Ardan
Ich hatte ein sehr ungutes Gefühl. Was auch immer dieser Kerl mit dem Buch anrichten konnte, es musste fatal sein. Andernfalls hätte mich Silia nicht davor gewarnt. Seine Barriere hatte ich mittels der Psi-Manipulation durchbrechen können, aber wie ich ihn vernichten konnte, wusste ich nicht. Ich kannte keine seiner Schwachstellen. Er war wie ein Buch mit Sieben Siegeln, dabei lag seines offen auf seiner Hand. Seine knochigen Finger bewegten sich ruhig über die vergilbte Seite, als würde er daraus lesen. Die seltsame Magie wurde stärker. Mir gefiel die Unruhe in meinem Inneren nicht. Ein schlechtes Omen. Außerdem schlug mein Herz ungewöhnlich schnell. Angst war es nicht, es war-
Jadis. Sie war in Gefahr. Meine Augen huschten zu der Stelle, wo ich sie zuletzt gesehen hatte und ich traf schnell eine Entscheidung. Ich stieß mich kraftvoll vom Boden auf, gewann in kürzester Zeit an Höhe und warf die Sense wie einen Blitz auf den Hohedämon, während ich vorauseilte und Jadis im Fall auffing. Sie schien nicht sonderlich verletzt zu sein, aber etwas stimmte nicht. Ihr inneres Gleichgewicht, es war... ein wenig durcheinander. Und obwohl ich ihr direkt ins Gesicht blickte, kam es mir vor, als würde sie mich nicht sehen. Ein eigenartiger Schleier schwebte im tiefen Grün. >Sicher das Werk eines Hohedämons...< knurrte ich verstimmt und drückte sie schützend an meine Brust. Mein Blick fiel auf den Dämon mit dem Buch, der völlig unbeeindruckt von meinem Angriff mit der Sense war. Diese steckte in seiner Barriere fest. Blitze durchzogen den magischen Schild, Psion und Psios, aber es reichte nicht für einen kleinen Sieg.
In diesem Moment tauchte Cain mit seinen lodernden Flammen auf. Er stürzte sich mit aller Gewalt gegen den Schild und hüllte diesen mit seinem glutroten Feuer ein. Sein Heulen durchschnitt das Gebrüll der Feinde um ihn herum. Immer wieder stemmte er sich gegen den Schutzschild und riss das Maul weit auf, um es mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen zu versuchen. Wenn er die Stellung hielt, konnte ich mich solange um Jadis kümmern. >Zeig dich, Feigling!< brüllte ich. >Zeig dich und nimm den verdammten Zauber von meiner Frau. Oder schaffst du es ohne deine jämmerlichen Tricks nicht uns zu besiegen?<
Jenaya
Es war nicht fair, dass ich hier in Sicherheit und in Frieden ruhen konnte, während meine Freunde und mein Mann in einem schrecklichen Krieg kämpften. Ich fühlte mich machtlos, selbst wenn ich damit mein Kind beschützte. Gab es denn wirklich nichts, was ich von hier aus tun konnte? Es wäre zu gefährlich, mein Drittes Auge zu öffnen, denn damit könnte ich die Aufmerksamkeit der Hohedämonen auf mich ziehen. Sicherlich wunderten sie sich, wo ich abgeblieben war, zumal einer der ihren versucht hatte, meinen Sohn und mich durch einen hinterlistigen Fluch zu töten. Das ließ ich aber nicht auf mir sitzen! Irgendwie musste ich diesen Dämon oder diese Dämonin zur Rechenschaft ziehen. Oder zumindest Kenai dabei helfen, dieses Biest ausfindig zu machen und zu erledigen.
Als ich schwer seufzte, sah mich meine Mutter aufmerksam an. >Was ist denn los? Fühlst du dich nicht wohl?< Seit Kenai gegangen war, war sie mir nicht von der Seite gewichen. Sie kümmerte sich liebevoll um mich und schenkte mir ihre mütterliche Wärme, auf die ich so lange hatte verzichten müssen. Trotzdem merkte ich, dass sie sich große Sorgen um mich machte. Das gehörte zum Muttersein dazu. Ich würde es bald selbst erfahren. >Ich möchte helfen, aber ich weiß nicht wie...< grummelte ich, während ich mir über den Bauch streichelte. Das Baby schlief tief und fest. Ich spürte tiefe Ruhe in mir.
>Du hilfst allen, indem du in Sicherheit bleibst und gut für dich und das Kind sorgst. Glaube mir... das ist ebenfalls eine Form von Stärke. Zurückzubleiben, wenn die Umstände es erfordern und es um das eigene Wohl geht. In deinem Fall sind es sogar zwei gute Gründe.< sagte sie sanft und strich mir dabei über den Rücken. Das kleine Feuer, das wir entzündet hatten, erhellte die Höhle, in der wir uns befanden und mir war nie aufgefallen, wie schön es eigentlich hinter den Wasserfällen war. Oder hatte sich das in all der Zeit geändert? Wasser war immerhin das Element der Veränderung.
