Grace
"Ja", seufzend band ich mir das Haar neu zu einem Pferdeschwanz und hielt mich anschließend an der Stange fest, als die U-Bahn losfuhr. "Vielleicht solltest du mal eine Lernpause einlegen und dir einfach einen freien Tag nehmen, du überforderst dich sonst noch mit den zusätzlichen Kellnerjob", meinte Noelle und sah mich besorgt an. "Ich komme damit zurecht, nächste Woche ist meine letzte Abschlussprüfung und dann ist es endlich vorbei mit den Lernen", erwiderte ich und konnte kaum glauben, dass es schon bald soweit war. "Ja, dann geht es ab in die Welt der Events. Ich werde die besten Konzerte veranstalten und du wirst ein Star-Hochzeitsplanerin werden", ihre braune Augen funkelten. "So schnell werden wir nicht einen angemessenen Job finden, der Arbeitsmark ist hart", sprach ich die traurige Wahrheit aus. Noelle verdrehte die Augen: "Du hast eine Mutter, die ein beliebten Brautmodegeschäft betreibt." Ich musste leicht lächeln, durch meine Mutter war ich auf die Idee gekommen Hochzeitsplanerin zu werden. Als junges Mädchen hatte ich oft zugeschaut, wie die zukünftige Bräute voller Vorfreude sich die Kleider anprobierten und manche ihrer Begleiterinnen waren die Hochzeitsplanerinnen gewesen, ich war sofort von diesem Beruf fasziniert gewesen. Ich wollte selber eines Tages Hochzeiten organisieren und begleiten, den glücklichsten Tag der Braut und Bräutigam unvergesslich machen. Nach dem College ging ich also Eventmanagement studieren und belegte dabei einen zusätzlichen Kurs für die Hochzeitsplanern. In dieser Zeit hatte ich auch den Job in Big Burger ergattert, meine Eltern hätten mir sogar das Studium finanzieren können, aber ich wollte selbständig und unabhängig sein, das war mir besonders wichtig gewesen. In der Universität lernte ich dann Noelle kennen und wir verstanden uns gleich an den ersten Tag, sodass sich daraus eine tolle Freundschaft entwickelte. Durch sie hatte ich auch auf einer Party Ben kennengelernt und erfahren, dass ein WG-Zimmer frei war. Aber seit wir zusammen waren, schlief ich eher in seinem Zimmer, aber die meistens Sachen von mir blieben in meinem Zimmer, da die Schlafräume nicht sonderlich groß waren. "Und was macht das WG-Pärchen?", riss Noelle mich aus den Gedanken. "Brad ist gestern ausgezogen, aber er hatte schon eine Weile mehr bei seine Freunden gewohnt, als in der WG", erzählte ich ihr und als die U-Bahn bei der fünfte Station anhielt, mussten wir aussteigen. "Wie geht es Karen damit?", erkundigte sich Noelle und setzte ihre Sonnenbrille auf. "Sie steckt es ziemlich gut weg, aber die Luft bei den Beiden war auch schon lange raus gewesen. Aber ich kann es nicht genau beurteilen, da Karen mit ihre eigene Gefühlswelt zurückhält", meinte ich. "Aber bei euch läuft es noch gut, oder?", wir traten ins Freien und für einen Moment blendete mich die Sonne, da meine Augen sich an der Dunkelheit gewöhnt hatten. "Ja, Ben ist ein Traum von Mann", musste ich lächeln und sie grinste: "Ihr zwei seid auch echt süß zusammen." Wir erreichten die Universität und gingen in unseren Vorleseraum. Die Zeit verstrich, mein Kopf war gefüllt von viele Informationen und ich unterdrückte die Panik, ich würde die letzte Abschlussprüfung schon schaffen. Die Anderen hatte ich auch meistern können und eigentlich sollte ich deswegen ruhiger sein, aber bei Prüfungen hatte ich schon immer zittrige Nerven gehabt. Noelle dagegen war sehr entspannt und schien auch nicht viel Lernen zu müssen, sie lebte nämlich mit den Motto: Entweder ich habe es in den Kopf oder eben nicht. Und sie hatte damit auch Erfolg, bis jetzt war sie nicht durchgefallen.
Es war später Nachmittag als die Uni beendet wurde und unsere Wege trennten sich, da Noelle eine Verabredung hatte und ich einen Zwischenstopp in der WG machen wollte. Kaum war ich in der WG, kam Ben ausgeschlafen auf mich zu und zog mich in meine Arme: "Hey Darling." Ich schmunzelte, er hatte immer einen niedlichen Akzent, wenn er Darling sagte und küsste ihn sanft: "Hey, habe dich vermisst." Seine grüne Augen sahen mich liebevoll an und er zog mich in die Küche: "Ich dich auch. Ich habe dir was zum Essen gemacht." "Du bist ein Schatz", ich setzte mich an den Tisch und er grinste frech: "Ich weiß." Es gab heute Spagetti mit Käsesoße. "Wie war dein Tag?", erkundigte sich Ben nach mir und wir begannen gemeinsam zu essen. Ich begann kurz von meinem Tag in der Uni zu erzählen, mittlerweile war es eher trocken, da wir die Prüfungen büffelten und somit immer wieder Wiederholungen machten. "Und was hast du gemacht?", fragte ich ihn ebenfalls. "Bis Mittag geschlafen und einkaufen, unser Kühlschrank war wieder leer gewesen. Ansonsten wie üblich in Internet nach Fotografenjob gesucht", antwortete er und ich konnte in seinem Gesicht ablesen, dass er deprimiert war. "Du wirst da was finden, sie werden schon merken, was für ein großartiger Fotograf du bist", munterte ich ihn auf. "Niemand will einen Berufsanfänger", meinte er und lenkte auf ein anderes Thema: "Da Brad gestern ausgezogen ist, müssen wir nach einen Nachmieter umschauen." Ich nickte zustimmend: "Wir können morgen mal eine WG-Sitzung machen. Ich muss jetzt leider los. Bis bald." Ich stand auf, gab ihn einen Kuss und machte mich auf dem Weg zu Big Burger, um meinen Job als Kellnerin nachzugehen. Erst gegen Abend kam ich müde nach Hause und setzte mich sogleich an das Schreibtisch, um weiter zu büffeln.