Cael
Ich war überrascht, dass Gawain beschloss mir etwas zu erzählen, was er unter Umständen lieber für sich behalten hätte. Weil es ihm nicht zustand Ileas Geschichte zu erzählen. Trotzdem wusste ich es sehr zu schätzen und ließ den Mann bis zum Ende ausreden, während die verschiedensten Gefühle in mir zu wüten begannen. Angefangen bei Neid, weil ein anderer Mann Ileas Herz erobert hatte und sie beide geheiratet hätten, wäre dieser Yokai nicht aufgetaucht, um ihr Leben zu zerstören. Darauf folgte Unglaube, weil ein Nachbar die Situation missverstanden und Mattwei verraten hatte, ohne ihn zuerst zu befragen und seine Sicht der Dinge zu erfahren. Schock, weil der Einsatz von Magie tatsächlich den Tod bedeutete. Einen schlimmen obendrauf. Öffentlich hingerichtet und verbrannt zu werden, gehörte zu den Dingen, die ich hoffentlich nie in meinem Leben erleben musste. Dass Ilea auf diese Weise ihre erste große Liebe verloren hatte, tat sogar mir weh. Als spürte ich ihren Schmerz. Dabei wusste ich nicht, wie das war. Wie es war mit eigenen Augen zusehen zu müssen, wie das, was man liebte, auf qualvolle Weise starb. Da erschien mir mein eigener Neid echt lächerlich. Oder der Herzschmerz, weil ich realisierte, dass ich keine Chance bei ihr hatte. Jetzt erst verstand ich auch ihr Verhalten und ihre vage formulierten Fragen von heute Morgen. Ob es einen Zusammenhang zwischen Geister- und Traumwelt gab. Sie hatte wegen Mattwei gefragt. Wegen seiner Seele, die laut Gawain in ihrer Traumwelt feststeckte und ihr Jahr für Jahr Energie entzog. Hatte sie sich auf den Unterricht nur deswegen eingelassen?
>Danke... dass du mir das erzählt hast. Ich, ich muss in Ruhe darüber nachdenken.< sagte ich an den Vater gewandt, ehe ich mit angespannter Miene aufstand und ging. Unruhig wanderte ich erst durch den Speisesaal, dann verließ ich das Gasthaus und atmete die eisige Luft ein. In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos, in meinem Herzen tobte ebenfalls ein Sturm. Ryu hatte offenbar recht gehabt. Ich war blindlings in eine Sache gestürzt, die von Anfang an dem Untergang geweiht war. Nicht mal eine Sekunde lang war ich davon ausgegangen, Ilea könnte jemand anderes lieben. Für jemand anderen leiden. Jetzt hatte ich meine Antwort und es tat verflucht weh.
So hatte ich mir meine erste Liebe wirklich nicht vorgestellt.
Imesha
Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich irgendwann später die Augen öffnete, gefror mir das Blut in den Adern. Neben mir saß weder der Arzt noch Ruko. Selbst Minas selbstgefällige Art wäre mir lieber gewesen als in die dunklen Augen des Kaisers blicken zu müssen. Im Schneidersitz und in aufrechter Haltung beobachtete er mich und das allein löste einen kalten Schauder nach dem anderen in mir aus. Warum war er hier? Was wollte er von mir? Wieso verstummte alles in mir, sobald er in der Nähe war und mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte? Der Arzt hätte mir stärkere Medikamente geben sollen. Solche, die mich tagelang schlafen ließen.
Kaiser Oda bewegte sich und ein Muskel in meinem Gesicht zuckte. Zittrig holte ich Luft, als er seine Hand um meinen verbundenen Arm legte, überraschend vorsichtig und kaum spürbar. Er hob ihn an, betrachtete den Verband, dann mich. >Wirklich schade, dass dir das passiert ist. Das Gift eines Flussdämons ist ziemlich gefährlich, da ist es nicht verwunderlich, dass Narben zurückbleiben. Hässliche noch dazu.< Plötzlich wurde sein Griff fester und ein schmerzhaftes Stöhnen entwich meinem Mund. Er drückte zu fest, viel zu fest. Sein Gesicht näherte sich dem meinen, als er zischte: >Du hättest vorsichtiger sein sollen. Du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn man das beschmutzt, was mir gehört. Jetzt bist du nicht mehr perfekt, sondern kaputt. Selbst wenn ich dir den Arm ausreißen würde, könnte man dich nicht mehr reparieren.< Sein Blick war kälter als der Winter, der dieses Jahr viele Leben geholt hatte. Ich fühlte mich, als hinge meines am seidenen Faden. Angstvoll schluckte ich und wartete. Wartete auf die nächsten Worte, die ihm auf der Zunge lagen.
Er lockerte seinen Griff und ließ meinen Arm achtlos fallen. Diesmal blieb ich still, obwohl der Schmerz Tränen in meine Augen trieb. >Was soll ich bloß mit dir machen? Um ehrlich zu sein, kommt es mir schon etwas gelegen, dass du Narben trägst, die aussehen, als hätte Feuer sich an deiner weichen Haut erfreut. Ein Kaiser muss seine Leute hin und wieder daran erinnern, dass selbst seine engsten Vertrauten...< Er packte grob mein Kinn und grub seine Finger fest in mein Fleisch, dass ich davon bestimmt Male bekam. >...bestraft werden, wenn sie aus der Reihe tanzen. Auch meine liebreizende Tänzerin, die jedem den Kopf verdreht, sobald sie ihren Körper singen lässt.< Es kostete mich immens viel Kraft ruhig zu bleiben, weil sein Griff unfassbar wehtat. Außerdem missfielen mir seine Worte. Sie machten das wahr, was ich befürchtet hatte. Sie zerstörten mein Leben. Mehr und mehr.
>Du wirst weiterhin der stille Falke bleiben, der für mich kämpft und blutet. Und du wirst mit keinem Wort erwähnen, was wirklich passiert ist. Alle sollen denken, dass ich allein dir diese Wunde zugefügt habe, weil du mir zu frech wurdest. Zu übermütig. Lass es eine Lehre für alle sein, die an meiner Autorität zweifeln. Selbst du, Imesha. Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht. Kenne deinen Hass. Sieh es als Zeichen meiner Gnade, dass ich dir nicht noch andere permanente Wunden zufüge.< Endlich ließ er mein Kinn los und richtete sich in einer einzigen fließenden Bewegung auf. Ein boshaftes Lächeln erschien auf seinen schmalen Lippen. >Ruh dich gut und schnell aus. Ich will dich schon bald wieder tanzen sehen.<