Imesha
Ich stellte mich auf Schulterhöhe neben Cael und hielt den dünnen Stab mit beiden Händen an den Enden fest. Ilea setzte sich währenddessen hin und sah ihn mit einer Intensität an, dass ich fast Gänsehaut bekam. Sie kämpfte für ihn mit Biss. Die Art und Weise, wie sie ihm in die dunklen Augen sah ohne zurückzuzucken, beeindruckte mich. Für einen kurzen Moment hörte er tatsächlich auf sich gegen die Ketten zu wehren. Er starrte sie bloß an, den Mund leicht geöffnet. Ein Zittern durchlief ihn. >Sehr gut, weiter so!< Drasil nickte in Ileas Richtung, dann in meine. >Halt den Stab die ganze Zeit fest. Lass ihn nicht los, egal wie anstrengend es wird. Erst wenn du keine dunkle Magie mehr an ihm haften siehst, schließt du den Zauber. Um ihn zu aktivieren, musst du dir bildlich vorstellen, wie die Fäden sich um den Stab wickeln. Es ist allein deine Vorstellungskraft, die zählt.< Er stand zu Caels Füßen und streckte eine Hand aus. Wolkengraue Fäden strömten aus seinen krallenbesetzten Fingern. Sie breiteten sich wie ein Netz aus, das sich wie eine Decke auf den Körper am Boden legte. >Bereit?<
Fest entschlossen nickte ich. Konzentriert zu arbeiten, fiel mir leicht. Besonders in kritischen Situationen. Wie von ihm beschrieben, stellte ich mir vor, ich hielte eine Spule in den Händen, um die ich die schwarzen Fäden wickelte. In den ersten Sekunden passierte nichts, dann begann das Holz warm zu glühen. Kleine Symbole erschienen. Sie leuchteten kurz auf. Wie einem Lockruf folgend schnappte die dunkle Magie danach. Kurz dachte ich, sie könnte mich berühren, aber die Energie sammelte sich nur mittig im Stab. Ein Faden nach dem anderen wickelte sich darum, bis ich Widerstand spürte. Die dunkle Magie hatte wohl die Falle bemerkt und wollte zurück in Caels Körper dringen. Mit festem Griff trat ich einen Schritt zurück und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. O nein. Ich würde bestimmt nicht zulassen, dass sie ihm weiter schadete. In Gedanken hielt ich eisern an der Vorstellung fest, wie mehr und mehr dunkle Magie in den Stab floss, wie sich jeder Faden aus Caels Geist löste. Mittlerweile musste ich mich fast mit meinem Körpergewicht gegen den finsteren Sog wehren. Es war meiner jahrelangen Ausbildung zur Jägerin zu verdanken, dass ich darin eine Herausforderung sah, die ich nicht verlieren wollte. So wie Ilea verbissen ihr Licht erstrahlen ließ, kämpfte ich um Halt. Drasil sorgte in der Zwischenzeit dafür, dass unser Freund sich nicht verletzte und seine eigene Magie intakt blieb. Allein der Prozess die Dunkelheit aus ihm herauszureißen, barg das Risiko einen Teil von ihm zu verletzen, der dann nicht mehr zu retten war. Fäden, die rissen, lösten sich auf. Ein Schaden, der nicht rückgängig gemacht werden konnte. Bislang hatten wir großes Glück, dass das nicht passiert war. Nur noch ein wenig Durchhalten und wir hatten es gleich geschafft. Ich konnte sehen, wie sich nur noch wenige Fäden gegen meinen Zauber wehrten. Es handelte sich um die stärksten Stränge. Sie leisteten den größten Widerstand. Allerdings machte es ihnen Ilea zunehmend schwerer im Wirt bleiben zu wollen. Ihr reines Licht drängte sie zurück, schob sie immer weiter weg, während Drasils Magie ihnen keinen anderen Fluchtweg ermöglichte. Der einzige Ausweg waren mein Stab und ich. Ich wartete geduldig, machte langsam einen Schritt nach hinten, übte mehr Druck aus, ging sicher, dass Caels Magie nicht beschädigt wurde und zwang den schwarzen Fäden meinen Willen auf. Obwohl das Blut mir in den Ohren rauschte und mir seltsamerweise schlecht wurde, zerrte ich das letzte bisschen dunkle Magie in den Stab. Da die klebrig aussehende Masse am glühenden Holz wie ein Lebewesen mit Bewusstsein und zuckenden Gliedern wirkte, aktivierte ich instinktiv meinen speziellen Versteinerungszauber. Binnen weniger Sekunden wurde das Holz schwer und das Schwarz verwandelte sich in dunkles Grau. Ich wirbelte herum, ließ das eine Ende des Stabs los und schmetterte den Steinklumpen gegen den nächsten Baum. In meinen Ohren klang der zerschmetternde Aufprall gegen die Rinde wie eine Explosion. Kleine Trümmer fielen zu Boden. Dann lösten sie sich auf. Und ich übergab mich an Ort und Stelle. Mein Magen krampfte sich dermaßen schmerzhaft zusammen, dass mir beinahe schwarz vor Augen wurde, doch da bemerkte ich eine kühle, ledrige Hand auf meiner Stirn. Sie linderte die Übelkeit. Ich musste nicht mehr würgen. Stattdessen ließ ich mich zu einer schattigen Stelle unter einem Baum führen, wo ich mich völlig ermattet hinsetzen konnte. Wie benebelt wanderte mein Blick an Drasils Profil vorbei zu Cael, der nicht mehr in Ketten lag. Wir hatten es geschafft. Wir hatten ihn befreit. Ich schloss erschöpft die Augen und hörte Drasil in eine andere Richtung sagen: >Am besten du reinigst jetzt seinen Geist. Sein Gefährte kann dir dabei helfen, da die beiden miteinander verbunden sind. Er wird dich zu den wunden Stellen führen, die du mit deinem Licht heilen kannst. Das wird seine Genesung beschleunigen.<