Chastity Ruth
Plötzlich wurde mir bewusst, wie viel er unter den schlimmen Ereignissen litt und dass er es keinem von uns im Schloss gezeigt hatte. Um alle zu schützen und nicht zu besorgen. Zwar war ich schon früher davon ausgegangen, aber ich hatte nie wirklich verstanden, wie viel Mühe und Kraft es ihn all die Jahre gekostet haben musste und es noch tat, seine Trauer zu verstecken. Meine Augen brannten, doch dieses Mal hielt ich meine Tränen zurück. Ich erwiderte seine Umarmung feste und fuhr sanft über seine Locken, hörte ihm aufmerksam zu und schluckte leise. Ich fühlte mich schuldig, dass ich am Anfang nicht die Geduld aufgebracht hatte, die wichtig und nötig war, um ihn zu verstehen und für ihn da zu sein. Ich hatte verärgert darüber reagiert, dass er sich mir gegenüber verschlossen hatte. Doch ich hatte selber wissen müssen, wie schwierig es sein konnte, jemandem von seinen Sorgen zu erzählen, wenn man es lange Zeit nicht getan hatte. Um andere zu schützen und vielleicht auch sich selbst. "Wenn ich sage, dass du stark bist, meine ich nicht nur, dass du ein guter Kämpfer bist. Ich meine damit auch, wie du bist. Christopher, du bist besonders, für mich, für alle im Schloss und für deine Freunde." Ich schätze mich glücklich, von ihm wertgeschätzt zu werden und ich war mir sicher, dass alle, die ihn kannten, auch so dachten.
"Ich verstehe dich und es tut mir leid, dass ich dich erst so spät verstehe. Aber ich glaube daran, dass du Ruhe finden wirst und dass sich alles ändern wird. Bitte, gebe deine Hoffnung nicht auf. Wir alle sind für dich da, Mom, Dad, Vea, Annette, Trevor, Mrs Growline und alle anderem im Schloss, aber auch Jack und die anderen und ich auch." Tröstend strich ich ihm über seinen Rücken. "Und ich glaube daran, dass du das Monster besiegen wirst und wir Mrs Corraface daran hindern werden, uns und unseren Angehörigen zu schaden." Langsam löste ich mich von ihm und schenkte ihm ein kurzes, leichtes, aber ehrliches Lächeln. Dann legte ich den Brief vorsichtig in seine Hand. Abermals musste ich schlucken. "Treffe die Entscheidung, die dich glücklich machen wird, Christopher. Deine Eltern würden niemals wollen, dass es dir schlecht geht und egal, wofür du dich entscheidest, ich werde es verstehen. Ich werde dir niemals böse dafür sein." Es klopfte an der Tür und nachdem diese geöffnet wurde, trat die Fremde herein. Sie sah zuerst Christopher an und kurz mich, ehe sie hervortrat. Sie fuhr sich nervös durch die Haare. Als ihr Blick durch das Zimmer glitt, öffnete sich ihr Mund und sie sah Christopher geschockt an. Schließlich deutete sie auf dem Brief und sagte mit fester Stimme: "Wenn du... wenn du Nein sagen möchtest, hast du ein völliges Recht dazu. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht so erschüttern. Es war nur... meine Eltern haben von deinen erzählt und von dir und ich... ich habe es nicht für richtig gefunden, Nein zu sagen. Sie müssen sehr tolle Menschen gewesen sein." Sie sah zwischen uns beiden hin und her und ich schwieg, während ich Christophers Hand kurz sanft drückte und ihm somit sagte, dass es kein Problem für mich war, wenn er alles mit ihr besprechen wollte.