Zen:
Die Luft im Flur schien nicht so angespannt wie im Speisesaal und langsam beruhigte sich meine Atmung. Ich schloss die Augen und fuhr mir durch das Haar, während ich von Hundert abwärts zählte. Ein kleiner Trick, um meinen Zorn wieder einzäumen zu können. Nicht immer konnte ich den Schlossmauern entfliehen, um meine Wut an einem Baum. Das Zählen half auch. Nicht gänzlich, doch soweit, dass ich niemanden und nichts in Brand setzte.
Als ich in meinen Gemächern ankam, hörte ich bereits Samuel dort.
"Guten Abend."- begrüßte er mich mit einer höflichen Verbeugung. "Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen ein Bad vorzubereiten."- teilte er mir weiter mit.
Samuel war bereits über 50 Jahre alt und diente meiner Familien längere Zeit. Seit meiner Geburt war er mein persönlicher Diener, der mir beim Waschen und Anziehen half. Seinen Adleraufen entging nichts und ich war mir mehr als sicher, dass er auch von meinem unerlaubten Entfernen vom Schlossgelände wusste. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis er meinem Vater davon berichtete, doch bis jetzt hatte er nichts gesagt. Vielleicht lag es auch daran, dass er mich als seinen Sohn ansah und er war mir wiederrum mehr Vater, als mein leiblicher.
"Danke." -murmelte ich nur und setzte mich auf einen Stuhl. Samuel half mir aus meinen Stiefeln und auch aus der Kleidung.
"Sie müssen versuchen die Kraft Ihrer Mutter zu unterbinden." - bemerkte er, als er meinen linken Unterarm entblösste und die leuchten rote Narben erblickte, die dort meine Haut zierten. "Sie wissen, dass ..." - doch mit einer raschen Handbewegung unterbrach ich ihn.
"Ich weiß."- sagte ich nur und ging zu der großen Wanne mit warmen Wasser gefüllt. "Es ist mir alles sehr wohl bewusst." - meinte ich nur, legte den Kopf in den Nacken und schloss meine Augen. "Doch verstehe ich nicht, warum ich diese Gabe habe, wenn ich sie nicht nutzen soll." - über diese Frage zerbrach ich mir seit mehreren Jahren den Kopf.
Warum wurde man mit einer Gabe bedacht, die einen langsam zerstörte?
"Manchmal sind die Wege der Götter unergründlich." - hörte ich Samuel sagen, doch darauf erwiderte ich nicht. "Morgen wird Ihre Gemahlin antreffen." - sagte er weiter und mein Zähne knirschten. "Sie scheinen nicht sehr erfreut."
"Ich wusste immer, dass irgendwann dieser Tag kommen würde, doch ich bin gänzlich unvorbereitet und eigentlich verspüre ich auch kein Verlangen diese Frau kennen zu lernen und zu heiraten." - teilte ich ihm mir und spürte das unangenehme Kribbeln an den Unterarmen.
"Nun, aber es ist zu Wohle ..." - fing er an.
"... der beiden Clans." - beendete ich den Satz etwa ungehalten. "Trotzdem." - trotzte ich nur.
Nach dem Bad half mir Samuel in mein Nachtgewand und verließ dann mein Zimmer. Während ich in meinem Bett lag, tobten tausende Gedanken in meinem Kopf und es machte mich müde, über meine Zukünftige nachzugrübeln. Ich zwang mich zum Schlaf und irgendwann, als die Sonne am Horizont bereits aufging, schlief ich ein.