Silia
Thales starrte in die Flammen des kleinen Lagerfeuers und ließ sich viel Zeit mit seiner Antwort. Ich rechnete damit gar nichts mehr zu hören, doch dann brachte er ein schweres Seufzen über die Lippen und schielte zu mir rüber. >Diese Geschichte hat kein glückliches Ende. Bist du wirklich bereit, sie zu hören, Sonnenschein?<
Ich nickte. Natürlich war ich bereit dazu. Mein letztes Leben hatte auch kein glückliches Ende genommen. Ich kam schon klar.
>Ich lernte sie auf eine meiner Reisen kennen. Ich wollte die Schwertkunst der Elfen erlernen, deshalb reiste ich in ein Dorf, in dem Gerüchten zufolge eine Kunst gelehrt wurde, die nicht einmal das Königsgefolge kannte. Das war für mich viel interessanter, als mich mit der Königswache anzulegen. Traditionelle Kampfkunst hat so viel mehr zu bieten.< Er trank einen Schluck Wein, schluckte und sprach ruhig weiter: >In diesem Dorf hat sie gelebt. Diese Elfe. Moira. Das dachte ich jedenfalls zu der Zeit. Mannomann, ich war so grün hinter den Ohren... Selbstverständlich verfiel ich ihrer übernatürlichen Eleganz und dieser... dieser Perfektion. Zu der Zeit kannte ich auch Zuri. Nun ja, ich kannte sie nicht, sondern wir... wir waren sozusagen zusammen.< Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, aber dann wurde der Zug um seinen Mund wieder härter. >Zwei Monate. Frisch verliebt. Und dann traf ich Moira und die Rädchen des Unglücks setzten sich in Bewegung... Anfangs habe ich mich ihrem Charme widersetzt. Als Thronanwärter wusste ich, was Loyalität bedeutet, darum blieb ich meiner Zuri treu. Tag für Tag. Und an jedem Tag trainierte ich mit Moira, denn wer hätte gedacht...? Sie war ebenfalls Schülerin der uralten Kampfkunst und verdammt gut darin. Wir trainierten sehr viel miteinander. Es wurde zur Gewohnheit.<
Das klang ziemlich vertraut. Immerhin beschrieb das unsere Übungseinheiten, die wir täglich ausführten. Nur, dass wir nach wie vor Freunde waren und nichts weiter. Ich blieb still und behielt meine Fragen für mich. Thales wirkte, als wäre er zurück in diesem Dorf und würde alles noch einmal durchleben. Er hatte diesen Tunnelblick.
>Aus der Gewohnheit wurde irgendwann Sehnsucht. Sie war nicht mehr nur meine Übungspartnerin. Ich sah mehr in ihr. Ich wollte mehr von ihr. Und sie schien dasselbe zu empfinden... Wir schliefen miteinander. Mehrmals. So unpassend das ist, muss ich gestehen, dass Elfen verdammt gute Liebhaber sind, aber naja...< Seufzend fuhr er sich durchs rote Haar, das im Schein der Flammen noch feuriger wirkte als sonst. >Sie hat alles zerstört. Dumm wie ich war, schwor ich ihr meine Liebe und wollte bei ihr bleiben. Mit ihr gemeinsam auf Reisen gehen und mehr entdecken. Mehr lernen. Und wer weiß... vielleicht hätte ich sie zu mir nach Hause gebracht und mit ihr regiert. Ich war so blind. Durchgehend blind. Mir fiel nicht auf, wie sie mir ständig Geheimnisse entlockte. Geheimnisse, die mein Volk und viele andere Völker betrafen, die ihr Vertrauen in mich gesetzt hatten. Ganz zu schweigen von Zuri. Sie hatte die ganze Zeit brav auf mich gewartet... voller Hoffnung... und ich...<
Zum ersten Mal seit ich Thales kannte, sah ich Tränen in seinen Augen schimmern. Tränen, die unglaublich traurig funkelten. >Ich schrieb ihr einen Brief. Ich machte Schluss mit ihr. Ich hätte jederzeit zu ihr springen können, um die Sache von Angesicht zu Angesicht zu klären, aber ich war zu feige gewesen. Natürlich erwähnte ich Moira mit keinem Wort. Ich dachte, es würde reichen, ihr zu sagen, dass ich sie nicht mehr liebte. Dass ich doch nur eine Freundin in ihr sah. Keine Partnerin fürs Leben. Grausam, nicht wahr?< Mehrmals blinzelnd sah er zu mir und ich nickte. Da gab es nichts zu beschönigen. Er hatte sich wie ein Arschloch verhalten und das war nicht zu entschuldigen.
