Let it goooo, let it goooo hahahha
Ardan
Was ich in diesem Moment empfand, konnte mit Worten nicht beschrieben werden. Es fühlte sich an, als würde eine fremde, übernatürliche Kraft meinen Körper bis in den äußersten Winkel erfüllen. Schwärze floss schwer durch meine Adern. Meine Hand, die die Sense umfasste, verkrampfte sich und schaffte es nicht die Waffe loszulassen. Die Blitze fuhren direkt hinein und wurden in meinen Körper geleitet. Sie speisten den dunklen Teil in mir. Gaben ihm mehr und mehr Macht. Genug, um die Ketten zu sprengen, die ich dem Dämon angelegt hatte. Ein animalisches, tiefes Grollen baute sich in meiner Brust auf. Ich atmete schneller, krümmte den Rücken und stieß ein Brüllen aus, das bis in meine Knochen vibrierte. Irgendetwas schoss auf mich zu. Ketten aus reinem Psion. Sie schlangen sich um meine Hand- und Fußgelenke. Noch mehr folgten und fesselten mich an Ort und Stelle. Die Schwarzmagier... Sie riefen sich weitere Dinge zu. Dämonische Sprache. Ich verstand sie. Ich verstand sie klar und deutlich. Gefangen nehmen, sie wollten mich tatsächlich gefangen nehmen.
Wieder stieß ich ein tiefes Grollen aus, während die unreine Energie mein gesamtes Gleichgewicht aus der Bahn warf. Ich wollte mir ins Haar greifen, mich irgendwie wehren, doch die Ketten... Sie lagen schwer auf meiner Haut. Sie brannten. Sie machten mich so unfassbar wütend. Die Sehnen an meinen Unterarmen traten hervor, als ich versuchte die Kontrolle über mich selbst wiederzuerlangen, doch der Fluch breitete sich weiter aus und zwang mich in meine halbdämonische Gestalt. Schuppe für Schuppe durchbrach meine zum Zerreißen gespannte Haut. Ich wehrte mich dagegen. Vergeblich. Diesmal waren es keine strahlend roten Drachenschuppen, sondern tiefrote. Ein derart dunkles Rot, das es fast schwarz wirkte. Sie breiteten sich bis zu meinem Kiefer aus, nahmen die Hälfte meines Gesichts ein. Es tat weh. Ein mir unbekannter Schmerz zwang mich in die Knie, als die Ketten straff gezogen und mir dabei fast die Arme ausgerissen wurden. Ich warf den Kopf in den Nacken. Starrte in den düsteren Himmel. Licht durchbrach die Wolkendecke, doch das Licht erreichte mich nicht. Ich spürte nur, wie meine Augen nach hinten rollten. Wie meine Sicht sich schlagartig veränderte und ich alles schemenhaft wahrnahm. Schwarze Figuren, glühende Funken über mir.
Lass mich frei, lass mich frei, lass mich frei... wiederholte die raue Stimme in meinem Kopf. Er war am Platzen. Die Dunkelheit war zu groß, nahm zu viel Platz ein. Wenn das so weiterging, platzte ich bald. Das Brennen war unerträglich und ich lechzte nach Blut. Nach Tod. Nach Zerstörung. Ich wollte alles und jeden in den Abgrund reißen. Alles niederbrennen, was sich vor meinen Augen befand. Die Wut wurde stärker, berauschte mich. Lass mich frei, lass mich frei... Es hörte einfach nicht auf. Als die Ketten um meine Taille noch fester zudrückten, war’s das. Etwas schnappte in mir frei.
Glühendes Feuer wirbelte um mich herum auf und zerschmolz die Ketten, als bestünden sie aus dünnem Stoff. Ich warf die Sense achtlos zur Seite, brüllte, brüllte und klang dabei mehr denn je wie ein Drache, der aus seinem unendlich langen Schlaf erwacht war. Feine, dunkelviolette Adern zogen sich über meine von den Schuppen unberührte Haut und pumpte mehr unreine Energie in meinen Körper, der überall lichterloh in Flammen stand. Die Mäuler der Bestien schnappten nach mir, doch ich reagierte schneller. Sehr viel schneller. Ein Nacken nach dem anderen brach, fremdes Blut benetzte mich. Dabei drückte etwas in meinem Rücken. Es wollte freikommen. Es wollte frei sein. Ein Riss durchschnitt den Klang des Todes und mein Körper geriet in eine schiefe Stellung, als ich mit dem einen Flügel wie wild schlug. Völlig ungelernt in dem, was gerade mit mir passierte. Der schwarze, ledrige Flügel ähnelte dem eines Drachen. Es lag große Kraft in ihm. Kraft, die ich noch nicht zu lenken wusste. Meine Gedanken rasten. Ich wusste nicht, wohin mit all der Energie. Wusste nicht, was ich gerade tat. Alles, was ich wahrnahm, war der Tod, der an meinen Händen klebte. Feuer, das über den Boden leckte und Leichen zu Asche verwandelte. Ich gab animalische Laute von mir. Sie fegten über das Kampffeld. Wahnsinn befiel mich. Frei, frei, frei... Ich bin endlich frei.
