Tana
Gerade als ich meine Umgebung in einen Eispalast verwandeln wollte, begann meine Team-Clock wie irre zu vibrieren. Alvaros und Naveens Puls rasten. Irgendetwas stimmte nicht. Mein Herz zog sich zusammen, als ich daran dachte, was ihnen zugestoßen sein könnte, aber wenigstens hörte ihr Herz nicht auf zu schlagen.
Trotzdem reichte das aus, um mich vollends aus dem Konzept zu bringen. Doch es machte mich auch verdammt wütend. > Bane, ich habe eine andere Idee. Ich bleibe in der Nähe, aber ich muss jetzt auf das Dach.< sagte ich hastig zu ihm, ehe ich Richtung Treppen an der Gebäudemauer eilte. Ich war noch nie in meinem Leben zuvor so schnell die Treppen nach oben gerannt, jedoch ging es hier um die Leben meiner Freunde. Meiner neuen Familie. Ich ignorierte Banes Rufe, denn er wusste nicht, was genau ich vorhatte.
Kaum gelangte ich aufs Dach, wurde mir erst jetzt das Ausmaß des Angriffs bewusst. Es sah wie in diesen Untergangsfilmen aus. Genau so. Schrecklich, beängstigend, trostlos. Dennoch riss ich mich zusammen und ließ mich nicht davon beirren. Tief durchatmend schloss ich die Augen, konzentrierte mich auf die mir bekannten Auren und begann sie nach und nach zu lokalisieren. Als ich Alvaros nicht mehr spüren konnte, sackte mein Herz in die Tiefe.
Ich biss die Zähne fest zusammen, machte weiter und überließ anschließend dem Engel den Vortritt. Was ich jetzt vorhatte, hatte ich nie zuvor getestet. Meine Mutter erzählte mir einst, dass ein heilender Engel dazu in der Lage sei, bestimmte Auren mit Energie zu versorgen. Man brauchte nur zu...singen. Damit ging ich zwar ein großes Risiko ein, weil man mich dadurch leichter finden konnte, doch solange ich den guten Leuten zu mehr Energie verhalf, würde das unsere Situation eventuell verbessern.
Darum begann ich leise zu singen, während ich die Hände vor der Brust verschränkte. Es war ein Lied, das von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Wie einen Schatz hatte ich es in meinem Herzen bewahrt und nun musste es denjenigen Licht schenken, die welches brauchten.
Alvaro
Während ich Elin fest an meine Brust gedrückt hielt, flatterte ihr weißes Haar im Wind, die Luft zerrte an unserer Kleidung. Wir fielen in rasanter Geschwindigkeit in eine Dunkelheit hinein, die kein Ende nahm. Zudem wurde die Luft wärmer und stickiger.
Ich versuchte mich im freien Fall so zu drehen, dass meine Füße zur Schwärze zeigten, um vielleicht mittels meiner Superschuhe einen Sprung zu wagen. Allerdings funktionierten sie nicht. Gerade jetzt, wo ich sie am meisten brauchte, hatten sie den Geist aufgegeben. Ich fluchte, mein Herz raste und mir wurde unwohl zumute. War dies das Ende? Der Tod, der mich erwartet hatte? Aber wieso mit einem Kind im Arm? Warum zog ich dieses unschuldige Mädchen mit in den Tod? Sie hatte noch so lange zu leben.
> Es tut mir leid, so unendlich leid.< murmelte ich in ihr Haar und erwartete nicht, dass sie die Worte gehört hatte. Die Luft pfiff in meinen Ohren, meine Körpertemperatur stieg an und ich hatte absolut nichts bei mir, was mir jetzt noch helfen könnte - bis sich eine Stimme in meinem Kopf meldete. Nicht die von Elin, sondern von Irene. Es war eine Erinnerung, eine, die mir so präsent war, dass ich glaubte, sie wäre noch am Leben.
Es wird die Zeit kommen, da wirst du dem Tode ins Auge blicken müssen. Wenn dieser Fall eintritt, möchte ich, dass du eine Entscheidung fällst. Ist dein Leben im Endeffekt wertvoller als das eines anderen?
Fuck, nein. Nein, ich war kein egozentrischer Typ. Kein Mann, der den Schwanz einzog, wenn die Lage aussichtslos erschien. Bis zu diesem Punkt hatte ich gekämpft, geblutet und gelitten. Mehr als ein Normalsterblicher in der Lage war. Deshalb akzeptierte ich nicht, dass ich dabei war, durch das Tor der Hölle zu fallen und das mit einem Kind im Arm. Elin musste überleben. Sie musste das Geschenk tragen, das Irene mir einst gab. Dieses summende, goldene Funkeln in meinem Herzen, ohne dass ich nie meine Menschlichkeit beibehalten hätte. Ein Stück Reinheit. Freiheit.
Dennoch spürte ich ein ungewohntes Brennen in den Augen, als ich daran dachte, wen ich alles würde zurücklassen müssen. Genau davor hatte ich mich gedrückt. Dieser Kummer tat mehr weh als körperlicher Schmerz. Thekla, Tana, Naveen, selbst die Sacharows... Ich würde sie nie wiedersehen. Zittrig schloss ich die Augen, atmete tief aus und drückte Elin fester an mich.
> Alles wird gut, kleiner Hase.<
Und dann begann ich die lebensrettenden Worte zu murmeln. Aber noch ehe ich die letzten Verse wiedergeben konnte, ertönte plötzlich eine glockenhelle Melodie in meinem Kopf, die mich irritiert innehalten ließ. Die Welt um mich herum blieb stehen, ich sog scharf Luft ein. Es ähnelte meiner speziellen Fähigkeit, wenn alles verlangsamt wurde, sodass ich mich weiterhin frei und schnell bewegen konnte. Gesteinsbrocken schwebten dicht neben mir, die Hitze in meinem Rücken brannte nur noch leicht. Was passierte gerade?
Elin bewegte sich in meinen Armen. Aus einem Impuls heraus drückte ich sie fester an mich, aus Angst, sie könnte mir runterfallen. Doch dann hob sie den Kopf und mir stockte der Atem.