>Eine Woche später tauchte Zuri urplötzlich auf. Wie es das Schicksal so wollte genau dann, als Moira und ich wild knutschend im Gras lagen. Du kannst dir nicht annähernd vorstellen, wie dieses Treffen ausgegangen ist... Zuri, sie... sie hat nichts gesagt. Kein einziges Wort. Wenn man sie gut kennt, erwartet man ein zänkisches Weib und eine Frau, die immer etwas zu sagen hat, aber dort... vor Moira und mir... da hat sie geschwiegen. Dafür haben ihre blauen Augen so viel mehr gesagt. So viel Schmerz, so viel Enttäuschung und so viel... so viel verlorene Liebe. Ich sah so viel Liebe darin, dass mein eigenes Herz daran zerbrach. Es war wie ein Weckruf.<
Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel, die er schnell mit dem Ärmel seines dünnen Umhangs fortwischte. Beim Weitersprechen klang seine Stimme belegt. >Sie hat nichts gesagt und ist daraufhin mit einem grünen Stein verschwunden. Das war die längste und schlimmste Minute meines Lebens gewesen. Moira sagte anfangs nichts und dann lachte sie plötzlich los. Sie lachte, als hätte man ihr einen Witz erzählt. Da zeigte sie ihr wahres Gesicht. Das Gesicht einer Elfdämonin.< Dunkle Wolken zogen in seinen Augen auf. >Lange Rede, kurzer Sinn: Sie hat von Anfang an mit mir gespielt. Mir mein Magieweber-Wissen Stück für Stück erklaut. Sie hat sich all das Wissen erschlichen, das ihr dabei helfen würde dem Dunklen Lord zur Seite zu stehen. Und nur durch mich hat sie vom Ort einer sehr mächtigen Waffe erfahren und wie man sie benutzen musste.<
Ich rutschte näher zu ihm hin und schlang einen Arm um seine Mitte, drückte ihn sanft. Er brauchte mich jetzt. Er brauchte den Halt, während sein Körper zu beben begann. >Alles... einfach alles hatte ich verloren. Eine Liebe, die keine Liebe war. Und eine Liebe, die mich hätte glücklich machen können. Dabei hatte ich auch noch das Wohl der Welt in Gefahr gebracht.< Thales raufte sich schwer atmend das Haar. >Ich war so wütend. So wütend auf Moira. Aber ganz besonders auf mich selbst. Wegen meiner Unbeschwertheit. Meiner Naivität. Meiner Gutgläubigkeit. Weil ich Zuris Herz gebrochen hatte.< Das Beben seines Körpers wurde stärker. Ich hielt ihn fester. >Zurückzukehren... in meine Heimat... nichts hatte mir je mehr Angst bereitet. Ich wollte meine Fehler berichtigen, wusste aber nicht wie. Und Zuri? Sie sprach kein Wort mehr mit mir. Die schlimmste Bestrafung überhaupt. Da lebte ich nur einen Steinsprung von ihr entfernt und doch durfte ich sie nicht mehr sehen. Ihre Familie, ihre Freunde, sie alle hassten mich, obwohl sie nicht einmal erzählt hatte, was passiert war. Doch Zuris Augen... In ihnen war die Wahrheit deutlich abzulesen. Ihre Augen, dieser Blick... sie verfolgen mich noch heute.<
>Wie kam es dazu, dass ihr doch noch zueinander gefunden habt? Also... dass ihr wieder miteinander redet?< wollte ich wissen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Azuria plötzlich einen Sinneswandel bekam und ihr Schweigen brach.
