Yasemine:
Mein Blick fiel erneut auf die Uhr über der Tür, die in den hinteren Raum -die Backstube- führte. Es war kurz vor 8:00 Uhr und langsam müsste ich mich auf den Weg zur Schule machen. Allerdings hatte sich vor dem Tresen eine lange Schlange gebildet und ich trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Meine Mutter ließ erneut auf sich warten. Ich konnte mir nicht erlaubten, erneut zuspät zu kommen, was in dieser Woche schon öfters der Fall war. Zwar hatte ich gute Noten, aber das ständige Zustäpkommen könnte mir auch den Abschluss kosten. Bis dahin war es kein ganzes Jahr mehr, aber für meine Eltern spielte es keine Rolle. Sie hatte bereits für mich meine zukünftigte Laufbahn geplant. Ich sollte eine Ausbildung zur Bäckerin machen und später, wenn meine Eltern das Rentenalter erreicht haben, die Bäckerei meiner Eltern übernehmen. Ihre Pläne waren nicht meine Pläne, aber sie würden es wohl werden. Ich seufzte und setzte ein Lächeln auf, als eine junger Mann im Anzug, an den Tresen trat. Er gab seine Bestellung auf und ich packte ihm sein Brötchen in eine Tüte und stellte einen Kaffee to go auf den Tresen. Ich nahm das Geld entgegen und gab Wechselgeld zurück. Als nächstes kam ein junges Mädchen, was wohl auf dem Weg zur Schule war. Andere Kundin, gleiches Vorgehen. Bedienen, Abkassieren.
"Guten Morgen, Yasmine." - es war eine schwache Stimme, die ich jedoch seit Jahren kannte. Mein Lächeln wurde breiter. "Wie geht es dir?" - wollte die alte Frau Richter wissen. Die Rentnerin kaufte bereits seit Jahren ihr Gebäck hier bei uns und gehörte zu den ältesten Stammkunden. "Habt ihr schon den Weihnachstollen?" - fragte sie weiter.
"Guten Morgen." - begrüßte ich sie ebenfalls. "Erst ab nächster Woche. Immer zwei Wochen vor den Weihnachtsfeiertagen." - erklärte ich ihr und es war wie en Deja-vue. Dieses Gespräch führte ich mit der alten Dame jedes Jahr.
"Kannst du deinem Vater sagen, dass er mir zwei Stück zurückhalten soll?" - bat sie mich.
"Sicher, mit Rosinen." - entgegnete ich und sie lächelte mich dankbar an. "Was darf es denn heute sein?" - fragte ich dann. Auch Frau Richter gab ihre Bestellung auf.
"Und freust du dich auf das Fest?" - wollte die Frau wissen, während ich die Brötchen einpackte.
"Ja, sehr." - sagte ich nicht ganz die Wahrheit. Ich mochte Weihnachten nicht, denn es war ein Familiending und seit meine Schwester nicht mehr da war, waren wir keine Familie mehr. Seit drei Jahren war Heiligabend ein Trauerspiel und brachte nur Frust und Wut in mir hoch.
Frau Richter bedankte sich und verließ den Laden. Nun war die Bäckerei leer, bis auf Ben, der ebenfalls zu den Stammkunden gehörte und an einem Tisch in der Ecke seinen Kaffee trank.
Mein Blick fiel auf die Uhr und ich seufzte resigniert, 8:15 Uhr, jetzt kam ich schon zu spät.