Gute Nacht *_*
Anderthalb Wochen später...
Cael
Ich nahm einen großzügigen Schluck vom Pflaumenwein und stellte ihn auf dem Hocker neben mir ab. Die Gitarre baumelte vor meiner Brust, während ich mir all der Blicke im Raum bewusst war. Sie wollten mich singen hören. Deswegen waren sie hier. Meine Musik ließ sie fühlen und vergessen. Ich spielte Musik, um Gefühle loszuwerden. Um die Schatten zu vertreiben, die mich seit einigen Nächten in meinen Träumen verfolgten. Entweder es waren Vorboten eines schlimmen Ereignisses, das mir bevorstand oder sie spürten meine Schwäche und wollten sich das zunutze machen. So machten das Schatten eben. Sie kümmerten sich nur um sich selbst. Genau wie ich das die ganze Woche lang getan hatte. Früh aufstehen, frühstücken, das Haus verlassen, auf offener Straße spielen, am Abend in eine andere Gaststätte hineingehen, den Besitzer von meinem Talent überzeugen, singen, bis mein Herz aufhörte zu bluten, kostenlos essen und dann zurück ins Gasthaus gehen, um mich schlafen zu legen. Ryu sah ich nur morgens und abends. Gawain, Makoto und Imesha meistens morgens. Ilea nie. Sie musste sich erst gar nicht die Mühe machen,
mir aus dem Weg zu gehen. Ich machte es für uns beide einfacher, indem ich
ihr aus dem Weg ging, sodass wir uns nicht einmal zufällig begegneten. Immerhin war es ihr Zuhause. Da war es nur logisch und richtig, dass sie sich dort frei bewegen konnte ohne zu befürchten mich anzutreffen. Denn seien wir mal ehrlich... Bislang hatte sie sich immer zurückgezogen, wenn es zu kompliziert wurde und da mir das Herz endgültig gebrochen worden war, schaffte ich es nicht wieder die Brücke zu sein, die uns miteinander verband. Ich schaffte es nicht in ihre Augen zu sehen und nichts dabei zu empfinden. Ich hatte wirklich gehofft, nach dem ersten oder gar zweiten Tag mich wieder einigermaßen normal zu fühlen, aber sobald ich nur ihren Duft im Flur erhaschte, riss die Wunde in meiner Brust neu auf und blutete den ganzen Tag. Ryu wusste immer noch nicht genau, was zwischen uns beiden vorgefallen war. Nur, dass ich einen Schritt nach vorne gewagt hatte und in eine endlose Tiefe gefallen war. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Jetzt stand ich hier. Vor ahnungslosen Menschen. Sie hatten keine Ahnung, wie hässlich es inzwischen in mir aussah und trotzdem produzierte ich solch leidenschaftliche Musik, dass es sie jedes Mal aufs Neue vom Hocker riss. Manchmal glaubte ich sogar bessere Lieder zu schreiben, weil ich dermaßen viel Emotion einbaute, dass einige Leute mitweinten. Versteckt hinter ihren Fächern. Oder wenn sie mehrmals blinzelten. Mir war es recht, solange ich ein Dach überm Kopf und warmes Essen im Magen hatte, das allerdings nicht annähernd so gut schmeckte wie das von Gawain. Naja... ein relativ kleiner Preis, den ich zu zahlen hatte, um mich einen ganzen Tag lang zu beschäftigen. Außerdem unterstützte ich ihn nach wie vor mit meinem Gewinn, obwohl er darauf bestand, dass ich es behalten sollte. Weil es mein hart erarbeitetes Geld war, nicht seines. Trotzdem schob ich es jedes Mal ihm zu. Ob er es wollte oder nicht. Nur weil ich seiner Tochter aus dem Weg ging, bedeutete es lange nicht, dass sie mir alle plötzlich egal geworden waren. Ich sorgte mich immer noch um sie. Das war eben das Komplizierte an Gefühlen. Sie existierten weiter. In irgendeiner geheimen Ecke lauerten sie und warteten nur auf ihren Einsatz. Würde irgendjemand es wagen Ilea oder ihrer Familie etwas anzutun, ich würde kein bisschen zögern und wäre zu einem Mord bereit. Diese Menschen waren mir wichtig, daran würde sich auf lange Sicht nichts ändern. Ich hoffte nur, dass ich es bald endlich schaffte die Tür zu meiner ersten unerwiderten großen Liebe zu schließen, um mein Leben in den Griff zu kriegen. Die Mission ließ sich nicht von selbst erledigen. In letzter Zeit hatte ich mir mehr und mehr Gedanken darüber gemacht, war öfters in die Geisterwelt gereist, um vielleicht dort Hinweise zu finden. Manchmal glaubte ich eine Spur gefunden zu haben, aber wie in meinen Träumen zuvor riss mich eine unsichtbare Macht zurück, bevor ich nach etwas greifen konnte. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, aber je schneller Ryu und ich den Fall Valaris lösten, desto eher kam ich zurück nach Hause. Ich vermisste mein unbeschwertes Leben dort. Ich vermisste meine Familie von Tag zu Tag mehr. Und all diese Gedanken und Gefühle flossen in meine Finger, die an den Saiten zu zupfen begannen und absolute Ruhe im Raum auslösten. Man hörte mir zu und ich ließ einfach los.
