3 Wochen später...
Cael
Ich umklammerte das Waschbecken fester, da ich das Gefühl hatte nicht mehr aufrecht stehen zu können. Mir schwirrte der Kopf. Schweiß tropfte von meinen Haarspitzen und hinter meinen geschlossenen Lidern brannte es. Genau wie in meiner Brust und in meiner verfluchten Hand. Seit ein paar Tagen hatte ich diese kleinen Phasen, in denen ich auseinanderfallen wollte. Wobei... explodieren traf es eher. Da war so viel aufgestaute Energie, so viel Ungleichgewicht, dass mir kotzübel wurde, während mir der Schädel brummte. Das harte Training in diesen fürs Kämpfen vorgesehen Räumlichkeiten half meistens, nur nicht immer. Heute Morgen hatte ich mich bestens gefühlt, gut ausgeschlafen, mit Ilea gekuschelt, entspannt in kleiner Runde gefrühstückt und dann auf zu den geplanten Unterrichtseinheiten, die uns stärker, schneller und schlauer machen sollten. Volles Programm. Erinnerte mich an Schule. Ans Studieren. Hatte Vor- und Nachteile. Trotzdem wusste ich das alles zu schätzen. Inzwischen hatten wir uns alle an den Alltag in Mahomashu einigermaßen gewöhnt, es herrschte nicht mehr derselbe Argwohn, dasselbe Misstrauen wie zu Beginn. Kein Drama seit diesem einen tragischen Tag. Zum Glück.
Nur lief nicht alles so reibungslos wie erhofft. Was mich betraf zumindest. Den anderen ging es soweit gut, es sei denn sie behielten ihre schwachen, irritierenden Momente für sich. Wie ich. Mir war bewusst, dass das dumm von mir war. Geheimnistuerei half niemandem von uns weiter, doch diese eine Sache... meine Schattenmagie, darüber konnte ich schwer mit jemandem reden. Weil keiner sie verstand. Weil keiner mir sagen konnte, wieso das Mal an meiner Hand plötzlich pochte, schmerzte und das zu den unterschiedlichsten Zeiten. Mit meinen Emotionen hatte das jedenfalls nichts zu tun. Diese Verbindung hatte ich aus eigener Beobachtung ausgeschlossen. Das Adrenalin beim Kämpfen löste selten eine Reaktion aus und meine Lichtmagie übte genauso wenig Einfluss darauf aus. Glaubte ich zumindest. Vielleicht hatte das alles auch mit den seltsamen Träumen zu tun. Wie damals mit Ilea. Derselbe Ort, dasselbe Geschehen und mittendrin meine Person, die ein Rätsel zu lösen versuchte. Bislang ging es immer um meine Erfahrung in der Schattenwelt. Als ich mit der schwarzen, von roten Blitzen durchzuckten Masse in Berührung kam. Es musste einen Zusammenhang geben, doch jedes Mal, wenn ich mich dem nähern wollte, wurde ich fortgerissen und ich wachte schweißgebadet auf. Dadurch hatte ich Ilea ein paar Mal geweckt und sie mit normalen Albträumen abspeisen müssen, allerdings würde ich das nicht länger für mich behalten können. Ich hasste es unehrlich zu sein. Es sprach gegen meinen Charakter, gegen meine Erziehung. Gleichzeitig wollte ich niemandem Sorge bereiten. Vor allem nicht Ilea, nicht nach all ihren Fortschritten. Jedes Lächeln war ein Gewinn und ich wollte kein Grund dafür sein, dass sie es aus Angst und Sorge wieder verlor.
Wenn ich dafür im Einzelbad neben den Trainingsräumen einen halben Zusammenbruch erleiden musste, so sei es. Ich ging da erst wieder raus, wenn ich klar bei Verstand war und das Brennen in meiner Hand nachließ. Wenn ich mich ausschließlich auf meine Atmung konzentrierte, wurde es ein wenig erträglicher, aber mich doppelt oder dreifach im Spiegel zu sehen, war wohl kein gutes Zeichen. Ich würde mich weiter in Geduld üben müssen. Immerhin vermisste mich da draußen noch niemand, weil meine Einheit eine weitere Stunde andauerte und ich mir ziemlich sicher war, dass Ilea und die anderen beiden gut beschäftigt waren. Hoffte ich zumindest.
