Cael
Aufgrund des wundervollen Abends und der gemeinsamen leidenschaftlichen Nacht hatte ich erwartet, dass ich ausgeschlafen und tiefenentspannt aufwachen würde. Stattdessen wurde ich von starken Kopfschmerzen geweckt. Sogar meine Nackenmuskeln waren völlig verspannt. Ich unterdrückte ein schmerzvolles Aufstöhnen, wusste nicht, ob Ilea schon wach war, da sie mit dem Rücken zu mir lag und ich sie im Arm hielt. Ich löste mich aus der gemütlichen Umarmung, setzte mich auf und fuhr mit der Hand durch mein zerzaustes Haar. Wieder der stechende Schmerz. Ich sog scharf Luft ein. Das kam mir verdammt bekannt vor.
Ohne Vorwarnung öffnete sich das Dritte Auge und eine Flut aus Eindrücken, Bildern und Geräuschen erfüllte meinen Geist. Normalerweise hatte ich das ziemlich gut unter Kontrolle, aber in seltenen Fällen hatte die Zwischenwelt eine Botschaft für mich, die ich nicht ignorieren durfte. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich wegen meines Aufenthalts in Valaris keine Visionen bekommen würde, aber offenbar funktionierte meine Verbindung zur Zwischenwelt einwandfrei. Da ich mich nicht dagegen wehren konnte, öffnete ich mich dem Strom und bemühte mich um eine ruhige Atmung. Nicht, dass mir noch schlecht wurde.
Imesha
Beinahe brach ich doch noch in Tränen aus, als er das sagte und meine Hand fester hielt. Es war so leicht meine Mauern fallen zu lassen, wenn er in der Nähe war, aber ich würde trotzdem nicht weinen. Das würde ihn nur vom erholsamen Schlaf abhalten. Ich selbst bezweifelte, dass ich mit diesem Sturm in meinem Kopf einschlafen würde, doch ich versuchte es. Irgendwann würde ich wohl erschöpft genug sein, um ein wenig Ruhe zu finden…
Der Wind zerrt in meinen Haaren, meine Lungen brennen wie Feuer. Ich kann nicht atmen. Kann nicht begreifen, was gerade passiert. Alles dreht sich, ich höre panische Schreie, verzweifeltes Weinen. Mein Herz pocht stark und schnell in der Brust. Ich spüre tiefgreifende Angst und halte mich fest. So fest wie noch nie. Dann geschieht das Unausweichliche. Ein harter Aufprall. Erde, die aufbricht. Rauch, der aufsteigt. Mehr Brennen, mehr Tränen. Ich bin nicht stark genug und falle, bis mein Körper erneut durchgerüttelt wird. Auf die wohl schmerzhafteste Weise. Es fühlt sich an, als würde mir jeder einzelne Knochen brechen. Mein Hals kratzt. Meine Wangen glühen. Mir ist heiß und kalt zugleich. Die Welt hört sich auf zu drehen, aber das hohe Schrillen in meinem Kopf hält mich wach. Schwindel erfasst mich, mir ist speiübel.
Meine Hände zittern, als ich sie in den Boden aus Asche und Erde kralle. Ein tiefes Grollen erschüttert den Grund, aber seltsamerweise verspüre ich keine Angst. Ich weiß, woher das kommt. Ich weiß, was mich hinter dem Schleier aus Rauch erwartet. Ein eisblauer Flügel treibt die giftige Luft fort und ermöglicht mir den Blick auf die imposante Gestalt des Drachens. Tränen füllen meine Augen. Ich erkenne sie wieder. Meine Freundin. Meine Lehrmeisterin. Ysera. Sie sieht mich direkt an. In ihren jadegrünen Augen funkelt es. Gleichzeitig erkenne ich einen Ausdruck in ihnen, der mich krampfhaft nach Luft schnappen lässt. Diesmal kann ich die Tränen nicht zurückhalten, auch nicht das Beben meines Körpers. Alles tut weh. So, so weh. Ich schaffe es kaum meinen Kopf zu heben, doch Yseras Flügel, der sich wie eine schützende Decke über mich legt, versorgt mich mit reinster Magie, die mich wieder freier aufatmen lässt. Selbst die unbeschreiblichen Schmerzen lassen nach. Nur die Tränen fließen unaufhaltsam über meine blutverschmierten Wangen. Ich versuche zu sprechen, versuche zu verstehen, wo wir sind, warum wir gestürzt sind und wo meine anderen Freunde sind. Wo ist meine Mutter? Wo ist mein Vater? Sind sie auch hier? Irgendwo in diesem Chaos? Ich will nach Hause. Ich habe Angst.
Als erneut ein tiefes Grollen ertönt, weiß ich mit absoluter Gewissheit, dass es nicht von Ysera stammt. Ihr Flügel, der mir Schutz bot, ist plötzlich weg. Stattdessen sehe ich wie eine riesige schwarze Gestalt über sie herfällt und ein fürchterlicher Kampf entbricht. Ich höre das Zuschnappen von starken Kiefern. Höre das Reißen von Fleisch. Rohes, animalisches Gebrüll. Ich will mir die Ohren zuhalten, meine Augen schließen, um dem Schrecken zu entfliehen, doch ich kann nichts dergleichen tun. Ich bin wie erstarrt und sehe dabei zu, wie mein schönster, stärkster Drache getötet wird. Obwohl ich schreien möchte, schafft es kein Ton aus meinem Mund. Ich glaube, ich sterbe.