Zen
Aufmerksam betrachtete ich die Gesichter der Anwesenden, um mir einen groben Überblick zu verschaffen, wie gut die Chancen für Prinz Jahwe standen. Es überraschte mich nicht, dass Kersia für ihre Mutter Partei ergriff, die erwartungsvoll die Dokumente von Nalu entgegennahm, nachdem meine Eltern einen Blick darauf geworfen hatten. Ich zweifelte nicht an den Fakten. Auch nicht daran, dass es eine Ehre war von einem Drachen auserwählt zu werden, wie es bei meinem Bruder Ryu der Fall gewesen war. Aus diesem Grund rechnete ich es dem Prinzen hoch an, dass er trotzdem die Herausforderung annahm, um sich vor allen zu beweisen. Ein mehrtätiger Kampf war zwar meines Erachtens zu viel des Guten, aber da ich nicht für das Volk der Heißen Quellen sprach, blieb diese Entscheidung dem Königreich von Atlantia überlassen.
Während der bestehenden Unruhe im Raum erhob sich Willow plötzlich und verbeugte sich vor dem Prinzen. Das kam so unerwartet, dass ich kurz verwirrt war. Offenbar sah meine Schwester Silia das zum Anlass ebenfalls aufzustehen und respektvoll das Haupt zu neigen. >Vorab möchte ich dir meinen Segen mitgeben, denn in deinem Herzenslicht sehe ich das, was ich einst in Thales sah. Eine Stärke und Güte, die einen guten Anführer ausmachen.< Ein warmes Lächeln folgte. >Ich bin mir sicher, dass du hier richtig bist und deinen rechtmäßigen Platz einnehmen wirst. Wir möchten keinesfalls den Eindruck erwecken, dass du unwillkommen bist. Wir sind nur vorsichtig, weil wir dich nicht kennen. Du erreichst uns in einer Zeit des Friedens, aber du weißt, dass das nicht immer der Fall war. Auch du kennst die Geschichten des Krieges. Jedes Kind kennt sie. Und der Grund, warum wir hier gemeinsam sitzen und uns besprechen können, ist den Opfern aller Anwesenden zu verdanken. Kein Gott, kein Drache hat den Krieg für uns gewonnen. Wir waren das. Wir und unsere Völker.< In ihren Augen verschmolzen die Farben der aufgehenden Sonne, als sie zum Drachen Liora sah. >Damit möchte ich die Bedeutung deiner Anwesenheit nicht herunterspielen, ganz im Gegenteil, ich bin sehr froh, dass sich nach all der Zeit wieder ein Drache blicken lässt. Das ist ein gutes Zeichen, ein Zeichen der Hoffnung. Aber diese Menschen mussten sehr lange Zeit ohne eure Stärke und Führung überleben. Dafür bitte ich in ihrem Namen um Verständnis.<
Kersia
Interessant. Ein Prinz, der sich all die Jahre lang hatte verstecken müssen und am heutigen Tage beschloss das zu ändern. Besser spät als nie, er hätte auch bis ins hohe Alter warten können. Aber dann wäre sein Auftritt weit weniger spektakulär gewesen. Mit oder ohne Drachen. Als seine Begleitung ihre Magie erweckte, erkannte ich sie sofort wieder. Das war also seine Freundin, die sich bei unserer ersten Begegnung versteckt gehalten hatte. Jetzt machte es natürlich Sinn. Trotzdem holten mich ihre Worte nicht ab. Einfach aus dem Grund, weil wir Meervölker unsere eigenen Götter verehrten und nach denen wir uns richteten. Darunter auch legendäre Geschöpfe wie Wasserdrachen, weshalb ihre plötzliche Anwesenheit kein weltbewegendes Ereignis darstellte. Für die Menschen in diesem Saal vielleicht, aber nicht für meine Mutter und mich.
Sie unterbrach sich beim Lesen, nachdem die Animagi Silia ihre Meinung geäußert hatte und richtete ihren Blick direkt auf Jahwe. >Es ist, wie sie sagt. Wir kennen dich nicht. Ich habe nach Thales' Tod geschworen, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um sein Volk zu beschützen und es wie mein eigenes zu lieben. Mehr als zwanzig Jahre sind kein Wimpernschlag. Du könntest mit zehn Drachen oder einem ganzen Rat aus Göttern erscheinen und ich würde dir trotzdem nicht das Zepter überreichen, weil ich will, dass du mir erst zeigst, wer du bist. Tragische Lebensgeschichten haben wir alle zu bieten, damit überzeugst du mich nicht. Deine Taten, die zukünftig folgen, werden mich hoffentlich eher überzeugen.< Mit anderen Worten, sie gab ihm eine Chance und das war mehr, als ich selbst erwartet hatte. Vielleicht lag es an den Worten in den Papieren. Ich würde sie mir nachher durchlesen, wenn ich dazu die Gelegenheit bekam.
>Weiß man überhaupt, was zu diesem Agoma gehört? Wie darf man sich das vorstellen?< mischte sich der Vetreter aus Ocamma ein. Diese Frage konnte ich nur zu Teilen beantworten, darum war es Zen, der die Stimme erhob: >Es war König Thales, der dieses Gesetz eingeführt hat, deshalb wäre es das erste Mal, dass es in Kraft tritt. Die Kämpfe werden in einem fairen und kontrollierten Umfeld abgehalten, um Verletzungen zu vermeiden. Der Thronfolger wird während des Kampfes verschiedenen Herausforderungen ausgesetzt, die seine körperliche Stärke, strategische Fähigkeiten, Durchhaltevermögen und Führungsfähigkeiten testen. Diese Herausforderungen können verschiedene Formen annehmen, einschließlich Einzelkämpfen, Teamkämpfen und geistigen Herausforderungen.<
>Also kein Kampf auf Leben und Tod?<
Zen schüttelte entschieden den Kopf. >Auf keinen Fall. Es handelt sich um Prüfungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. König Thales hat alles niedergeschrieben, was man wissen muss.<
>Darum werden wir uns kümmern.< gab meine Mutter bekannt. Sie nahm wieder die Papiere in die Hand und las weiter. König Ardan deutete indes auf den freien Platz neben Zen. >Du darfst dich gerne zu uns setzen. Das gilt auch für deine Begleiter. Dein plötzliches Erscheinen stand zwar nicht auf der Tagesordnung, aber wenn du später als König an diesem Tisch sitzen möchtest, wirst du heute viel lernen. Ist das in deinem Sinne?<