Zen
Ich wollte ihr gerade eine Alternative anbieten, da ließ sie meine Hand los und entfernte sich Richtung Balkon. Ich wusste nicht, ob ich ihr folgen sollte oder nicht. Vielleicht war ihr das alles hier doch zu viel. Ich beschloss ihr später Gesellschaft zu leisten, denn Kersia winkte um Aufmerksamkeit und ich hatte sowieso vorgehabt mit ihr zu reden. In ihrem langen, fließenden Kleid sah sie wie eine Figur aus einem Märchen aus. Surreal. Genau wie ihre Mutter. Sirenen und Meerjungfrauen waren äußerst faszinierende Geschöpfe, egal wie oft man ihnen begegnete.
Zuerst drückte ich Königin Azuria zum Gruß einen Kuss auf die Wange, dann wandte ich mich an Kersia, die mich sofort an ihre Seite zog. Von den Kindern war ich es gewohnt auch mal am Boden zu sitzen, deshalb machte ich es mir im Schneidersitz gemütlich. >Ich freue mich, dich zu sehen, Zenzen. Wir haben uns in letzter Zeit kaum gesprochen, du musst uns unbedingt mal in Atlantia besuchen.<
Lächelnd kniff ich ihr in die Wange. >Oder du kommst mich mal besuchen. Es gibt da eine Gruppe Kinder, die die Prinzessin der Meere gerne wiedersehen möchte.<
>Verständlich. Alle möchten mich wiedersehen.< erwiderte sie mit einem frechen Funkeln in den Augen. Dann beugte sie sich näher zu mir vor, leise sprach sie: >Die Mondelfin und du. Läuft da was zwischen euch?<
Sofort schoss Hitze in meine Wangen. >N-nein?<
>Nein?<
>Sie wohnt bei mir, ja. Ich helfe ihr bei einer privaten Angelegenheit.< erklärte ich knapp und blinzelte überrascht, als Kersia mir ihr Glas Wein in die Hand drückte. In ihren Augen vermischte sich das Grün mit dem Blau des Meeres. >Zenzen, vergiss nicht, dass es unhöflich ist zu lügen, wenn du selbst jede Lüge durchschaust.<
>Ich lüge nicht.< sagte ich eine Spur ernster als zuvor und nahm einen Schluck vom Wein. Mmh, sehr lecker. Gute Auswahl. >Wir verstehen uns sehr gut. Wir verbringen viel Zeit miteinander, aber es ist nicht das, was du denkst.<
Kersia
Interessant. Er wurde verlegen. Offenbar wusste er selbst nicht so genau, was zwischen ihm und dieser Mondelfin lief, aber ich vermutete, dass da mehr war, als es den Anschein machte. Zen verkehrte selten mit Frauen, die nicht zu seinen Freunden oder seiner Familie gehörten. Äußerst schade, denn er war durch und durch der perfekte Ehemann. Als ich klein war, hatte ich für ihn geschwärmt, trotz unseres großzügigen Altersunterschieds. Ich hatte mir ausgemalt, wir würden irgendwann heiraten, weil er mir aus der ganzen Thyell-Herondale-Familie am meisten gefiel. Sowohl optisch als auch charakterlich. Ein seltener, wertvoller Fang von Mann.
Irgendwann hatten sich daraus familiäre Gefühle entwickelt und er war für mich zum großen Bruder geworden. Durch ihn hatte ich viel gelernt und immer jemanden zum Reden gehabt. Deshalb wollte ich, dass er endlich sein eigenes Glück fand.
Ich sah zu, wie er noch ein paar Mal am Wein nippte, dann nahm ich ihm das Glas wieder aus der Hand. >Wie du meinst. Solltest du aber deine Meinung ändern und eine Auffrischung im Verführen benötigen, bin ich jederzeit verfügbar.< meinte ich mit einem kleinen Augenzwinkern.
Jetzt wurden auch noch seine Ohren rot. So, so süß. >Du machst mich fertig.< murmelte er kopfschüttelnd. In ebenjenem Moment stieß seine Schwester Cue zu uns, die ebenfalls niedlich aussah. Ihr luftiges Kleid in den Farben Ignulaes passte hervorragend zu ihr und ihre Wangen… Ich verspürte immer das starke Bedürfnis hineinzukneifen.
>Dich habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen, Cue. Wie geht es dir?< überfiel ich sie sogleich breit lächelnd, kaum dass sie vor uns Platz genommen hatte.