Silia
Dadurch, dass das Lied der Himmelstränen viel Kraft abverlangte, genehmigte ich mir eine kleine Verschnaufpause und ließ meinen Blick über die aktuelle Situation unter mir schweifen. Jenaya kam nach wie vor zurecht. Das Licht hatte ihr einen neuen Schub gegeben und das zahlte sich nun aus. Auch die anderen Kämpfenden wirkten motivierte. Sie kämpften mit mehr Elan, mehr Geschick. Die neue, frische Energie tat allen gut. Ich war erleichtert darüber. Meiner Mutter schien es ebenfalls besser zu gehen, denn plötzlich erklang ein uraltes Lied, das alles in glitzerndes Eis verwandelte. Sie war mächtig. Sie konnte so unfassbar mächtig sein, dafür dass sie eine Harpyie war. Auserwählt, um ihre Art neu aufleben zu lassen. So etwas wie Stolz erfüllte mich, denn sie schaffte es, ihren Feind zu besiegen und ich wusste, wie viel ihr das bedeutete.
Dennoch... ich freute mich zu früh. Ganz vorne, dort, wo mein Vater kämpfte, änderte sich die Stimmung drastisch. Ich nahm eine Dunkelheit wahr, die mich bis hierher erreichte. Weit oben im Himmel, so weit im Hintergrund. Die Schwingungen waren besorgniserregend und dann hörte ich es... Diesen Ruf. Das tiefe Grollen. Meine Ohren zuckten unruhig. Drache. Es hatte ganz nach einem Drachen geklungen. Einem dämonischen Drachen. Sie müssten eigentlich ausgestorben sein, aber ich irrte mich nicht. Das war der Klang eines finsteren Drachen und ich hatte das ungute Gefühl, dass mein Vater der Ursprung dafür war. Um ganz sicher zu sein, flog ich näher zu der Stelle hin, wo sich plötzlich glutrotes Feuer wie in einem Sturm in alle Richtungen ausbreitete. Dann sah ich ihn. Papa. Schwarzmagier und wilde Bestien fielen ihm reihenweise zum Opfer. Er wütete wie ein wilder Irrer. Seine Gestalt hatte sich völlig verändert und er wirkte mehr denn je wie ein verfluchter Dämon. Sie hatten ihn dazu gebracht, seine Kontrolle zu verlieren. Verdammt!
Mit unruhig pochendem Herzen wandte ich mich von der Schreckensszene ab und flog zu meiner Mutter. Wir mussten Papa aufhalten, sonst lief er Gefahr, nicht nur unseren Feind, sondern auch unsere eigenen Leute anzugreifen. >Mama!< rief ich aus weiter Entfernung. Schnell wie Licht gelangte ich zu ihr und landete stolpernd vor ihr. Sie lag bewusstlos am Boden. >Mama, bitte, nicht jetzt...< murmelte ich gestresst. Meine Hände strichen fahrig über ihren verletzten Körper, den ich mit meinem Licht versorgte. Ich achtete darauf, sie nicht mit zu viel Energie zu versorgen, aber sie musste jetzt aufwachen. >Mama, wach auf! Bitte. Papa... Er, er braucht dich. Er hat die Kontrolle verloren.< Ich tätschelte ihre Wange, rüttelte an ihrer Schulter. >Er verliert sich. Ich kann ihm nicht helfen, mein Licht ist zu stark für ihn. Du musst ihn zurückholen.<
Wenn ich mich ihm entgegensetzte, könnte ich ihm im Eifer des Gefechts großen Schaden zufügen und das wollte ich tunlichst vermeiden. Da meine Eltern miteinander verbunden waren, erschien es mir die beste Idee, sie zu ihm zu schicken. Sie würde es schon irgendwie schaffen, zu ihm durchzudringen.