Cael
Als ich Ryu sagen wollte, was los war, griff Ilea bereits nach meiner Hand und zog mich mit sich. Wir folgten den Geistern und Ivoli, die uns zu den Gärten führten. Ein ungewöhnlicher Ort, um in Gefahr zu schweben, aber eines der Kinder hatte etwas von Eis gesagt. Bei all den Seen, die es hier gab, konnte es durchaus zu Unfällen kommen und da sich die drei für diese junge Frau einsetzten, mussten wir schnell handeln. Geister baten nur dann um Hilfe, wenn es wirklich dringend war und wenn sie sich selbst im Tod um ein Leben sorgten, das nicht mal mit ihnen verwandt war, war die Lage umso ernster. Im Rennen sah ich Ryu an, während eines der Geisterkinder weitersprach und ich alles für ihn hörbar übersetzte. >Offenbar ist eine junge Frau in Lebensgefahr. Sie ist auf... einem See... das Eis bricht und... sie trägt... ein rotes Kleid.< Meine Augen weiteten sich, als das andere Kind etwas hinzufügte, was mich unerwartet traf. >O verdammt! Eistänzerin. Er hat Eistänzerin gesagt.< Es gab nur eine in diesem Palast. Imesha. Suchend glitt mein Blick umher und sehr weit hinten glaubte ich einen roten Fleck zu sehen, der plötzlich nicht mehr da war. Ivoli gab ein hohes Fiepen von sich. >Verflucht nochmal, in diesem Tempo schaffen wir es nicht rechtzeitig.< atmete ich schwer aus. Der Schnee und dieser störende Kimono bot nicht viel Bewegungsfreiheit und ich konnte Ilea unmöglich Huckepack nehmen. Das würde uns nur verlangsamen.
Hektisch zerrte ich mit einer Hand an meinem Ausschnitt und aktivierte die Magie in meinem Talisman. Ivoli verstand meinen gedanklichen Ruf, kam zu mir geflogen und berührte mit den Pfoten die bläulich schimmernden Linien des Mals auf meiner Brust. Notfälle wie diese erforderten solche Maßnahmen. >Ryu! Renn schon mal vor, Ivoli zeigt dir den Weg. Du müsstest jetzt seinen Schwanz sehen, er leuchtet wie ein Irrlicht.<
Imesha
Mein Körper war darauf trainiert selbst in den gefährlichsten Situationen strategisch mein Überleben zu sichern und anfangs fiel es mir schwer mich gegen dieses natürliche Bedürfnis zu wehren. Manchmal zog es mich zurück zum Ufer, aber ich kehrte sofort um und tanzte weiter. An einigen Stellen entdeckte ich bereits erste Risse und sie wurden zunehmend größer, je öfter ich daran entlangfuhr. Es glich einem Spiel mit dem Tod. Ob es richtig war, was ich hier tat und wie ich es beenden wollte? Keine Ahnung. Ein letztes Mal das zu tun, was mich erfüllte und was mich mit Sumire und Motaro verband, klang jedenfalls nicht schlecht. Ein kreativer Abgang, ohne meinem Körper blutige Wunden zuzufügen. Ich würde in eiskaltem Wasser ertrinken und obwohl ich großen Respekt davor hatte, blieb ich auf dem See und führte allmählich gefährlichere Kunststücke aus. Besonders Sprünge. Jeder Sprung, den ich wagte, könnte nämlich mein letzter sein. In meiner Brust klopfte mein Herz inzwischen sehr schnell und hart, und meine Atmung beschleunigte sich. Jedes Mal, wenn der Boden unter mir bedrohlich knackte, zuckte ich kaum merklich zusammen. Ich empfand ein wenig Angst, aber das war sicherlich normal. Ich bildete mir sogar ein Sumire und Motaro am Ufer stehen zu sehen. Wie sie mir hektisch zuwanken, wie sie nach mir riefen, wie sie mich zu sich holen wollten. Tränen brannten in meinen Augen, als ich mich drehte, schneller wurde und erneut in die Höhe sprang.
Die Landung, die folgte, war die letzte. Ich hörte es, bevor es passierte. Hörte das Eis aufbrechen und mich hungrig verschlingen, als meine Füße jeglichen Halt verloren, ich nach Luft japsend stolperte und fiel. Ein freier Fall vom Himmel hätte länger gedauert. Das hier geschah in einem einzigen Augenblick.
Es gab diese Gerüchte, dass man kurz vorm Tod alles sah. Das eigene Leben. Schöne Momente. Momente der Ruhe. Tief verborgene Wünsche. Offenbar war das eine Lüge. Ich sah nämlich nichts. Dafür fühlte ich alles. Ich fühlte die Kälte des Wassers wie Messerstiche in die Haut. Überall. Meine Lungen krampften sich mit jedem Meter, den ich in die Tiefe sank, zusammen, um sich verzweifelt an der restlichen frischen Luft zu klammern. Instinktiv wollte ich nach oben schwimmen, zurück zum verschwommenen Licht an der Oberfläche, aber der Sog war stärker. Die Dunkelheit um mich herum verschlang mich wie ein Yokai, der lange genug auf mich gewartet hatte. Meine Glieder wurden taub, meine Bewegungen langsamer. Ich ließ mich bereitwillig in die Tiefe ziehen und schloss erschöpft die Augen. Das war der Moment, wo Sumires und Motaros lachende Gesichter kurz aufblitzten, ehe ein anderes im Schatten verborgenes Gesicht auftauchte. Eine Melodie erklang, erst leise, dann stärker, während mein Bewusstsein zunehmend verblasste und ich dann gar nichts mehr sah, gar nichts mehr hörte.
Da war nur... endlose Stille.