Cael
Wir erreichten die Palastgärten und ich bestaunte die wunderschöne Pracht diesen Ortes. Was für ein Anblick! Hier würde ich auch gerne meine Zeit verbringen. Ich war mir sicher, dass diese Gärten viele Künstler inspiriert hatten. Bei mir wirkte die Magie schon, vor allem mit all der Beleuchtung. Nur der Kaiser, den ich zum ersten Mal sah, zerstörte das gesamte Bild. Bereits aus der Ferne konnte ich unterschwellige düstere Spannungen fühlen. Schatten, die in ihm flüsterten. Unmöglich, dass er bloß ein einfacher Mann war, dem man die ganze Macht übertragen hatte.
Sicherheitshalber riss ich meinen Blick von ihm los und sah Ilea überrascht an, als sie meinte, Imesha wäre eine Kundin von ihr. Das hatte ich nicht gewusst. Die beiden kannten sich? Ich suchte das Ufer nach ihr ab und entdeckte sie neben einer anderen sehr hübschen Frau in einem weißen Kimono. Wenn ich es nicht besser wüsste, musste das die Sängerin sein. Künstler erkannten sich untereinander. Sie umgab eine besondere Aura. So auch Imesha, die ich zum ersten Mal mit ganz anderen Augen sah. Bislang kannte ich ihren Charakter nur aus Ryus Erzählungen, insbesondere nach dem Unglück mit dem Einbruch in unser Zimmer. Heute allerdings konnte ich diese Frau aus meiner Vorstellung nicht mit der Frau auf dem Eis vereinbaren.
Imesha
Mittlerweile hatten sich ganz schön viele Leute um den See herum verteilt. Groß und Klein. Jung und Alt. Arm und Reich. Nur die wichtigsten Menschen in meinem Leben fehlten. Nicht einmal Ruko war zu sehen, aber vielleicht sah ich ihn nicht vor lauter fremden Gesichtern. Hinako trat neben mich und schenkte mir ein offenes Lächeln. Alle waren gespannt auf unseren gemeinsamen Auftrat. Die beste Sängerin und die beste Tänzerin. Ich spürte die Blicke auf uns. Spürte die Erwartungen. >Bist du bereit?< fragte mich Hinako mit Blick zum Kaiser, der uns ein Zeichen geben würde. Ohne seine Erlaubnis passierte sonst gar nichts. Immer und überall musste er die Kontrolle haben.
Ich atmete tief ein, durch den Mund wieder aus und begann meinen Mantel zu öffnen. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung fiel er zu Boden. Kälte traf meine nackte Haut. Das Kleid war in einem tiefdunklen Rot, wie Blut, und der Stoff an meinen Armen und am Rücken war aus hautfarbenem, durchsichtigen Stoff mit schimmernd roten Verzierungen. Es war Absicht, dass ich den vernarbten Arm nicht versteckte. Nicht heute. Nicht an diesem bedeutungsvollen Tag. Nein. Ich zeigte ihn und betonte ihn mit den verschnörkelten Mustern. Mit stolz erhobenem Kinn straffte ich die Schultern und nickte Hinako zu. Der Kaiser eröffnete daraufhin die Vorführung. Erste Melodien erfüllten die Gärten, ich glitt elegant aufs Eis, atmete die frische Luft tief in meine Lungen ein und ließ die Musik auf mich wirken. Jedes einzelne gesungene Wort sprach mir aus der Seele, jede meiner Bewegungen übersetzte das, was in meinem Inneren verschlossen war. Ich drehte mich, streckte meine Arme aus, ging kreiselnd in die Hocke, glitt weiter, schneller und schneller, sprang in die Höhe, landete perfekt auf einem Bein und öffnete mich der Musik, die in meinen Adern pulsierte. Meine aufgestauten Gefühle bluteten aus mir heraus. Die Worte hämmerten in meinem Herz.
Wirst du mich noch lieben, wenn ich nicht mehr jung und schön bin?
Wirst du mich noch lieben, wenn ich nichts mehr habe außer meine schmerzende Seele?
Schwerer atmend und mit brennenden Augen begab ich mich in die Mitte des Sees, drehte mich auf der Stelle mit ausgestrecktem Bein, ehe ich dann nach meinem Fuß packte und ihn nach oben hin ausstreckte. Mein Knie im Blick, damit mir nicht schwindelig wurde. Hinako sang die letzten Worte so gefühlvoll, dass sie mich tief berührten und ich beendete meinen Tanz mit zum Nachthimmel ausgestreckter Hand und aufrechter Haltung. Erst dann bemerkte ich die feuchten Spuren auf meinen Wangen und das sanfte Leuchten der Sterne, als wären dort Sumire und Motaro, die für mich jubelten und applaudierten. Genau das stellte ich mir vor, während um mich herum genau das passierte. Jubel und Applaus.
Mit schnell auf- und abhebender Brust kehrte ich zurück in die Realität, wandte mich dem Publikum zu und verbeugte mich mit einem dankbaren, freundlichen Lächeln.
Neujahrsfest-Eistanz