Malevor
Jedes Mal, wenn ich in ihr lebloses Gesicht sah, kämpften Verzweiflung und Wut miteinander. Ich war hin- und hergerissen. Ich wollte denjenigen ausfindig machen, der ihr das angetan hatte und gleichzeitig wollte ich für Taiga da sein. Sichergehen, dass sie wieder auf die Beine kam und noch zu einem Lächeln fähig war. Wenigstens ein schwaches. Dass das Wunschdenken war, wusste ich nur zu gut. Nach wie vor empfand ich keine Hoffnung, doch die Aussicht darauf, dass Sury ihr helfen könnte, kam nah an das Gefühl heran, was andere als Hoffnung beschrieben. Es brannte. Direkt in meinem Herzen. Kraft gab es mir allerdings keine. Dafür war die glühende Wut zu stark. Sie übermalte alles andere.
Sobald wir Hana'yei erreichten, wandte ich mich an meinen Bruder. >Du kannst zurück zu Hanabi. Ein weiteres Risiko möchte ich nicht eingehen. Bleib bei ihr. Ab hier komme ich klar.< Wenn auch noch Hanabi etwas zustieß, während Taiga im Zentrum des Geschehens stand, nein, das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Sie musste ebenfalls mit allen Mitteln beschützt werden. So gehörte sich das in einem Rudel. Man passte aufeinander auf. Nur hatte das in diesem Fall nicht geklappt. Und es könnte Taigas Leben kosten. Wieder dieser stechende Schmerz. Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, nickte meinem Bruder zu und eilte mit Taiga im Arm los. Sury zu finden, erforderte zum Glück kein großes Geschick. Für meine Stille war es ein Leichtes einen Willen zu finden, der so stark war, dass er nicht gebrochen werden konnte.
Als ich sie ganz in der Nähe wahrnahm, rief ich laut nach ihrem Namen. Andere Kleintiere sowie Vögel flüchteten schlagartig, als sie mich bemerkten, doch das interessierte mich sowieso nicht. Sollten sie alle verschwinden. Ich stand kurz davor, auch dieses Land ins Verderben zu stürzen, aber das würde meinem Schöpfer nur in die Hände spielen. Das konnte er vergessen. Meine Rache würde sehr viel schlimmer sein. Das schwor ich mir.
In diesem Moment kam Sury herbeigeeilt. Licht umgab sie und ließ sie unwirklich erscheinen, aber sie war da. Sie hatte mich gehört und war nun da. >Mal, wieso bist-< Der Rest ihrer Worte blieb unausgesprochen in der Luft stecken, als sie Taiga in meinen Armen erblickte. Einen Augenblick später stand sie schon vor mir und berührte die Animagi vorsichtig an der Stirn, dann ihre Brust. Dort, wo Taiga sich ein Stück ihres Willens bewahrt hatte. Verdammt... und sie hatte gedacht, sie sei nicht stark. Das Brennen in meiner Brust wanderte bis in meine Augen. Die Frustration brachte mich noch auf der Stelle um. Sury sagte etwas, ich hörte es nicht. Sie berührte mich am Arm, ich zuckte leicht zusammen.
>Malevor. Leg sie bitte auf den Boden. Ich werde ihr Herzenslicht so gut wie möglich heilen. Das verspreche ich dir.< sagte sie eindringlich. Das Feuer in ihren Augen überzeugte mich, aber ich schaffte es trotzdem nicht Taiga loszulassen. Nur langsam ging ich in die Knie. Mir fiel das Atmen schwer. Ich hatte Angst um Taiga. Was, wenn Sury feststellte, dass es nichts mehr zu retten gab? >Sie wird wieder auf die Beine kommen. Ich werde sie nicht im Stich lassen. Selbst wenn ich Tage benötige, um ihr Licht zusammenzuflicken.< Meine Ex-Gefährtin schien mich nach all der Zeit noch gut zu kennen, denn diese Worte musste ich hören, um meinen Griff zu lockern. Wenn es jemanden gab, der Unmögliches möglich machte, dann sie. Erneut durchlief mich ein Zittern, dann lag Taiga im knöchelhohen Gras.
Sofort beugte sich Sury vor und ließ ihre Hände über den nackten Körper schweben. >Du hast tapfer gekämpft, Taiga. Diesen Kampf überstehst du auch. Du bist stärker als die Dunkelheit.<