Tana
Irgendwann kam der Moment, wo ich einfach nicht mehr in der Lage war, klar zu denken. Überall waren nur Schatten. Ich schloss die Augen, um mich nicht in der Dunkelheit zu verlieren und atmete weiter ein. Mehr und mehr - bis Schluss war.
Die letzte Sünde drang in mein Innerstes ein und diesmal hielten mich meine Beine nicht mehr aufrecht. Meine Beine sackten ein, ich kippte zur Seite und zitterte am ganzen Leib. Die Kälte hatte mich völlig im Griff, aber ich die Freude darüber, dass ich das Loch endgültig deaktiviert hatte, wärmte mich ein klein wenig. Ich hatte damit Atra Mundo etwas genommen. Die Möglichkeit noch mehr Leute mit diesem Wahnsinn zu infizieren.
Alvaro
Ehe ich wirklich verstehen konnte, was er meinte, trat Dr. Wilson vor und lächelte mich auf eine derart kranke Weise an, dass mir schlecht wurde. Ich wollte mich nicht an die vielen Versuche erinnern. Wollte nicht Kains Bild vor Augen haben, der die Wahrheit über die Vollstrecker-Institution herausgefunden hatte und deswegen gestorben war. Ich wollte an all das nicht denken, aber dieser Mann löste so viel Hass in mir aus, dass es gar nicht anders ging.
Tausend Flüche und Verwünschungen lagen mir auf der Zunge. Keine einzige verließ meinen Mund. Stattdessen starrte ich Dr. Wilson mörderisch an.
> Wie schön, dich wiederzusehen, Alvaro. Du hast dich sehr gut weiterentwickelt, besser als gedacht. Du warst schon immer der Stärkste unter den Vollstreckern gewesen. Ein Paradebeispiel für eine Kampfmaschine. Natürlich wusste ich von Anfang an, was du warst und von Anfang an habe ich dafür gesorgt, dass sich dein Potenzial weiter entfaltet.< Er stellte sich etwas aufrechter hin, zeigte so etwas wie Stolz, als wäre ich ein gelungenes Projekt. Das war ich bestimmt für ihn. Ein geglückter Versuch seiner kranken Machenschaften.
Ich biss die Zähne fest zusammen. > Du hast mir Kain genommen. Und Veena. Das werde ich dir nie verzeihen.< zischte ich wütend.
> Die beiden haben sich in Dinge eingemischt, die sie nichts anging. Hätten sie sich an die Regeln gehalten, wäre nichts passiert, dann...<
> Ich weiß, dass ihr uns allen einen Timer gesetzt habt, also erspar dir das Gelaber. Ihr habt uns auf dem Gewissen. Ihr könnt uns einfach so töten, also sprich nicht von einem langen, unbeschwerten Leben.< schnitt ich ihm das Wort ab, während die Wut sich bis in die kleinste Zelle meines Körpers vorarbeitete. Ich wollte ihn tot sehen. Ich wollte ihn quälen. Ich wollte all das tun, was er mir angetan hatte.
Bleib ruhig, Alva. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um durchzudrehen. Wut macht unvorsichtig, hörte ich Elins klare Stimme im Kopf. Als ob das so einfach wäre.