Ich seufzte erneut. >Das ist mir schon klar, aber... es ist schwer...< Maris regte sich hinter mir, wechselte ihre Position und dann blieb sie wieder ruhig liegen. Ihr Fell war unfassbar gemütlich. Schon seit einigen Minuten fühlte ich mich etwas schläfrig, aber aus Loyalität zu den Kämpfenden hatte ich mich gegen den Schlaf entschieden. Leider hielt ich es nicht länger aus. Meine Gedanken machten mich ebenfalls ganz träge. Ein kleines Nickerchen konnte nicht schaden, oder?
Silia
Es bedurfte nur einer einzigen horizontalen Bewegung meines Schwertes. Nur eine einzige, dann flogen sämtliche zerschnittene sowie verbrannte Leiber in alle Richtungen von mir fort. Die erste Welle aus Licht richtete einen gewaltigen Schaden an. Das hatten die Bestien bestimmt nicht kommen sehen. Einige schienen kurz verwirrt, doch die Wut und die Blutlust kehrte schlagartig zurück. Selbst diejenigen, denen ein paar Körperteile fehlten, kämpften sich wieder zu mir vor. Sie lechzten nach meinem Blut. Dieses würde aber nicht fließen. Nicht wegen dieser Monster.
Der nächste Schwung sandte mehr blutige Körper durch die Gegend. Dabei setzte ich einen Schritt nach dem anderen Richtung Gebirge. Ich würde alles und jeden verbrennen, der sich mir in den Weg stellte. Allerdings wurde ich überrascht. Auf sehr erschreckende Weise. Es war nicht etwas, das ich sah, sondern das Gefühl, das sich in meiner Brust ausbreitete. Eine äußerst vertraute Präsenz hatte das Kampffeld betreten. Jemand, der nicht hier sein durfte. Fenrir. Hatte er sich doch dazu herabgelassen aufzutauchen. Sein Nichts und die Energie, die damit einherging, veränderte den Geruch in der Luft. Man konnte es schwer beschreiben. Nichts müsste eigentlich nach nichts riechen, aber es besaß sehr wohl einen Geruch. Einen sehr intensiven sogar. Und ich war mir absolut sicher, dass Fenrir nicht aus der Reinheit seiner Seele hergekommen war. Er war hier wegen seines Bruders. Sein Bruder, der bald auferstehen würde. Egal, wie sehr ich mich gegen diesen Part meines Schicksals wehrte, meine Vergangenheit hatte mich erfolgreich eingeholt. Sie forderte ihren Tribut.
Zähneknirschend sandte ich die nächste Welle an Bestien gegen die scharfkantigen Felsen und sah sie mit Genugtuung zerplatzen. Ich hielt meinen Schutzschild aufrecht, um die Reinheit meines Auftretens zu bewahren und beschleunigte meinen Gang etwas, weil ich nicht zulassen durfte, dass Fenrir etwas Dummes tat. Etwas, was der guten Seite schwer schaden könnte. Ich hatte es schon einmal mit ihm aufgenommen. Ein zweites Mal würde mir ebenso gelingen.
Alita
Envar schwang seine Peitsche, als wäre sie ein Teil von ihm. Eine Verlängerung seines Arms. Seine andere Hand hielt derweil sein doppelseitiges Schwert, mit dem er ebenfalls angriff und es damit schaffte der Dämonin eines ihrer Hörner abzuschlagen. Sie schrie hasserfüllt auf. Blut floss allerdings keines. Die Wunde heilte schnell. Sie versuchte meinen Bruder mit ihren Blitzen zu verjagen, doch jedes Mal, wenn sie einen Versuch startete ihre Hände auszustrecken, brachte er ihre Magie mit seiner Peitsche zum Verstummen. Er peitschte ihr sozusagen die Blitze aus der Hand. Mein großer Bruder, der der Älteste von uns allen war, hatte schon immer ein Händchen dafür gehabt, die anderen Kämpfer vor den Kopf zu stoßen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er ihre Bewegungen voraussah und genau das machte ihn extrem gefährlich.
Ich beschloss ihm zu helfen, doch seine Worte in meinen Gedanken ließen mich innehalten. Um diese Dämonin kümmere ich mich schon. Mach dich schnell auf den Weg zum Hohedämon mit dem Buch. Er ist dabei den Lauf der Geschichte zu verändern. Wenn er es schafft, haben wir ein gewaltiges Problem. Das Buch muss vernichtet werden. Du hast eine Minute, Schwesterherz.
Du weißt ganz genau, dass ich es nicht mag, so stark unter Stress zu stehen, fiepte ich leicht panisch, machte mich aber sofort auf den Weg. Wenn Envar der Meinung war, dass ich das erledigen musste, dann tat ich das auch. Eine Minute. Klang unmöglich, aber was bedeutete unmöglich schon im Leben einer Animagi? Sehr wohl möglich. Wir waren für das Unmögliche geschaffen worden. Das Buch musste weg? Dafür sorgte ich. Dabei ignorierte ich das verdächtige Klingeln in meinem Kopf. Wie große Glocken, die etwas Wichtiges zu verkünden hatten. Sowas hörte ich nur, wenn unsere Mutter sich bei mir meldete. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte, aber ich bat sie darum mir Zeit bis zum Ende des Kriegs zu lassen. Nur mehr Zeit, nichts weiter.