Cael
Der Moment der Wiedervereinigung währte nicht lange. Ich war zu verwirrt, zu aufgelöst, um schnell zu reagieren, als sie mich erneut von sich stieß und die Flucht ergriff. Dabei konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Erst da bemerkte ich auch die andere Präsenz im Raum. Ein Wesen wie Ivoli. Sie teilten dieselbe Energie. Die der Zwischenwelt. Und dieses Wesen versuchte auf Ilea einzureden, so wie es Ivoli manchmal tat. Seine Anwesenheit würde ich später hinterfragen, denn zuerst musste ich Ilea helfen. Sie wirkte verloren. Verloren, verzweifelt und frustriert. Gefühle, die mich während der gesamten Warterei innerlich zerfressen hatten. Ihr fehlte die Klarheit, die Bestätigung, dass all das hier real war. So interpretierte ich ihre von Wut und Enttäuschung getränkten Worte. Das war eine ganz neue Seite an ihr, aber keine, die mich sie weniger lieben ließ. Gerade jetzt brauchte sie mehr denn je von diesem warmen Gefühl, bevor sie etwas tat, was sie später absolut bereuen würde. Ihre Magie prickelte gefährlich in der Luft.
Ich schloss eilig zu ihr auf und packte nach ihrem Handgelenk, unvorbereitet, als ein scharfer Schmerz in meinen Kopf schoss. Zischend sog ich Luft zwischen die Zähne. Wegen meiner Sorge um sie hatte ich die inneren Schilde nicht hochgefahren und jetzt bekam ich die Nachteile ihrer Magie zu schmecken. Es fühlte sich an, als würde man mein Gehirn mit Bildern und Stimmen grillen. War es das, was Ilea jedes Mal durchmachte, wenn sie sich auf die Erinnerungen anderer einließ? Beinahe hätte ich sie wieder losgelassen, aber nur beinahe... Stattdessen drehte ich sie zu mir um und küsste sie. Fest. Mit Nachdruck. Dann sanfter, zärtlicher. >Fühlt sich das unecht an, lumina?< Ich suchte nach dem Licht in ihren Augen. >Du hast ein starkes Herz. Und darin wohnt keine Wut, wie du sie gerade empfindest. Und auch keine Furcht.< Mein Licht sprang in Funken über ihre Hand, die ich weiterhin in meiner hielt. Der Schmerz in meinem Kopf ließ nach. >Du hast dein Versprechen eingehalten, Ilea. Du bist hier. Wirklich hier.<
Imesha
Offenbar hatte ich mich zu früh gefreut, denn Ilea schien zu glauben am falschen Ort zu sein. Konnte man ihr das verübeln? Wir hatten keine Ahnung, was ihre Seele alles hatte ertragen müssen, bis sie zurück zu ihrem Körper gefunden hatte. Trotzdem schockierte mich die Intensität ihrer Wut, ihrer tiefen Verzweiflung. Sie brüllte mehr, als dass sie sprach, aber das, was sie sagte, tat mir weh. Für sie. Weil man mit ihren geliebten Erinnerungen gespielt hatte und das war eine Qual, die niemand durchleiden sollte. Vor allem keine Ilea. Sie ließ uns nicht einmal zu Wort kommen, so sicher war sie, dass wir nur Trugbilder einer nicht enden wollenden Fantasie waren. Ihre Wut war greifbar. Ich brauchte keine magische Sicht, um zu erkennen, dass sie im Begriff war ihre Magie gegen uns anzuwenden, aber mir würde nie in den Sinn zu kommen sie deswegen anzugreifen. Schutz suchen? Ja. Aber das erledigte Cael für uns, als er ihr in die Quere kam und hoffentlich zu ihr durchdrang. Unter anderen Umständen hätte ich den Blick abgewandt, um ihnen etwas Privatsphäre zu gönnen, aber ich musste wissen, ob er sie erreicht hatte und sie zur Ruhe kam.