Cael
Es schockierte mich, dass mir das nicht schon früher aufgefallen war. Die ganze Zeit war ich auf einer möglichen Lösung herumgetrampelt und hatte das Offensichtliche nicht gesehen. In der Zwischenwelt musste man auf jedes kleinste Detail achten, weshalb ich mich fragte, ob die Lotusblüte die ganze Zeit über am Boden gelegen und ich sie die letzten Male nicht bemerkt hatte. Hätte ich viel Zeit zur Verfügung, würde ich mich selbst beschimpfen, aber ich war dermaßen getrieben von angespannter Nervosität, dass ich die Fläche mit bloßen Händen freischaufelte, bis ich einen Griff zu fassen bekam. Der Umriss einer Luke. Es war, als hätte jemand die Hütte auf den Kopf gestellt, denn diese Luke sah wie die aus, die Ilea geöffnet und durch die sie mittels einer Leiter hindurchgeklettert war. Ich erinnerte mich an das weite Feld, an die Sommerbrise, die warme Sonne und den Baum im Hintergrund. Ob dahinter ihre Traumwelt lag? Steckte sie dort drin fest?
Egal wie fest ich am Griff zog, die verdammte Tür öffnete sich nicht. Zähneknirschend ging ich in die Hocke, nahm die zweite Hand dazu und begann mit meinem gesamtem Gewicht daran zu ziehen. Ich knurrte frustriert. Ivoli flatterte weiterhin nervös mit den Flügeln. >So funktioniert das nicht. Ich spüre den Widerstand.< War es Mattwei? War es eine völlig andere dunkle Macht, die hier ihre Finger im Spiel hatte? Was es auch war, ich ließ mich nicht aufhalten. Wenn ich es auf die "nette" Weise nicht schaffte, dann eben mit Gewalt. Für Ilea war ich zu einem Mord bereit, da war dieses Hindernis ein Spaziergang für mich. >Nimm Abstand!< wies ich meinen Gefährten an. Ich wollte nicht, dass er mit meiner Schattenmagie in Kontakt kam. Sie würde ihm nur schaden, dabei lag das wahre Ziel zu meinen Füßen. Mit einem tiefen Atemzug weckte ich die dunkle Magie in mir, ließ sie in meine Hände fließen und die roten Schattenblitze erscheinen. Selbst der Himmel verdunkelte sich ein wenig, da er sich meinem Gemütszustand anpasste. Dies war mein Reich, mein Gebiet. Mein halbes Leben lang hatte ich in dieser Welt verbracht und ich würde auf keinen Fall zulassen, dass sich jemand meine Liebste schnappte und sie stückweise kaputt machte. Nur daran zu denken, machte mich unfassbar wütend.
Angetrieben von diesem Gefühl hatte sich mittlerweile genügend Schattenmagie um mich herum versammelt, dass die Blitze wild durch die Gegend zuckten. Ich führte sie zusammen, schickte sie gen Himmel und lenkte sie mit voller Wucht zurück zu Boden, direkt in den Boden hinein, der mit einem lauten Knall aufriss, dass nicht einmal die Luke standhalten konnte. Holz splitterte durch die Luft, ehe ich die Barriere registrierte, die mich daran hinderte sofort in den nächsten Raum dieser chaotischen Welt zu reisen. >Tut mir leid, aber gerade Barrieren sind mein Fachgebiet.< sagte ich mit dunklem Blick. Ich rammte daraufhin meine Faust durch die magische Barriere, die zuerst Widerstand leistete, doch als meine zweite Faust hinterherschlug, zerbrach sie wie ein Spiegel vor meinen Augen. Im nächsten Moment fiel ich durch dickflüssige Schwärze, bis mein Geist ein neues Bild erfasste. Ein Haus, ein Garten, eine blonde Gestalt am Boden und ein fremder Mann über ihr. Sekunden, mehr waren nicht nötig, um die Distanz mit hoher Geschwindigkeit zu überbrücken und dem Kerl einen heftigen Astralschlag in die Brust zu verpassen, dass er sich nicht so schnell davon erholen würde. >Komm ihr noch einmal zu nahe, dann schicke ich dich an einen Ort, an dem dich endlose Qualen erwarten!< zischte ich angespannt, während mein Körper und meine geballten Hände vor unterdrücktem Zorn bebten.
Imesha
Ich horchte auf. Eine Stimme. Ryus Stimme. Er hatte nach mir gerufen. Suchend glitt mein Blick zu der Stelle, wo ich ihn vermutete und entdeckte im schwachen Licht des Mondes eine Gestalt nahe eines höhlenartigen Eingangs. Beim genaueren Hinsehen stellte ich fest, dass es sich wirklich um eine Höhle handelte, nur sah ich kein Feuer im Inneren flackern, was mich ganz schön enttäuschte. Mir war kalt, ich fror und ich wollte endlich schlafen. Wenigstens für ein paar Stunden. Natürlich freute ich mich, dass es allen gut ging, aber Ryu hielt Waffen in der Hand, was kein gutes Zeichen war. Irritiert blieb ich vor ihm stehen, mein Blick glitt kurz ins Innere der Höhle hinein. Cael hockte neben Ilea, die noch zu schlafen schien. Er wirkte Magie. Seine Fäden vibrierten mit einer solchen Intensität, dass ich davon Gänsehaut bekam. Was auch immer er da gerade tat, es war ziemlich riskant. Wenn es aber dazu diente Ilea zu helfen, war es das Risiko wert. >Habt ihr es problemlos bis hierher geschafft?< fragte ich Ryu und schob die Kapuze nach hinten, damit er mich in der Dunkelheit sehen konnte.