Hanabi
Fenrirs Bewegungen passten zum Takt. Er strahlte weiterhin Selbstbewusstsein und Stärke aus, deshalb würde man nie auf die Idee kommen, sich über ihn oder mich lustig zu machen. Aber die Menschen wirkten nicht mal, als wären sie auf Streitigkeiten aus. Alle waren fröhlich und munter, tanzten eine festgelegte Schrittfolge ab oder tanzten frei wie wir. Nur auf die Musik kam es an. Auf das peppige Tempo. Doch dann zog mich Fenrir eng an sich und legte seine Arme um mich, was mich wohlig erschaudern ließ. Ich liebte seine Umarmungen, seine Nähe im Allgemeinen. Erst recht, als er sein Gesicht in meinem Haar vergrub und ich seinen warmen Atem auf der Kopfhaut spüren konnte. Ein weiterer Schauder folgte. >Mmh, das ist schön.< seufzte ich zufrieden, während wir uns weiter im Takt wiegten. Alles andere spielte keine Rolle mehr. Ich verlor mich wieder in dieser Welt, in der nur er und ich existierten.
Malevor
In dem Moment, als ich danebengriff, wusste ich, dass ich zu viel getrunken hatte. Beinahe wäre mein Glas umgekippt und hätte den restlichen Wein auf dem Tisch verteilt. Schade um den guten Wein, den ich ein andern Mal wieder trinken wollte. Nur nicht jetzt. Nicht mehr für den Rest des Abends. Oder war es bereits Nacht? Hier drinnen verlor man jegliches Zeitgefühl, ganz besonders wegen den tanzenden Leuten und der guten Stimmung. Es war wie ein Fest. Ein Fest für alle. Ich schluckte den trockenen, süßen Geschmack hinunter und stand auf, was angesichts des Alkohols in meinem Blut komplizierter war als gedacht. Meine Sicht verschwamm kurz, ehe sie wieder klarer wurde und ich nach meinem Mantel greifen konnte. Ich schaute weder rechts nach links. Ich musste raus. Raus aus diesem Saal voller Lachen, guter Laune und verlockenden Wünschen. Selbst die Wette mit meinem überglücklichen Bruder war mir egal. Sollte er doch gewinnen, auch wenn ich inzwischen mehr getrunken hatte als er. Das alles... war egal.
Es kostete mich genug Kraft geradeaus zu laufen, ohne jemanden zu Boden zu stoßen. Immerhin ging man mir instinktiv aus dem Weg. Das ersparte mir die Mühe in seltsamen Linien zu schlendern. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich dann die Tür, stieß sie auf und hätte beinahe jemandem das Gesicht zerschlagen. Wäre ich klar bei Sinnen, hätte ich mich entschuldigt, aber ich brachte bloß ein Brummen zustande und schleppte mich weiter bis zur Kabine. Das kleine Bett hatte nie lauter nach mir gerufen. Ich schwankte darauf zu, beugte mich vor und stieß mir mit voller Wucht den Kopf gegen den Rahmen des oberen Bettes. Laut fluchend wollte ich dieses verdammte Holzbett zu Feuerholz zerlegen, doch der verbliebene Rest Vernunft ermahnte mich zur Ruhe. O ja, die Stille wäre jetzt angebracht. Aber die Stille hatte sich seit dem ersten Glas Wein verabschiedet. Stattdessen löste sich meine geistige Hemmschwelle in Luft auf, machte mich empfänglich für all die Gedanken und Erinnerungen, die ich so lange unter Verschluss gehalten hatte.
Mit einem leisen Aufstöhnen plumpste ich aufs Bett und ließ dabei den Mantel achtlos zu Boden fallen. Das Oberteil folgte, dann die Hose. Hauptsache, ich brannte nicht mehr so stark. Ob ich das Fenster öffnen konnte? Mit einer Hand drückte ich probehalber dagegen und atmete erleichtert auf, als es seitlich kippte. Die kühle Nachtluft tat unfassbar gut. Wäre ich nicht so betrunken, wäre ich eher an Deck gegangen und hätte mir dort die Sterne angesehen, aber das reichte auch... es reichte. Schwer seufzend legte ich meinen Unterarm quer über die Augen, die unangenehm brannten. Diese verfluchten Gefühle, stur wie Unkraut, kehrten mit aller Macht zurück und brachten all die Splitter meiner zerschundenen Seele durcheinander. In Momenten wie diesen wünschte ich mir nichts sehnlicher als Sury. Ihr Licht, das mich stets gerettet und in eine bessere Richtung geführt hatte. Ihr warmes Lächeln, die sonnengeküsste Haut, das flammende Haar und ihre kräftige, volle Stimme. Eine Stimme, die für mich gesungen hatte, aber die mir nicht mehr gehörte. In Momenten wie diesen wurde ich schwach und wurde wütend auf sie. Weil sie mich verlassen hatte. Weil plötzlich alle Liebesschwüre verblassten und die Bilder ihre Farben verloren. Nur triste Grautöne blieben zurück. Bittersüße Erinnerungen... und ein gebrochenes Herz. Dieser Teil schmerzte heftiger als jede Kampfwunde, die ich je erlitten hatte. Ich wollte das nicht fühlen. Wollte nicht zulassen, dass die Finsternis in mir diese Schwäche zu ihrem Vorteil nutzte und das einzig Gute in mir zerstörte. Vor fünf Jahren hatte mich der Wahnsinn ergriffen und das durfte nie wieder passieren. Nie wieder. Der Liebeskummer war schmerzhaft genug, aber dass ich eine wertvolle Freundin getötet hatte, machte alles nur noch schlimmer. Was ich liebte, wurde dazu verdammt mir zu entgleiten... entweder direkt in die Arme einer anderen Person oder in den Tod. Für mich blieb nur der Schmerz. Ich hatte nicht einmal meinen eigenen Bruder beschützen können. Mein Verschwinden hatte ihn zerstört und vereinsamt. Er hatte gelitten. Wegen mir. Weil ich das Sinnbild eines Fluchs war. Meine gesamte Existenz war ein einziger, hässlicher Fluch.
Bei den verdammten Göttern, was hatte ich mir bloß dabei gedacht so viel zu trinken!? Ich hätte es besser wissen müssen... Mein Gesicht verkrampfte sich, als das Brennen in den Augen stärker wurde. Ich drehte mich auf die Seite Richtung Fenster und drückte es tief ins Kissen, als könnte ich damit alles in mir dämpfen. Aber die Stille blieb fort. Gerade jetzt, wo ich sie am meisten brauchte, war sie unerreichbar und verhöhnte mich, während mich mein eigener Geist folterte. Ich bin nicht in der Ewigen Verdammnis, rief ich mir selbst in Erinnerung. Ich bin nicht in der Ewigen Verdammnis. Ich bin nicht in der Ewigen Verdammnis...