Raphael
Als sie mich berührte, zuckte ich leicht zusammen, weil ich mit den Gedanken ganz wo anders gewesen war. Am liebsten wollte ich in mein Zimmer gehen und mich beruhigen, aber ich wusste, dass es nicht feine Art wäre sie einfach stehen zu lassen. Im Unwissen. Meine Tante verteilte wortlos das Gebäck auf vier verschiedene Teller und wir setzten uns hin.
Ich atmete tief durch und bemerkte Michelangelos Blick, der mir aufmunternd zunickte. > Wir brauchen ihnen nicht alles zu erzählen. Noch nicht jedenfalls. Erzähl ihr bloß das, was ausreicht, um Francesco zu hassen!< sprach er in unserer Muttersprache und ich nickte. Mein Blick fiel auf Genevieve und ich begann mit ihren Fingern zu spielen. > Vor sechs Jahren traf ich Marina, meine erste große Liebe. Sie war Italienerin und studierte mit mir Wirtschaftsmanagement. Ich war Hals über Kopf in sie verliebt und tat einfach alles für sie. Jeder aus meiner Familie mochte sie auf Anhieb, auch Michelangelo!< Er nickte bloß, um meine Worte zu unterstreichen und ich fuhr seufzend fort. > Drei Jahre lang waren wir zusammen und ich spielte wirklich mit dem Gedanken sie zu heiraten. Und ich tat es, ich fragte sie. Sie sagte 'Ja'. Wir waren also offiziell verlobt. Bis zu dem Tag, als ich mit dem Motorrad zu ihr fahren wollte, um sie auf eine spontane Reise mitzunehmen!< fuhr ich fort, als mein Bruder das Wort ergriff. > Und seine Spontanität lässt zu wünschen übrig!< Ich verdrehte die Augen und sah Genevieve kurz an.
> Während ich um die Kurve fuhr, entdeckte ich ein Auto. Einen roten Wagen, den ich überall wiedererkennen würde. Francescos Auto. Sie beide saßen wild knutschend und eng umschlungen vorne auf den Sitzen und als ich das sah, verlor ich die Kontrolle. Ich stürzte in die Tiefe und fiel ins Koma...<
Michelangelo
Als ich mich daran erinnerte, verzog ich schmerzlich das Gesicht. Zu der Zeit war ich mit guten Freunden feiern gewesen, als man mich angerufen hatte. Unsere Eltern waren schon längst im Krankenhaus gewesen. > Ein halbes Jahr lang haben wir darauf gewartet, dass der Langschläfer endlich aufwacht. Und in der Zeit habe ich so einiges herausgefunden, was wirklich passiert. Denn nicht nur er hat Marina in flagranti mit Francesco erwischt, sondern auch ich. Sie hat die trauernde Verlobte gespielt, während sie mit diesem Arschloch gepoppt hat. Damals habe ich rot gesehen, als ich ihn allein erwischt habe. Ich habe ihm gedroht ihn umzubringen, wenn er seine Schande nicht öffentlich bekannt gibt. Und er hat das natürlich nicht getan. Also habe ich ihn verprügelt und ihn ebenfalls ins Krankenhaus befördert. Ich kam ins Gefängnis, kam aber natürlich wieder heraus. Wenn man viel Geld hat... Unsere Eltern haben in dieser Zeit am meisten gelitten. Raph im Koma und ich im Gefängnis!< erzählte ich weiter und fuhr mir durchs Haar, bevor ich Charlottes Hand in meine nahm und mich darauf konzentrierte.
> Als Raph aufwachte, erfuhr er die ganze Geschichte und ein halbes Jahr später kamen unsere Eltern ums Leben..< fügte ich leiser hinzu und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.