Die nächste Schmerzwelle erfasste mich wie ein ausgewachsener Fenrir, der mich niedertrampelte. Ich unterdrückte ein Aufstöhnen und schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter. Im Hintergrund hörte ich zusätzlich Ivolis nervöses Flügelflattern, aber auch mein lieber Gefährte konnte mir nicht helfen. Wir waren beide ratlos.
Imesha
Ich betrachtete das Ergebnis aus allen möglichen Winkeln und lächelte mein Spiegelbild zufrieden an. Das sah doch schon viel besser aus als bei meinen ersten missglückten Versuchen. Da ich seit einiger Zeit mit dem Gedanken spielte mir die Haare kürzer schneiden zu lassen, hatte ich vor ein paar Tagen ganz zufällig mit Anesh darüber gesprochen, die mir dann andere Ideen geliefert hatte. Neue Frisuren, traditionell für die Magieweber-Frauen, elegant und einzigartig, ziemlich aufwendig, aber dafür sehr praktisch, wenn man sich viel bewegte. Heute Morgen hatte ich meine zwei Stunden Magieweben hinter mich gebracht, eine Stunde Meditation, Mittagessen in der Halle, wo sich auch alle anderen Gelehrten aufhielten und jetzt bereitete ich mich auf das längst überfällige Gespräch mit Amara und Rakurai vor. Noch verspürte ich keine herzflatternde Nervosität, aber ich vermutete, dass sich das spätestens dann änderte, wenn sie mir gegenübersaßen. Mein Wunsch, dass Ryu mich begleitete, hatte sich hingegen nicht geändert. Selbst wenn ich mich mittlerweile wohler fühlte, gut mit allen zurechtkam und viel über mich und meine Fähigkeiten dazugelernt hatte, machte mich meine verschollene Vergangenheit dennoch unsicher. Angst spielte auch eine gewichtige Rolle. Würde ich mich nach dem Gespräch wieder an alles erinnern können? Schöne sowie schlechte Momente? Freude und Schmerz? Allein der Gedanke an den Drachen mit den jadegrünen Augen, in denen das Leben erlosch, erschütterte mich zutiefst. Dieser Drache hatte mir einst sehr viel bedeutet. Das wusste ich auch ohne Erinnerungen. So wie ich Gewissheit besaß, dass meine Eltern mich bedingungslos geliebt hatten, auch wenn ich als Heranwachsende oftmals daran gezweifelt hatte. Jetzt nicht mehr. Mahomashu weckte tiefgreifende Gefühle in mir und das ließ sich nicht leugnen.
Tief luftholend straffte ich die Schultern, warf die geflochtenen Zöpfe zurück und gab mir einen mentalen Tritt. Ich hatte keine Zeit mehr zu verschwenden. Ryu müsste auch bald eintreffen, da auch er seinen ganz eigenen Stundenplan hatte und wir unsere gemeinsamen Treffen vorab vereinbaren mussten. Manchmal sahen wir uns nur morgens und dann erst wieder abends beim Essen. Anfangs war das komisch gewesen. Da floh man gemeinsam in die raue Wildnis, verbrachte jede freie Minute miteinander und dann holte uns ein anderer Alltag ein. Ähnlich wie im Palast. Da hatten wir uns auch unregelmäßig gesehen. Es erstaunte mich, wie lange wir uns schon kannten und was wir in der Zeit erlebt hatten. Die Imesha vom letzten Jahr war mit der heutigen kaum zu vergleichen. So wie meine Beziehung zu Ryu, Ilea und Cael. Und natürlich Egon, der mich gurrend begrüßte, als ich mich im Schneidersitz aufs Bett setzte und nach den goldenen Armreifen aus Drasils Sammlung griff. Auch darüber wollte ich mit Amara und Rakurai sprechen. >Sei froh, dass du dir über keine ernsten Dinge den kleinen Kopf zerbrechen musst.< sagte ich an den Feuersalamander gewandt, der unaufgefordert auf mein Knie kletterte und mich aus großen, treuen Augen anblinzelte. Sein süßer Anblick entlockte mir jedes Mal ein Lächeln.