Thales lachte leise. >Ardan. Er ist der Grund. Dadurch, dass er eine Allianz gründen wollte, mussten Zuri und ich wohl oder übel in einem Raum sitzen und reden. Selbstverständlich nur über Geschäftliches. Aber mit der Zeit... und weil wir beide in Ardans Gesellschaft irgendwie lockerer waren, haben wir angefangen normal miteinander zu reden. Eines Abends-<
>Warte mal! Wann ist das mit Moira passiert?<
>Vor siebenundachtzig Jahren.< kam die trockene Antwort.
>Azuria hat dich siebenundachtzig Jahre lang ignoriert?< fragte ich mit großen Augen.
Thales zuckte mit den Schultern. >Verdiente Strafe... Jedenfalls haben wir eines Abends darüber geredet, was damals passiert ist und was sich wirklich zugetragen hat. Zuri hat dann für ihre Verhältnisse... viel Verständnis für mich aufgebracht und nun ja, sie hat mir letztendlich verziehen.< Nun kehrte das Lächeln zurück auf seine Lippen. Er entspannte sich ein wenig. >Seit diesem Abend hat sich wieder Freundschaft zwischen uns entwickelt, aber seien wir mal ehrlich... meine Gefühle für sie waren stets dieselben und oftmals habe ich dasselbe Interesse in ihren Augen gesehen. Für mich gibt es nämlich keine schöneren Augen. Keine faszinierendere Frau als Azuria. Allein ihr Name...< er seufzte verloren. >...sie bedeutet mir wahnsinnig viel. Ich liebe sie. Ich liebe sie mehr denn je. Selbst nach siebenundachtzig Jahren. Ich würde alles für sie tun und dennoch... sie mag mir verziehen haben, ich aber nicht mir selbst. Ich bin derjenige, der uns beiden im Weg steht. Ich bin es, der Nein zu mehr als nur Freundschaft sagt. Weil ich ihrer nicht würdig bin. Weil ich Angst habe, sie nochmals in irgendeiner Form zu verletzen. Ich habe Angst, dass sie mich wieder mit diesem Blick ansieht und für immer schweigt. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem sie wegen mir wieder ihre Stimme verliert.<
>Das ist das Dümmste, was ich je aus deinem Mund gehört habe.< kommentierte ich trocken.
Thales zog eine Braue in die Höhe. >Ich schütte dir mein Herz aus und das hast du zu sagen?<
>Was hast du denn gedacht? Dass ich mir die ganze Geschichte anhöre, nicke, dir den Rücken tätschle und das war's? Du verwehrst dir eine Liebe, die ewig halten könnte, aber du lässt dich mal wieder von der Angst treiben. So wie damals, als du per Brief mit ihr Schluss gemacht hast.< Ich stieß ihn sanft in die Seite. >Jeder begeht Fehler. Niemand ist perfekt. Ich verstehe deine Angst, aber ich verstehe nicht, wie du dir selbst nicht verzeihen kannst, wenn Azuria es konnte. Dabei war sie diejenige mit dem gebrochenen Herzen. Sie hat dir verziehen, dich zurück in ihr Leben gelassen und du gehst davon aus, dass sie nicht dieselbe Angst verspürt? Dass du sie wieder verletzen könntest? Trotzdem darfst du ihr Freund sein und ja, auch ich sehe das Mehr in ihren Augen. Sie vermisst dich. Sie liebt dich. Worauf wartest du denn noch?<
Stille kehrte ein. Wieder sagte er eine Weile lang nichts und als ich mich langsam von ihm löste, griff er nach meiner Hand und drückte sie. >Danke, Sonnenschein.<
Er lächelte. Und ich sah die Hoffnung darin aufblühen.