freunde, Liebende... Gibt es nichts anderes, womit du andere emotional erpressen kannst?< Ich hob die Hand, um ihn von mir zu schieben, hielt jedoch kurz vor seiner Brust inne. Von einer Sekunde auf die andere lud sich die Spannung zwischen Licht und Finsternis dermaßen auf, dass ich sie greifen könnte. Ich tat es nicht. Ich ließ die Hand langsam wieder sinken, ohne ihn jedoch aus den Augen zu lassen.
>Du weißt nichts über mich. Nicht wirklich. Du weißt nicht, wie viel ich zu ertragen bereit bin und du weißt nicht, ob ich nicht bereits Opfer gebracht habe, von denen du nicht einmal zu träumen wagst. Also spar dir die Mühe und gehe einen Handel ein, der für uns beide von Vorteil ist.< Ich löste mich aus meiner entspannten Haltung und hob das Kinn an, damit er ja nicht dachte, ich würde je klein beigeben. >Nenn mir deinen Preis, Schattengeborener. Nenn ihn mir und vielleicht hast du das Glück meine Gesellschaft öfters zu ertragen.< setzte ich mit einem zuckersüßen Lächeln nach. Ein sanfter Wind fegte in diesem Moment durch die schmale Gasse und wirbelte Blüten auf, die so gar nicht zur Kulisse passten. Und dennoch... Ich verlor mich für einen kurzen Moment bei dem Anblick, der sich mir bot. Verbotene Versuchung, dachte ich mit einem Seufzen.
Akela