Illya
Ich lächelte sie schief an. > Du glaubst also, dass ich mit so viel Wissen und Kampferfahrung geboren worden bin? Natürlich weiß ich, wie das ist, wenn man etwas nicht kann. Das hat jeder schon einmal durchgemacht, aber genau deswegen habe ich es dann gelernt. Damit man mir nicht nachsagen kann, ich könnte es nicht. Und ja, ich werde dich im Auge behalten. Nicht die ganze Zeit, da du ja immer noch deine Privatsphäre haben sollst.< Letzteres sagte ich mit einem kurzen Zwinkern, doch da wurden wir schon von jemandem unterbrochen. Ich runzelte die Stirn. Junkies? Was hatte ich verpasst?
Da ich es sowieso nicht leiden konnte, wenn man schlecht über meine Familie sprach, ging ich zu diesem Mistkerl rüber, der es gewagt hatte zu lachen. Als er mich sah, schob er trotzig das Kinn vor, aber ich überragte ihn um anderthalb Köpfe, sodass schnell klar wurde, wer hier das Sagen hatte.
> Was willst du damit sagen, sobaka?< Eigentlich brauchte es mehr, um mich dazu zu bringen, jemanden zu beleidigen, doch er hier verdiente die Bezeichnung Hund. Ich sah die Hinterlist in seinen Augen funkeln, aber er war schlau genug, mich nicht weiter zu provozieren.
> Da geht ein Video rum, von dem anderen Sacharow!< spie dieser verächtlich, woraufhin ich die Hand ausstreckte, sodass er kurz zusammenzuckte. Er glaubte wohl, dass ich ihn schlagen würde. Gar kein schlechter Gedanke. > Zeig mir das Video. Sofort!< knurrte ich mit dunkler Stimme. Dank meinem Vater hatte ich das autoritäre Sprechen und ein dominantes Auftreten gelernt, weshalb es nicht lang dauerte, bis er sein Handy hervorholte und das Display in meine Richtung hielt.
Ich brauchte nur die ersten Szenen zu erkennen und wusste, um welches Video es sich handelte. Wer hatte das ins Netz gestellt? > Der'mo.< fluchte ich. Ich nahm Abstand zu diesem Mistkerl und wandte mich an Enya. Eigentlich wäre ich viel lieber, zu Sergio gegangen, um nachzusehen, wie es ihm ging, doch ich vertraute darauf, dass er das hinkriegte, solange ich mit den Fäden unterwegs war.
> Zehn Minuten!< beantwortete ich ihre Frage, nahm ihre Hand in meine und zog sie mit mir mit. Natürlich verstand ich jetzt, warum man mich abschätzig musterte, doch das ging mir nicht so nah, wie die Tatsache, dass man Sergio diese Erinnerung aufgezwungen hatte. Soso, der Krieg hatte also schon innerhalb dieser vier Wände begonnen. Dann war es an der Zeit den Gegenangriff zu starten. Ich knirschte mit den Zähnen, mein Blick eiskalt.
Luana
Ich hatte es doch nicht ausgehalten und hatte nur kurz zum Handy geschielt, nur um die Szene zu sehen, wie er in einen Pool gestoßen wurde. Er schrie. Dieser Laut aus seiner Kehle klang so unwirklich, zumal ich es ja gewöhnt war, dass er immer ruhig und besonnen war. Und nun wirkte er so... verwirrt. Das musste vor langer Zeit passiert sein, denn auch sein Gesicht wirkte auf dem Video jünger, doch da steckte er es weg und ich konnte nicht erkennen, wie es in ihm vorging. Das war ganz klar ein Fall von Mobbing. Sowas kannte ich aus der Einrichtung und ich hätte nicht gedacht, dass die Sacharows das mal erleben würden. Sie waren mir immer so... perfekt vorgekommen.
Als dann noch der Lehrer auftauchte und ihm mitteilte, der Direktor wolle ihn sehen, ahnte ich schon, was folgen würde. Ein langes langweiliges Gespräch, viele Fragen und möglicherweise das erneute Abspielen des Videomaterials. Ich ließ meinen Blick umherschweifen, versuchte herauszufinden, wer es gewesen sein könnte, doch die meisten tuschelten miteinander, sodass es fast jeder sein konnte. Warum ich überhaupt das Gefühl hatte, jemanden erwürgen zu müssen, war mir unklar, aber mit Ungerechtigkeit hatte ich schon immer ein Problem gehabt. Sowas machte man einfach nicht. Das war pure Bloßstellung.
Ehe ich mich versah, hatte ich schon die Schulter meines Trägers getätschelt. Das machte man doch, wenn man irgendwie Unterstützung signalisieren wollte, oder? Schnell nahm ich die Hand wieder weg und senkte den Blick. Ich sollte am besten gar nichts tun, sondern ihn einfach machen lassen.