Tana
> Papa, warum hast du gestern so laut gebrüllt?<
Mit großen Augen schaue ich Vater an. Neugier hat mich dazu gebracht, in sein Arbeitszimmer zu gehen, das aus viel Papierzeug, einem Schreibtisch und einem Computer besteht. Auf dem Bildschirm sind komische Zeichen zu sehen, die man sonst aus Filmen kennt. Viele und in einer hässlichen grünen Farbe.
Mein Vater beugt sich vor, schlingt einen Arm um meine Taille und hievt mich problemlos auf seinen Schoß. Dort habe ich es am liebsten, da fühle ich mich nämlich absolut sicher. Bei ihm bin ich immer sicher. Meine Hände ergreifen seine linke und ich beginne mit seinen langen, rauen Fingern zu spielen. Es gefällt mir das zu tun. Mama macht das auch sehr oft.
Papa richtet seine schwarzen Augen auf mich, seine Stirn ist in Falten gelegt. > Du weißt, was du bist, Tana. Deine Mutter und ich haben es dir ja gesagt. Mir ist klar, dass du zu jung bist, um alles zu verstehen, was wir Erwachsenen sagen, aber du darfst auf keinen Fall vergessen, was in dir steckt.< Mit dem Zeigefinger tippt er mir ein paar Mal auf die Brust. > Du bist ein Engel und eine Seelenfresserin zugleich. Eine barph raajakumaaree.<
Ich ziehe die Unterlippe in den Mund und versuche konzentriert dieses lange Wort in Gedanken zu wiederholen. Es ist viel zu lang. > Was heißt das?<
> Wie nenne ich dich immer?< Ein Funkeln erscheint in seinen Augen. Es fasziniert mich von der ersten Sekunde an. > Eisprinzessin?< bringe ich lächelnd hervor und er nickt ebenso breit lächelnd.
> Genau, du bist eine Eisprinzessin. Unter uns Seelenfressern muss man nämlich zwischen Feuer und Eis unterscheiden. Feuer, das bin ich. Eis, das bist du. Es existieren nur sehr wenige Seelenfresser, die so sind wie du und das ist der Grund, wieso du niemandem sagen darfst, wer du wirklich bist. Das dient deiner Sicherheit. Gestern war ich laut, weil…< Er seufzt betrübt, der Glanz in seinen schwarzen Augen ist verschwunden. >…ich musste Sünden vertilgen, die mir nicht gut getan haben. In solchen Momenten müssen wir sehr vorsichtig sein, sonst verletzen wir Unschuldige und das widerspricht unserer wahren Natur. Lass dir nie einreden, Seelenfresser würden dem Bösen dienen, nur weil wir dämonischer Abstammung sind. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sie ist viel mehr. So wie deine Mutter es stets sagt, sie ist eine weise Frau.<
> Ach, bin ich das?<
Meine Mama ist wunderschön. Ihr langes, hellblondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reicht, schimmert sanft wie flüssiges Gold. Freudig hüpfe ich vom Schoß meines Vaters runter und stürze in ihre ausgebreiteten Arme. Sie fängt mich auf, hebt mich hoch und gibt mir einen warmen Kuss auf die Wange. Ich kichere leise. > Sollen wir singen?< fragt sie mich lächelnd.
Ich nicke und beginne zu singen.
Alvaro
Aha, seit wann ist er bitteschön der Boss der Gruppe? Innerlich verdrehte ich die Augen, sagte jedoch nichts dazu und eilte los. Rotschopf würde ich ganz bestimmt nicht in diesem Zustand frei herumlaufen lassen. Lieber kettete ich sie an mein Bett an. Mmh, kein schlechter Gedanke eigentlich, allerdings völlig unpassend.
Sie war schnell, wirklich schnell, doch ich nahm sofort ihre Spur auf und raste durch den Wald, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Die Waffe lud ich im Rennen mit Betäubungspatronen, die ihr nicht schaden würden. Ein Nickerchen reichte aus, dann wäre sie bestimmt wieder ok. Keine Ahnung, was den beiden Frauen widerfahren war, doch das bestätigte meine Meinung zum weiblichen Geschlecht. Nichts als Ärger mit denen.
Als ich sie weiter hinten entdeckte, beschleunigte ich ein wenig mehr und entsicherte ich die Waffe. In kurzen, abgehackten Stößen atmete ich die Waldluft ein und wieder aus. > Bleib stehen oder ich schieße.< rief ich ihr zu, so gut es eben mit meiner heiseren Stimme ging. Doch ich war mir sicher, dass ihre feinen Ohren mich erhört hatten. Ich richtete den Lauf der Waffe auf ihren Rücken. Schussbereit.