Lied
Imesha
Ich sah aus dem Fenster, mittlerweile eine neue Gewohnheit von mir, und betrachtete den schief geratenen Pandabären aus Schnee im Garten. Vor einigen Tagen hatte Cael mir einen Zettel gereicht und mich darum gebeten eine Liste mit Dingen zu erstellen, die ich gern tun würde. Es lag an mir zu entscheiden, ob ich sie allein erledigen wollte oder in Gesellschaft anderer. Anfangs hatte ich das für eine sinnlose, dumme Idee gehalten, denn was sollte mir das schon bringen, wenn ich in einem Zimmer eingesperrt war? Aber dann hatte er mir gestanden, dass er ebenfalls ein Miko war und dass es Geisterkinder gewesen waren, die sie alle zu mir geführt hatten. Demnach wussten sie von meinem Selbstmordversuch und das hatte mich ganz schön tief getroffen. Nicht wegen der Rettung, sondern wegen der Kinder, die sich nach ihrem Tod um mich gesorgt hatten. Da war mir erst so richtig bewusst geworden, welche Auswirkungen meine abendlichen Ausflüge gehabt hatten und dass es nicht Mitleid war, das mir entgegengebracht wurde, sondern Mitgefühl. Auch das hatte Cael mir eindringlich erklärt. Mir war aufgefallen, dass er wie Ilea sehr betrübt wirkte, obwohl beide stets freundlich lächelten. Anfangs hatte ich gedacht, sie seien ein Liebespaar, aber schon seit einer Woche hatte ich sie kein einziges Mal zusammen gesehen. Den Pandabären aus Schnee hatten Ryu und Ilea für mich gemacht, nachdem ich beschlossen hatte Caels Vorschlag anzunehmen. Seither sah ich ihn nur morgens, wenn er kurz bei mir vorbeischaute und fragte, welchen Punkt auf der Liste ich als Nächstes in Angriff nehmen wollte. Er war zugegebenermaßen ein netter Mann. Zuvorkommend wie Ruko. Ryu hingegen... Aus ihm war ich immer noch nicht schlau geworden. Keine Ahnung, was genau mein Problem mit ihm war, denn die Sache mit dem "Streit" gehörte längst der Vergangenheit an. Ich wollte nicht länger darauf herumkauen. Das kostete mich nur unnötig viel Energie. Aus diesem Grund hatte ich vor kurzem damit angefangen ihn ebenfalls einzubeziehen und nicht alle Punkte nur mit Ilea abzuhaken. Mit ihr verstand ich mich natürlich am besten. Sie war eine sehr angenehme, sanftmütige Person und ich ertappte mich immer öfters dabei wie ich den Mund aufmachen und sprechen wollte. Nur schaffte ich es letztendlich nicht. Nach wie vor hing die Dunkelheit über meinem Kopf, jederzeit bereit einzubrechen. Ich befürchtete im nächsten Moment entdeckt und gewaltsam aus diesem sicheren Zimmer gezerrt zu werden. Das... wollte ich nicht. Nicht mehr. Ich fühlte mich hier einigermaßen wohl.
Jetzt zum Beispiel wartete ich auf Ilea, damit wir unser Pai Sho Spiel fortsetzen konnten, welches ich ihr vor ein paar Tagen beigebracht hatte. Es war ein Spiel, das ich durch Ruko kannte und welches in höheren Kreisen gespielt wurde, weil es Geschick, Strategie und Glück benötigte. Außerdem diente es dazu Informationen an sein Gegenüber zu vermitteln. Eine Art Geheimsprache. Aufgrund dessen hatten wir das Brett zunächst selbst basteln müssen und dabei hatte uns Ryu geholfen, der sich jedes Mal die Zeit nahm, wenn Ilea ihn in meinem Namen darum bat. In dieser Hinsicht war wirklich Verlass auf ihn und vielleicht überwand ich mich und brachte ihm ebenfalls bei, wie man Pai Sho spielte. Ich vermutete, dass in ihm ein ehrwürdiger Gegner steckte.