Dr. Wilson fuhr mit seiner Erzählung völlig entspannt fort. Als befänden wir uns gerade in einer Geschichtsstunde. > Ja, das ist wahr. Alle Vollstrecker haben einen Timer. Warum auch nicht? Sollte einer von euch verrückt werden oder wie im Falle von Kain die Nase in fremde Sachen stecken, müssen wir darauf reagieren. Wir verlangen absoluten Gehorsam.<
> Wir?<
Nun lächelte der Dämon. > Ja genau, wir. Ihr Vollstrecker seid nichts anderes als ein Produkt meiner Genialität. Während ich in der Hölle schmoren durfte, nahm dieser schlaue Mann mit mir Kontakt auf. Er verlangte nach Wissen, schmutzigem Wissen und ich wollte Macht. Macht über die Sterblichen, die so einfach zu kontrollieren sind, dass es fast schon lächerlich ist. Wir schlossen einen Pakt. Ich gab ihm alles, was er brauchte, um die Leute gefügig und stark zu machen und er öffnete mir im Gegenzug die Tür zur sterblichen Welt. Du kannst dir vorstellen, welch ein Genuss das für mich war, nach so vielen Jahrhunderten diese schwachen Seelen in Scharen zu sehen. Ich verstehe echt nicht, warum die Engel sie um jeden Preis beschützen. Das sind Kakerlaken, nichts weiter.< Er zog die Nase kraus und machte eine wegwerfende Handbewegung. > Aber das ist nicht so wichtig, wie das, was Dr. Wilson herausfand, als man dich ins Boot holte. Du warst anders, einfach alles an dir. Du bist eine Seltenheit Weltenwächter und ich habe eine Schwäche für seltene Trophäen. Deswegen beschlossen Dr. Wilson und ich dich zu unserer Marionette zu machen.<
Langsam beschlich mich das Gefühl, dass nun ein Part kam, der mir nicht gefallen würde. Ganz und gar nicht. Sollte ich einfach angreifen und auf die endgültige Wahrheit verzichten? Vielleicht verkraftete ich all das nicht, vielleicht war die Wahrheit so kalt und unberechenbar, dass sie mir schaden könnte.
Dr. Wilson führte das Gespräch fort und sah mir dabei fest in die Augen. Ich konnte das kranke, verrückte Funkeln darin sehen. Von Menschlichkeit fehlte jede Spur. > Deine spezielle Fähigkeit, die, die ich dir einpflanzte, ist nicht das, was du denkst. Sie verlangsamt zwar die Zeit um dich herum, aber ihre wahre Funktion ist eine andere. Du hast sie seit unserem letzten Treffen nicht angewendet, was mich ziemlich enttäuscht hat, doch ich kann dich auch so kontrollieren, Alvaro. Ich hatte schon immer die Kontrolle über dich.<
Diese Worte... Mein Körper fing zu zittern an. Nicht nur aus Wut, auch nicht aus Hass. Es war mehr das Gefühl von Ekel. Bevor ich ihn davon abhalten konnte mehr zu sagen, mischte sich wieder der Dämon ein. Er schien größten Spaß an dieser Sache zu haben. Nicht anders zu erwarten. > Kommen wir zur Pointe des Ganzen. Du, Alvaro, auch als Weltenwächter bekannt, hast uns, Atra Mundo, wunderbar gedient. Die ganze Zeit über bekamen wir durch dich einfach alles mit, was sich bei dir und deinem Team abspielte. Jedes Gespräch, jede Handlung, jeder Atemzug gehörte uns. Von Anfang an. Ihr habt euch stets gewundert, wie Atra Mundo euch immer zehn Schritte voraus sein konnte, dabei steckte der Maulwurf schon die ganze Zeit über in dir selbst. Nur mit deinem Einsatz waren wir fähig, alles perfekt zu planen und Gegenmaßnahmen zu euren Ideen zu treffen. Vielen Dank dafür!< Er machte eine bedeutungsvolle Pause, in der mein Weltbild zerbrach. > Das war die eine Funktion des Zirkels in deiner Seele, mein Lieber. Die andere ist weitaus aufregender. Wir wissen nicht, ob unser Plan funktionieren wird, aber die Zeit, in der du für die Engel kämpfst, ist vorbei. Deine Frau und deine ungeborenen Kinder werden ihren Vater höchstwahrscheinlich nie wiedersehen, aber das ist nicht so dramatisch. Die bekommen wir auch noch zu fassen. Wer weiß, was man mit ihnen noch alles anstellen kann!?<
Das war ein Fehler. Wer Thekla und die Zwillinge ins Spiel brachte, war tot. Ich verdrängte das, was man mir gerade offenbart hatte und klammerte mich an meinem Auftrag fest, diese beiden Kerle ein für alle Mal zu vernichten. Genug geredet. Jetzt sollte Blut fließen.
Elin spreizte die Flügel und stieß einen gefährlichen Ruf aus, während ich einen Energieball formte, der zu einer beachtlichen Größe wuchs. Meine Augen waren dabei unentwegt auf Dr. Wilson gerichtet. Ihn wollte ich als Erstes tot sehen.
Zu spät registrierte ich, dass sich sein Mund bewegt hatte.