Tom
Nachdem ich Bruce eine kurze Nachricht geschrieben hatte, dass ich jetzt weg war, machte ich mich auf den Weg zu meinen Eltern. Ich ließ mir viel Zeit, hing meinen Gedanken nach und musste mich wirklich bemühen, nicht zu heulen.
Unser Zusammenstoß hatte mir klar gemacht, wie sehr ich sie vermisste. Mein Herz verkrampfte sich wieder, als ich daran dachte, dass sie verlobt war. Aber es sollte mich nicht wundern, immerhin war ich ihr augenscheinlich immer egal gewesen.
Als ich ankam, waren meine Eltern noch wach. Kein Wunder, es war noch nicht mal neun Uhr. Meine Mutter musterte mich sofort besorgt.
"War sie da?"
Ich nickte stumm und zog meine Schuhe aus, um direkt in mein altes Zimmer zu gehen. Ein Fehler, wie ich feststellte. Das Foto von Anni und mir stand immer noch auf dem Schreibtisch. Es war ein Bild, auf dem wir nichts weiter taten, als uns in die Augen zu sehen. Selbst dieser leblose Gegenstand zeigte, wie sehr wir uns geliebt hatten. Meine Hände zitterten, als ich es in die Hand nahm und es genauer anstarrte.
Sie war jetzt immer noch so schön wie damals. Wenn nicht sogar schöner. Reifer.
Mein Griff wurde fester und ich schleuderte das Bild gegen die Wand. Dabei zerbrach das Glas, doch es störte mich nicht. Lieber jagte ich meine Fäuste hinterher.
Wenn ich doch nur erfahren hätte, wer der Kerl gewesen war! Dann hätte ich ihn schon längst umgebracht. Selbst wenn ich dafür im Knast sitzen würde, es wäre es wert gewesen.
Die Tür hinter mir öffnete sich und ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter.
"Thomas", sagte meine Mutter sanft und strich mir vorsichtig über den Rücken. "Lass dir ihre Telefonnummer von Bruce geben und rufe sie an. Lade sie zu einem Kaffee ein und frage, warum sie das getan hat. Es wird Zeit, dass du endlich über sie hinweg kommst."
"Das kann ich nicht", flüsterte ich und spürte, wie meinem Körper die Spannung entwich und meine Schultern nach unten sackten. "Ich kann sie nicht anschauen, ohne wütend zu werden."
Sie nickte und zog mich in ihre Arme.
"Das kann ich verstehen. Aber trotzdem. Bitte, tu dir den Gefallen und auch ihr. Sie wird auch noch darunter leiden. Immerhin hat sie dich sehr geliebt."
Ich schlang meine Arme um sie und erwiderte die Umarmung. Obwohl ich jetzt schon fast dreißig war, brauchte ich es gerade jetzt. Und wozu hatte man eine Mama?
"Bleib ein paar Tage hier", bat sie mich weiter. "Dann hast du ein bisschen Zeit darüber nachzudenken. Auch über deine Zukunft mit Nata."
Ich überlegte kurz und stimmte dann zu. Sie hatte Recht. Urlaub hatte ich sowieso für nächste Woche eingeplant.
"Danke", sagte ich und ließ sie los. "Ich würde jetzt gerne schlafen gehen."
Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verließ mein Zimmer. Sofort sank ich auf mein Bett und starrte an die Decke.
Jeder Mensch braucht Träume. Das hält uns davon ab stehenzubleiben.