Chastity Ruth
Als er mich auf seine Arme gehievt hatte, hatte ich ihn überrascht angesehen und mich reflexartig an ihm festgehalten. Doch während er mir sagte, warum er davon überzeugt war, dass Hayden uns nur beobachtet hatte, nickte ich leicht und dachte über seine Worte nach. Christopher hatte Recht, Hayden wäre nicht alleine hier, wenn er jemandem etwas antun wollen würde. Wie er es mir vorschlug, atmete ich tief ein, um die panische Gedanken verschwinden zu lassen und biss mir auf die Unterlippe, als es mir nicht leicht fiel. Wir liefen an Raven vorbei und ich bedankte mich etwas leise, als er die Tür öffnete. Es verunsicherte mich, auf diese Weise in das Schloss zu gehen, den Grund wusste ich jedoch nicht. Doch dann überraschte mich Christopher mit seinen Worten und ich hätte die Arme verschränkt, hätte ich das gekonnt. Stattdessen klapste ich leicht seine Schulter und funkelte ihn böse an. "Erst bist du ein Charmeur und trägst mich den ganzen Weg bis zum Schloss und dann bist du wieder der Christopher, den ich kenne und sagst mir, ich solle weniger Schokopuddinge essen?" Ich reckte das Kinn in die Höhe und sah zur Seite. "Pff..." Ich hielt mich wieder an ihm fest, da ich etwas schwankte, weil wir die Treppen hochliefen. "Ich weiß genau, was du vorhast! Aber nein, das zieht bei mir nicht", ich sah ihn entschlossen wieder an, "Und das nächste Mal, wenn Mrs Growline Schokopuddinge macht, solltest du schnell in die Küche gehen - sonst werde ich es vernaschen!" Ich grinste ihn scherzhaft überlegen an und ließ mich langsam zu Boden gleiten, als wir vor dem Arztzimmer ankamen und ließ meine Arme nun sinken. "Du solltest mir glauben, du verpasst die Chance auf einen sehr leckeren Schokopudding." Kurz streckte ich ihm die Zunge aus, um ihn zu ärgern, ehe ich anklopfe. Als gleich darauf ein "Herein" ertönte, wollte ich eintreten, aber ich hielt inne, da ich mich an seine Frage erinnerte. "Damit ich aufpassen kann, dass du nicht heimlich einen Schokopudding mitnimmst, komme ich mit", scherzte ich und öffnete dann die Tür. Ich hüpfte zu der Liege und der Arzt kam sofort zu mir, um sich meinen Fuß anzusehen. "Ruth, was ist nur los mit dir? Noch gestern Morgen lagst du halb bewusstlos im Bett und nun das!" "Es ist nichts Schlimmes", erwiderte ich und versuchte vergebens ein unschuldiges Lächeln, doch er schüttelte den Kopf. "Das werden wir gleich sehen!" Nach einer halben Stunde ging ich wieder in mein Zimmer und mein Blick fiel auf eine Vase, die noch nicht fertig war und auf meinem Schreibtisch stand, so dass ich beschloss, diese weiter zu bemalen. Dabei glitten meine Gedanken jedoch wieder zu Hayden und ich fühlte mich schnell wieder unruhig. Was war sein Ziel? Warum tat er das alles? Mir fiel plötzlich ein, was Mrs Featherstone gesagt hatte: Brodan war Haydens Bruder. War das wirklich wahr? Aber wieso hatte Brodan mir nie etwas darüber erzählt? Ich sah zu meinem Handy und überlegte, ob ich ihn fragen sollte, weshalb ich innerlich mit mir rang, da ich es eigentlich nicht wollte. In dem Moment klingelte es unerwartet und ich zuckte beinahe zusammen. Es war eine Nummer, die ich nicht gespeichert hatte... Hatte eine meiner Freundinnen ihre Nummer geändert? Verwirrt ging ich dran. "Hallo?" "Ruth? Puh, dieses Mal ist es die richtige Nummer. Ich bin es, Dorian." "Dorian?", fragte ich sehr überrascht. "Erinnerst du dich noch an mich?" Verwirrt runzelte ich die Stirn. "J... ja." "Dann kann ich dich etwas fragen?" Mich etwas...? Dieser Anruf irritierte mich so sehr, dass ich nicht merkte, wie die Farbe auf der Vase verwischte und auf den Tisch tropfte. "Möchtest du mit mir stoppen gehen?" Ich räusperte mich leicht und legte den Pinsel ab. "Heute?", fragte ich, da ich nicht wusste, was ich sonst darauf erwidern sollte. "Okay, eigentlich brauche ich deine Hilfe. Meine Schwester feiert bald Geburtstag... also morgen. Und ich habe noch kein Geschenk. Wenn ich nichts finde, dann fühle ich mich schlecht! Aber ich schaffe das nicht alleine und irgendwie musste ich an dich denken, dass du mir vielleicht helfen kannst." Er wollte, dass ich ihm dabei half, ein Geschenk für seine Schwester zu finden? Zögerlich biss ich mir auf die Unterlippe und brauchte etwas Zeit, bis ich antworten konnte. Doch schließlich beschloss ich ihm zu helfen, da er sehr ratlos klang. "In... in Ordnung." "Wirklich? Das ist toll! Danke, Ruth! Wann kann ich dich abholen?" "Mich abholen?", sagte ich perplex. "Wenn du dir für meine Angelegenheit Zeit nimmst, finde ich es nur richtig, dich zum Einkaufscenter zu fahren." "Ähm... okay. Ich habe aber erst später Zeit." "Das Einkaufscenter hat 24 Stunden geöffnet! Schreibe mir einfach eine SMS, wenn du Zeit hast." "Ich werde jedoch nicht im Schloss sein, sondern in einem Konzertsaal", fügte ich hinzu. "Kein Problem!", sagte er mit plötzlicher Begeisterung und legte auf, bevor ich etwas anderes sagen konnte oder mich entschließen konnte, meine Zweifel auszusprechen.